Art aus, kann eine andere einspringen oder es ist schlichtweg genug Zeit, dass sich neue Arten entwickeln, die die entstandene Nische nutzen. Locker kann das Loch gestopft, die Laufmasche aufgefangen werden. Biologen nennen das Resilienz.
Dabei gibt es aber auch Arten, die für ein Ökosystem bedeutender sind als andere Arten. Sie heißen Schlusssteinarten und sind, wie beim Bogenmauern, unentbehrlich für das Gesamtsystem. Fehlt diese eine Art, bricht das ganze System zusammen, wie es der gemauerte Bogen letztendlich ohne seinen letzten Stein tun wird, wenn Belastungen auf ihn zukommen. In diesem Konzept wird klar, dass nicht jede Art die gleiche Bedeutung für das Funktionieren eines Ökosystems besitzt. Oftmals treten diese Schlusssteinarten als „Endkonsumenten“ wie große Pflanzenfresser oder wie ein Wolf auf. Und weil Wölfe in europäischen Wäldern nach wie vor noch fehlen, sind Jäger heute die Wölfe im Wolfspelz. Schlusssteinarten können aber auch Tiere sein, die ihren Lebensraum aktiv gestalten. Der Specht gehört dazu. Er haut Nisthöhlen ins Holz und schafft damit nicht nur für sich selbst Wohnraum, sondern auch für viele andere Ökosystemkollegen wie Eule, Marder, Meise, Siebenschläfer, Käfer, Wildbiene und Hummel, die sich gerne als Nachmieter in die Warteschlange einreihen. Denn all diesen Zweitnutzern fehlt ein starker Schnabel, scharfe Zähne oder Krallen, um Löcher ins Holz zu hauen, beißen oder kratzen. Und vielleicht bildet sogar eine winzige Orchideenbiene die Schlusssteinart für die oberste Etage bestimmter Regenwälder, weil nur sie allein die Paranussbäume bestäubt.
Dringt jedoch der Mensch in solch ein funktionierendes Ökosystem ein und randaliert, überschlagen sich die Ereignisse. Nun wird es eng für das Überleben des ganzen Ökosystems. Holzt er die Bäume im Regenwald großflächig ab, bricht das gesamte Stützkorsett dieses Ökosystems mit Krawumm weg und das strukturgebende Element der dritten Dimension verschwindet. Das bedeutet Kriegszustand. Mit Flucht, Vertreibung und dem ganzen dazugehörigen Elend. Einigermaßen Glück haben noch Tiere mit schnellen Beinen oder Flügeln. Ihre mobilen Ausstattungen nützen aber nur dann, wenn die Umgebung Unterkünfte mit entsprechender Infrastruktur bietet. Zudem beeinflusst das Abholzen abiotische Faktoren wie Sonneneinstrahlung, Temperatur, Regenhäufigkeit - kurzum das gesamte Mikroklima. Der Boden, Lebensraum für unzählige Arten, sieht sich völlig anderen Bedingungen ausgesetzt. Urplötzlich wird es hier superheiß, die Temperatur verdoppelt sich. Regen prasselt ungebremst auf ungeschützte Erde und spült ihre dünne Humusschicht weg. Selbst wenn bei der ganzen Aktion nur 50 Prozent des Waldes verschwinden sollte, trocknet der Boden aus und der Wald verschwindet. Dabei lebt ausgerechnet der Dschungel vom Umsatz und nicht von der Substanz. Ist der Mensch wieder abgezogen, weil es für ihn nichts mehr zu holen gibt, wagt sich kein Keimling aus dem Häuschen. Das schattige und feuchte Klima des Regenwaldes als Kinderstube fehlt. Da geht dann erst mal gar nichts mehr. Nur unter großen Anstrengungen, Glück und viel Zeit entsteht ein schwächerer und viel artenärmerer Sekundärwald. Damit daraus wieder das echte Ökosystem Primärwald mit einem dichten Netz an Artenvielfalt wird, braucht es mindestens 500 Jahre Ruhe und Ungestörtheit. Die Aussichten darauf sind im Moment nicht optimal.
Hot Spots
Nun hat es die Natur so eingerichtet, dass Biodiversität nicht gerade schön gleichmäßig über den Erdball verteilt vorkommt. In den Tropen brummt das Biodiversitätsgeschäft, in arktischen Gebieten dümpelt es eher vor sich hin. Eine Faustregel lautet: je wärmer und feuchter eine Region ist, desto vielfältiger und bunter das Leben. Im Bauchspeck der Erde, am Äquatorgürtel, trifft man deshalb die meisten Arten an. Das hat erstens einmal mit dem fehlenden Eis während vieler Kälteperioden zu tun. Und zweitens fühlt sich das Leben in diesem Temperatur- und Feuchtigkeitsbereich einfach am wohlsten, weil viele Prozesse hier im Optimum laufen. Die meisten Enzyme lieben schließlich moderate Temperaturen im dreißiger Bereich.
Der hotteste Hot-Spot der biologischen Vielfalt befindet sich in Ecuador. Der Yasuni-Nationalpark ist stolzer Besitzer der wahrscheinlich höchsten Biodiversität auf dieser Erde. 132 Kolibriarten, 7000 Schmetterlingsarten sind identifiziert und vier bis sechs Millionen Insektenarten werden vermutet. Ein einziger Urwaldriese, schmückt sich mit 98 verschiedenen Orchideenarten und mehr Insektenarten als ganz good old Europe. Warum ist das so? Auch hier gilt ein Leitsatz aus der Immobilienbranche: Lage, Lage, Lage. Der Yasuni liegt am Äquator mit hunderttausenden von Jahren idealer Geschäftsbedingungen für die Evolution. Vom sumpfigen Amazonasbecken bis zum 6000 Meter hohen Andenkamm. Von flach zu hoch garantiert diese Lage vielfältigstes Klima, Material und Struktur. Leider rollen jetzt die Bagger und Motorsägen kreischen, nachdem die Weltgemeinschaft dramatischerweise nicht in der Lage war, 3,5 Milliarden Dollar in einen ecuadorianischen Umweltfond einzuzahlen. Das wäre die Hälfte des Wertes, des unter dem Yasuni-Erdboden lagernden Erdöls gewesen und hätte Ecuador dazu bewogen, das Erdöl dort zu lassen, wo es ist. Ein fabelhaft deprimierendes Beispiel, für das was wirklich zählt.
Insgesamt 34 Hotspots für Biodiversität wurden weltweit definiert. Um auf dieses Hotspot-Treppchen zu klettern, sollte man mindestens 1500 endemische Arten von Gefäßpflanzen vorweisen. Immerhin zwei Hotspots konnte das seit Jahrhunderten überbevölkerte Europa ergattern: das mediterrane Becken und den Kaukasus als Grenze zu Asien.
Naturschutz schützt, aber…
Mit Naturschutz könnte man den Schutz der Biodiversität zwar ganz gut eindeutschen – immerhin beinhaltet er alle drei Aspekte: Genetik, Arten, Lebensräume und sogar noch viel mehr. Konkrete Handlungen und politischen Diskurs, beispielsweise. Ungeheuer wichtig, hat Naturschutz unglückerweise ein Akzeptanzproblem. Immer noch umweht ihn ein wenig der Hauch von selbstgestrickten Schafwollsocken (kratzige!) in Biolatschen. Immer noch liegt er nicht so richtig im Trend, trotz Demonstrationen fürs Klima und Artenschutzbegehren. Schließlich beschränken Naturschützer quasi von Natur aus. Beschränken Möglichkeiten, Visionen und Fantasien des immer mehr und immer Größer - also begrenzen ganz ureigene, menschliche Eigenschaften. Oft gelten sie als Verhinderer und Rückwärtsdreher und leider so gar nicht als Innovatoren. Naturschutz kommt inmitten von IT-Hype, künstlicher Intelligenz und pathologischem Innovationszwang mächtig angestaubt daher. All das macht Naturschutz für viele Businessmenschen unsympathisch.
Umweltingenieure verhielten sich taktischer. Sie haben sich ein deutlich cooleres Image –passend zu unserer technikverliebten Gesellschaft – zugelegt. Menschbezogener, uns ganz direkt nützlich und damit schlichtweg näher an uns dran. Mittels technischer Errungenschaften reinigen sie Luft, Wasser und Boden von unseren Schadstoffen und versorgen uns Energiejunkies. Immerhin verbraucht ein Homo Sapienser abendländischen Lebensstils mindestens das Hundertfache an Energie, die sein Körper mit 24 Stunden härtester Bergwerksarbeit selbst erzeugen könnte. Für diesen Energiehunger entwickeln sie uns krasse Windräder, funkelnde Solarplatten und clevere Speicher, damit wir schnurrende E-Vehikel und viele weitere smarte Dinge auch daheim betreiben können. Schlaue Kühlschränke und Heizungen unterhalten sich dann schon mal mit unseren Smart Phones.
Sie garantieren unseren komfortablen Lebensstil und liefern netterweise auch gleich das gute Gewissen mit.
Unzählige Studiengänge schießen wie Pilze aus dem Boden, die im Titel irgendwas mit Erneuerbar, Energie, Nachhaltigkeit tragen. Aber Biodiversität, Naturschutz, Ökologie? Sie gelten nach wie vor als Orchideenfächer und besetzen lediglich eine schützenswerte ökologische Nische unserer Hochschullandschaft. Besonders im Vergleich zu Studiengängen einer anderen Öko-Branche, nämlich die der Ökonomie. Denn wie so oft in unserem echten Leben, sticht auch bei der Anzahl der Studiengänge die Ökonomie die Ökologie. Geld wird eben in der Ökonomie gedruckt und nicht in der Ökologie – denkt man.
Das Business der Ökosysteme
Aber brauchen wir denn tatsächlich Biodiversität? Ist sie für uns wirklich wichtig? Und ist das denn überhaupt ein Business Modell? Drei Fragen – eine klare Antwort: Ja! Natur macht all das schon immer. Und sogar wesentlich effektiver und nebenwirkungsfreier als unsere technischen Krücken.
Dabei tranchieren und filetieren Pflanzen, Bakterien und Pilze unermüdlich Schadstoffe. Im Boden, in