A. F. Morland

Auswahlband 11 Top-Krimis Herbst 2018 - Thriller Spannung auf 1378 Seiten


Скачать книгу

hatte ihm die Überläuferin vorspielen müssen. Roberto sollte die beiden Telefonnummern in Brendas Notizbuch finden. Die Killer hatten dann hier gewartet. Auf ihn und Freed. Wäre die Polizei erschienen, hätte sie niemanden auf der Yacht angetroffen.

      Aber der Hagere ... wo war er abgeblieben?

      „Ich musste es tun, Roberto!“, rief Brenda. „Bitte, kannst du mir verzeihen?“ Sie warf die Pistole weg.

      Etwas zu früh.

      Ein Mann erschien im Cockpit. Roberto erstarrte. Er presste einen kleinen blonden Jungen an sich. Langsam schob er sich aus dem Cockpit.

      Brenda stand auf. Geduckt blieb sie stehen.

      Freed stöhnte. „Ronny!“ Der Junge sah herüber. Seine Augen waren geschwollen und trübe. Wahrscheinlich hatte man ihm Drogen gegeben, damit er sich ruhig verhielt.

      „Werfen Sie die Waffe weg!“, verlangte der Hagere. Er presste die Mündung eines Revolvers gegen Ronnys Ohr.

      Da sprang Brenda ihn an. Ihre Schulter prallte gegen seine Beine. Der hagere Mann stolperte und breitete die Arme aus, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Dabei ließ er Ronny los. Der Junge sackte kraftlos zusammen.

      Roberto Tardelli und Arthur Freed feuerten gleichzeitig.

      Die Wucht der Treffer schleuderte den Hageren über Bord.

      Brenda Paine sank schluchzend in sich zusammen.

      Freed sprang auf die andere Yacht. Er riss Ronny an sich.

      „Laufen Sie zum Wagen!“, rief Roberto. „Los, machen Sie schon!“

      Freed gehorchte. Roberto sprang neben Brenda. Tränen rollten über ihre Wangen. Er drückte ihre Schulter.

      „Warten Sie hier auf die Polizei. Lassen Sie sich festnehmen. Freed wird sich um Sie kümmern.“

      Roberto rannte hinter Freed her. In der Ferne heulten Sirenen. Er sprang in den anrollenden Nova und schlug die Tür hinter sich zu.

      32

      Außerhalb des Hafengeländes übernahm Roberto das Steuer. Freed nahm seinen Sohn in die Arme und drückte ihn.

      „Jetzt ist alles gut“, sagte er immer wieder. Und: „Das werde ich Ihnen nie vergessen, Tardelli, nie ... Genauso wenig wie ich vergessen werde, wie ich reagiert und gehandelt habe. Ich werde mit dem Attorney General sprechen. Sofort. Der Haftbefehl wird aufgehoben, das kann ich Ihnen versprechen. Oder ich werde meinen Ausweis zurückgeben und an Ihrer Seite kämpfen …“

      Roberto fuhr über den Wilshire Boulevard, über diesen endlosen Boulevard. Er würde Art Freed und seinen Sohn zu Hause absetzen, und dann ... Ja, was dann?

      Dann würde er sich wieder verstecken müssen. Vor den Häschern der Mafia. Er hatte ihnen eine empfindliche Niederlage beigebracht, aber der Krieg war deshalb nicht aus. Er würde niemals enden.

      Aber wenigstens würde ihn das Gesetz nicht mehr jagen. Roberto fühlte, wie eine angenehme Müdigkeit von ihm Besitz ergriff.

      Er bog in die Hicksville Road ein. Er sah die beiden auffällig unauffälligen Limousinen, die am Wilshire Boulevard gestanden hatten und sich jetzt in Bewegung setzten, um Freed und ihm zu folgen. Wahrscheinlich wollte Freeds Boss wissen, welche Rolle der G-man bei dem Gemetzel am Hafen gespielt hatte.

      Roberto stoppte vor Freeds Haus. Freed stieß die Tür auf seiner Seite auf. Er zögerte und sah Roberto an.

      „Nehmen Sie den Wagen“, sagte er rau. „Noch müssen Sie sich verstecken. Wenn alles vorbei ist, wirklich vorbei, meine ich, besuchen Sie mich in Washington.“ Er hielt Roberto die Hand hin, und der Mafia Jäger drückte sie.

      Da sah er, wie Freed nachdenklich die Augen zusammenkniff und an ihm vorbeiblickte.

      „Der Möbelwagen“, stammelte Freed, „die neuen Mieter ...“

      Robertos Kopf ruckte herum. Er sah die Bewegung am Mansardenfenster auf der anderen Seite, und dann sah er ein dunkelbraunes Bündel durch die Luft segeln.

      Der Motor der Nova lief noch. Roberto trat das Gas voll durch. Der Wagen machte einen Satz, die offene rechte Tür klappte wieder ins Schloss.

      Die geballte Ladung prallte auf das Dach des Wagens, kollerte hinten hinab und rollte dann die abschüssige Straße hinunter, während der Nova auf den oberen Wendehammer zuraste.

      Die Druckwelle der Explosion rüttelte den kleinen Wagen und ließ die Scheiben klirren. Einer der beiden FBI-Wagen wurde quer über die Straße geschleudert und prallte gegen einen Laternenmast, der wie ein Streichholz umknickte.

      Roberto wendete, ohne den Fuß vom Gas zu nehmen. Der Nova raste die Straße wieder hinab, auf den Wilshire Boulevard zu. Freed drückte seinen Sohn tief in den vorderen Fußraum und zog selbst den Kopf ein.

      Unter den Gewehrkugeln zersplitterten die Scheiben, aber der Wagen war zu schnell, als dass die Killer oben in der Mansarde gezielte Schüsse hätten abgeben können.

      Der Nova schlitterte auf zwei Rädern auf den breiten Boulevard.

      Roberto erwachte wie aus einem Traum, als er die Gefahrenzone hinter sich wusste. Langsamer steuerte er einen Park an. Ronny wimmerte. Roberto hielt an einem glitzernden See, und Freed stieg aus. Er half seinem Sohn, und die beiden gingen ans Wasser hinunter.

      Roberto folgte ihnen nach einer Weile. Er kaufte drei Tüten Popcorn, dann saßen sie nebeneinander auf einer Bank und sahen den Enten zu. Roberto spürte, wie sich seine Nerven allmählich beruhigten, und wie der Krampf in seinem Inneren nachließ.

      Gegen zwölf Uhr mittags rief Freed seinen Chef an. Roberto unterhielt sich solange mit Ronny, der den Schock noch nicht verarbeitet hatte und immer wieder ängstlich seine Umgebung beobachtete.

      Als Freed zurückkam, sagte er leise zu Roberto: „Meine Kollegen haben einen von zwei Killern gestellt. Der Kerl heißt Eugene de Luca und soll ein Starkiller aus Chicago sein.“

      „Und der andere?“

      „Ist entkommen. Wir haben nur eine Beschreibung groß, narbiges Gesicht, Geheimratsecken ...“

      „Angelo Agostini“, sagte Roberto leise. Der Todesengel war wieder einmal entkommen.

      Roberto stand auf und ging davon. Er versuchte sich zu erinnern, wo er seinen Koffer gelassen hatte, aber er kam nicht darauf. Jetzt nicht. Er winkte ein Taxi herbei und stieg hinten ein.

      „Bringen Sie mich in ein Hotel ... in irgendein Hotel“, sagte er.

      ENDE

      Stadt der Schweinehunde

      von Alfred Bekker

      1

      Ich sehe die Bilder von den einstürzenden Türmen. Die Bilder vom 11.September 2001, als zwei Flugzeuge von irren Terroristen in das World Trade Center gejagt haben. Immer wieder sehe ich diese Bilder. Im Fernsehen und in Gedanken. Wie oft sind die schon wiederholt worden? Es ist wie bei der Gedankenschleife eines Zwangsgestörten. Der Zwang zur Wiederholung, der Zwang, den Blick auf dieses unfassbare Geschehen zu richten und sich den Schmerz immer und immer wieder anzutun.

      Die Irren, die das getan haben, waren unglücklicherweise Muslime.

      Unglücklicherweise deshalb, weil ich auch Muslim bin.

      Ich ging noch zur High School, als die Türme des World Trade Centers einstürzten. Und ich hatte damals keine Ahnung, dass dieser Augenblick für uns alle alles ändern würde.

      Es gibt ein Davor und ein Danach.

      Und das Danach ist leider die schlechtere Seite.

      Inzwischen sind ein paar Jahre vergangen.

      Mein Job ist es, solche Irren, wie die, die das damals getan haben, zu fassen. Besser noch: Zu verhindern, dass sie etwas Ähnliches tun werden. Aber man