Sauerstoff und Pflanzenmassen als die Ernährungsgrundlage ihrer tierischen Mitbewohner. Sie liefern die essbare, schmackhafte und brennbare Energie für diesen Planeten. Sonnenstrahlen direkt zu kauen ist genauso wirkungslos wie Geld zu verzehren. Unbekömmlich und frei von jeglicher Kulinarik. Und ganz egal, ob Pflanzenmaterial gefressen, gegessen oder eben verbrannt wird. Jedes Mal findet eine Art Verbrennung statt. Entweder im Stoffwechsel der Tiere oder in der Flamme. Beim Brennen entsteht Kohlendioxid und der Kreis hat sich geschlossen. Aber Pflanzen legen auch Blatt an, um organische Schadstoffe wie Formaldehyd, Benzol oder Triclosan abzubauen, die aus Abwasser, Abrieb, Ausdünstungen und Abgasen stammen. Spezielle Bakterien- und Pilzarten können chemische Verbindungen knacken und mitunter einen gesunden Appetit auf giftige Chemikalien entwickeln. Besonders gut funktionieren sie häufig in Kooperation. Beliebt sind bei manchen dieser Teams aus der Sanierungssparte besondere Schmankerl wie Erdöl im Boden oder Beta-Blocker und Antibabypillen aus den Kläranlagen.
Diese Dienstleistungen, die die Natur an uns abdrückt, heißen Ökosystemdienstleistungen. Wissenschaftler meinen damit, dass Ökosysteme sich darum kümmern, Luft, Wasser, Böden wieder sauber und gesund zu machen, Bestäubung und damit Nahrung und Rohstoffe zu garantieren und uns nebenbei auch noch zu entspannen und zu erfreuen. Für uns Menschen ergibt das das Business Modell schlechthin. Denn die Natur besitzt noch keine IBAN-Nummer, auf die wir Geld überweisen müssen, wenn wir frische Luft atmen oder in Blütenduft schwelgen. Würde auch hier das aktuelle Wirtschaftsmodell gelten, wäre der Atemzug an einem schönen Sommertag günstiger zu haben als an einem trüben Tag im November mit deutlich eingeschränkter Photosyntheseleistung. Angebot und Nachfrage. Also im Winter besser die Luft anhalten, wenn es mal soweit ist. Bisher ist Natur ein 24/7/365-Selbstbedienungsladen ohne Kasse.
Eine Untersuchung der Vereinten Nationen (Millemium Ecosystem Assessment) hat jedoch gezeigt, dass sich die Erde bereits 2005 im Zustand der Degradation - also schwer im Sinkflug – befand. 15 der 24 Ökosystemdienstleistungen wie etwa die Wasserversorgung galten schon damals als schwer geschädigt oder anhaltend zerstört mit einem unumkehrbaren Verlust an Biodiversität.
Rohstoffe stellen im weiteren Sinne auch nichts anderes dar als Natur – Naturmaterialien aus belebter oder unbelebter Materie. Und egal, ob das Erdöl, die Manganknollen aus der Tiefsee, die Mohrrübe aus dem Boden, die Bergwanderung - nirgendwo bezahlen wir für die Leistungen der Natur. Das Mitnehmen oder der Eintritt ist frei. Das einzige, für das wir an der realen Kasse bezahlen, ist unsere Arbeitszeit und unser Gewinn. Der Benzinpreis enthält nur Kosten für Förderung, Transport, Aufbereitung, Logistik, Infrastruktur, Steuern, Knappheit und Gewinn. Die Natur als Erzeuger geht dabei leer aus und wird in der Regel bei vielen Zwischenschritten zudem noch geschädigt. Die Ressource „Erdöl“ ist für lau zu haben und derjenige, der sie entdeckt oder dem das Land gehört, auf dem sie lagert, kann sie ausbeuten. Beute machen, ohne dafür zu bezahlen. Davon leben dann zumindest Ölscheichs einigermaßen passabel.
Auch bei der Ressource „Boden“ verhält es sich mittlerweile ähnlich. Das war aber noch nicht immer so. Im Frühmittelalter nutzten Gemeindemitglieder große Bereiche des Landes gemeinsam - Almende genannt. Die Indianer praktizierten dieses Modell sogar noch bis zum Eintreffen des weißen Mannes. Heute dürfen sie das Land ihrer Väter teuer von der katholischen Kirche zurückkaufen.
„Landveredeln“ findet mittlerweile fast überall statt: Urwald wird in Kulturland, Kulturland in Bauland umgewandelt und für viele Euros oder Dollar verkauft. Ungewöhnliche Veredelung, wenn aus üppigem Regenwald Sojawüsten und aus bunten Hummelwiesen tolle ABC-Architektur wird - Asphalt, Beton, Cotoneaster. Zwar erleben wir eine extreme Dollar-Sicht auf Welt und Natur, aber eben nicht bis in ihre letzte Konsequenz, da ausgerechnet der Erzeuger leer ausgeht.
Und genau hieraus resultiert das Hauptproblem für die Biodiversität in unserer monetisierten Welt: Was nix kostet, ist nix wert. Ideen, der Ressource einen Preis zu geben, um mit diesen Einnahmen Ressourcensicherung und Naturschutz zu betreiben, existieren schon länger. Diese Preise sind schwer zu bestimmen und der Ansatz würde einen globalen Systemwechsel mit vielen Gesetzen und vor allem auch Gesetzesvollzug bedeuten. Negative Umweltauswirkungen, die ein Produkt auf seinem Lebensweg verursacht, trägt bisher häufig genauso die Allgemeinheit wie im Falle von Zubetonierung, Lärm und Atomendlager. Eine Ausnahme dazu existiert jedoch bereits europa- und kalifornienweit: den Emissionshandel. Die Deponierung des Abfallstoffes Kohlendioxid in der Luft kostet Bares – zumindest für die Industriezweige, die viel davon verursachen wie die fossile Energiebranche. Dies entspricht zwar nichts weiter als einem Ablasshandel, aber je mehr Geld dieser kostet, desto stärker die Motivation zur Vermeidung von Klimasünden. Ein erster Schritt.
Der zweite, konsequente Schritt würde bedeuten auch den Ökosystemdienstleistungen ein Preisschild zu verpassen. Und wieder war es Frederic Vester, der einen Vorstoß wagte und einfach mal den Wert eines Blaukehlchens (das sieht aus wie Rotkehlchen in Blau) zu berechnen. Der rein materielle Wert liegt bei zwei Euro, Federn und Fleisch inklusive. Beim volkswirtschaftlichen Wert kam er schon auf 154 Euro, weil das Blaukehlchen Schadinsekten vertilgt, Samen verbreitet und schlichtweg mit Gesang und Anblick erfreut. Das war 1983. Die 2011 aktualisierte Zahl, die auch indirekte Faktoren wie eine Kohlenstoffspeicherung (Samenverbreitung fördert Pflanzenwachstum, Pflanzenwachstum fördert Kohlendioxid-Bindung) mitberücksichtigte, liegt etwas höher: bei 53.000 Euro - zugegebenermaßen für ein Pärchen. Dafür bekommt man schon einen mittleren SUV im Sonderangebot. Aber welch Glück für Katzenbesitzer! Sie müssen noch keine Strafe für die täglichen Verbrechen ihrer Kuscheltiere an Singvögeln zahlen.
Im gesunden Zustand zeigen Ökosysteme enorme Manpower und wahres Engagement, die ganze, von uns stammende Sauerei wegzuputzen – aber eben nur bis zu einem bestimmten Grad. Irgendwann ist auch dieses System gesättigt und eine unsichtbare Schwelle erreicht, an der die Badewanne überschwappt, der vollgesogene Schwamm alles volltropft und selbst Bakterien und Pilze bulimisch reagieren. Genau das passiert gerade.
Von Planetaren Grenzen und Tortenstücken oder: Hinterm Horizont geht’s nicht weiter und zu viel Torte ist auch ungesund
Diese unsichtbaren Bakterienkotzschwellen nennt man planetare Grenzen. Etwas wissenschaftlicher ausgedrückt definieren diese globalen und biophysikalischen Grenzen den sicheren Handlungsspielraum für uns Menschen auf dieser Erde. Schadensgrenzen erkennen, um zu wissen, wann mit unserem komfortablen und gemütlichen Leben hier auf Erden Schluss sein könnte, sollte man natürlich besser im Vorfeld. Dann könnte man dem Captain der Weltgemeinschaft noch melden, man segle mit heftigem Rückenwind direkt auf einen riesigen und gefährlichen Eisberg zu. Dieser Ausguck am Segelmast heißt offiziell Erdsystemforschung.
Eine Disziplin, die in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts aufkam als der Captain einer Raumfähre, Major Tom, die Erde vom Weltraum aus sah und als ein einziges, zusammenhängendes, dynamisches System begriff. Diese Disziplin beschäftigt sich heute damit, uns klar zu machen, wann die geochemischen Kapazitäten des Erdsystems erschöpft kapitulieren. Oder die Gülle vom Rand der Scheibe runter ins Weltall tropft, wenn die Erde noch eine Scheibe wäre. Um das vorhersagen zu können, muss man messen, messen und nochmals messen - und rechnen und modellieren und prognostizieren. Alles Mögliche: physikalische, chemische, biologische Werte, Prozesse und Wechselwirkungen, aber auch gesellschaftliche Komponenten sind von Bedeutung. Diese Ergebnisse müssen eingetütet, in Relation zueinander und in Relation zu den Kapazitäten der Erde gesetzt werden. Knapp 30 richtig intelligente Leute, das Sahnehäubchen unserer Naturwissenschaft, die Creme de la Creme – es befinden sich schließlich etliche Nobelpreisträger unter ihnen – haben ihre Köpfe zusammengesteckt. Sie wollten auf einen Nenner bringen was unsere Erde gerade noch an Zumutungen verträgt, damit auch unsere Enkel noch auf ihr und von ihr leben können.
Herausgekommen sind dabei die „planetaren Grenzen“, veröffentlicht als erstes vom Forscher Rockström im Jahr 2009. Darunter darf man sich keine echten Grenzen mit Stacheldraht oder Mauer vorstellen, sondern eine Torte. Diese Torte besitzt nicht die gewöhnlichen zwölf Stücke wie beim Konditor um die Ecke, sondern neun unterschiedlich lange und demzufolge unterschiedlich dicke Tortenstücke mit verschiedenen Namensschildchen dran.
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