Antje Arnold

Superhummeln - Bedrohte Stars am Bestäuberhimmel


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würde da mitziehen. Als Wildbiene sollte man hier wirklich protestieren und auf die Straße gehen.

      Unsichtbare Leistung kann zwar unsere fleißige Bürokollegin vor einer Gehaltserhöhung schützen, aber leider keine einzige Wildbiene vor dem Aussterben. Im Gegenteil. Sie wird ihnen sogar lebensgefährlich, weil Unsichtbarkeit häufig mit Unwissenheit gepaart daherkommt. Ungute Kombination. Viele Wildbienen stehen deshalb mit ganz vorn dran, wenn Rote Listen sich mit affenzahnartiger Geschwindigkeit füllen. Rote Listen nennt man die Hitlisten der aktuell ausgestorbenen Lebewesen oder derjenigen, die kurz davorstehen und als gefährdet gelten. Mehr als die Hälfte unserer heimischen Bienenarten - nämlich 293 - stehen inzwischen für Deutschland drauf und sterben wie die Fliegen. Bereits 39 Arten davon sind unwiederbringlich verschwunden und weiteren Arten droht das gleiche Schicksal, wenn wir hier nicht schleunigst gegensteuern. Das Überleben der Honigbiene erscheint wichtig. Das Überleben der Wildbienen ist jedoch aus Sicht des Arten- und Naturschutzes und damit auch unseres Schutzes deutlich wichtiger und damit systemrelevant.

      Einer der wesentlichsten Gründe ihrer Gefährdung: Viele Wildbienenarten sind absolute Spezialisten in Sachen Bestäubung. Das bedeutet, sie folgen einem exakten kulinarischen Fahrplan und sammeln Pollen nur von wenigen oder im Extremfall sogar von nur einer einzigen Pflanzenart und bestäuben dabei. Naschen vom Nachbarteller ist da nicht drin. Das würde grässlich schmecken und zu Schlimmerem als nur zu banalen Durchfallattacken führen. Andersherum benötigt diese Pflanzenart eben genau diese eine Wildbienenart, um bestäubt zu werden, wegen der speziellen Anatomie des jeweiligen Blüten-Bienen-Paares. Wie Schlüssel-Schloss. Fällt Frau Bestäuberin aus, steht Miss Pflanze gleich mit auf der Roten Liste und umgekehrt. Und schon sind wir mittendrin im Artensterben. Und weil immer weniger blühende Wildpflanzen existieren, wird es zunehmend für Hummeln und Co. eng.

      Honigbienen nehmen es da längst nicht so genau. Keine einzige Pflanze oder Pflanzenfamilie wird allein von ihr bestäubt und ist damit von ihr abhängig. Zwei Beweise: Die Wikinger hielten bis zum Ende des zwölften Jahrhunderts Honigbienen. Als es dann aber wegen einer Kälteperiode für Honigbienen zu ungemütlich wurde, verschwanden sie unbemerkt. Erst um 1750 führte man sie wieder ein. Wildpflanzen haben diese Honigbienenpause nicht einmal bemerkt. Auch Amerika war vor Kolumbus honigbienenfrei. Kein Problem für vielfältige Blütenpflanzen sich dennoch zu entwickeln.

      Aber selbst in Sachen Landwirtschaft können manche Wildbienenarten Pluspunkte gegenüber Honigbienen verbuchen. Eigentlich dachte man bis vor kurzem, dass Honigbienen für die Landwirtschaft völlig ausreichend seien. Das stellte sich jedoch für bestimmte Trachten als falsch heraus. Wildbienen bestäuben nämlich deutlich effektiver, da Honigbienen so manch schlechtes Benehmen an den Tag legen. Zum einen sind Honigbienen oft sortenstetig. Das bedeutet, dass sobald die Späherbiene ihren Kameradinnen via Schwänzeltanz von einem blühenden Obstbaum erzählt, fliegen alle nur noch auf diesen Baum. Dabei kommen seine Blüten kaum in den Genuss des Pollens anderer Sorten. Viele sind jedoch mittlerweile sortensteril und können sich nicht selbst bestäuben. Das ist bei der Züchtung irgendwann mal aus Versehen passiert und hat was mit Genetik zu tun. Konkret führt es dazu, dass die Williams Christ Birne unbedingt Pollen von Sorten benötigt, die auf solch herrliche Namen hören wie Clapps Liebling, Gräfin von Paris, Köstliche aus Charneu. Sonst gibt es Willi weder für die Skifahrer auf der Hütte noch für die Stammtischbrüder des Schützenvereins. Ausschließlich mit Honigbienen gestaltet sich das schwierig.

      Deshalb engagiert man zur Bestäubung von Obstplantagen mittlerweile gerne eine Wildbiene namens Rote Mauerbiene, indem man Nester mit Brut in die Plantagen stellt. Im Frühjahr schlüpfen die Bienen, bestäuben und bauen neue Nester in bereitgestellte Unterkünfte. Damit legen sie den Grundstein für eine neue Generation im nächsten Jahr. Da Mauerbienen das typische Leben von Einsiedlerinnen leben und sich ihr Futter selbst suchen, müssen sie hier kreativer vorgehen. Gerne fliegen sie schon mal fröhlich im Zickzackkurs von einem Baum zum nächsten und tragen dabei Pollen von Baum zu Baum. Ihr zweiter Pluspunkt: Sie sammeln den Pollen trocken per Bauchbürste. Landen sie damit auf einer anderen Blüte, bleibt direkt etwas vom Pollen auf dem klebrigen Stempel hängen und – bang! Die Befruchtung hat funktioniert.

      Unsere Honigbienen fahren da eine andere, etwas egoistischere Strategie. Sie feuchten den Pollen mit Nektar an und kleben diesen Brei an die Sammelkörbchen ihrer Hinterbeine. Wie magnetisch wird dadurch noch mehr Pollen angezogen, anstatt zur Bestäubung freigegeben. Glück für die Honigbienen, Pech für die Blüten. Dazu kommt, dass trockener Pollen viel potenter ist als feuchter Pollen. Potenz gibt es also auch bei Pflanzenpollen und bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit einer Befruchtung wächst. Der dritte Pluspunkt ist, dass Mauerbienen pelzig behaart sind. Da bleibt im Gegensatz zu den recht nackten Honigbienen viel mehr Pollen im Wuschelhaar hängen und die Quote der Bestäubung steigt. Viertens teilen Honigbienen sich die Arbeit so stark auf, dass es unter ihnen Sammelspezialistinnen für Nektar oder für Pollen gibt. Nektarsammlerinnen vermeiden gerne den Kontakt mit Pollen und verweigern damit ihren Dienstleisterjob aus dem Symbiosedeal „Befruchtung gegen Nektar“. Obwohl ein Honigbienenvolk aus sehr vielen Individuen besteht, sammeln dennoch prozentual recht wenige Bienen Pollen und übernehmen damit eine echte Bestäuberfunktion. Bei den Mauerbienen agiert aber jede Biene als eine effektive Bestäuberin. Denn als solitär lebende Bienenart sorgt jede Einzelne selbst für ihre eigenen Nachkommen und interessiert sich deshalb für Pollen. Pollen ist schließlich die Hauptzutat für besten Bienenbabybrei. Fünftens reagieren Wildbienen nicht so zimperlich auf Kälte und fliegen schon bei kühleren Temperaturen als Honigbienen. Das gewährleistet Bestäubung, auch wenn das Wetter mal nicht so toll ist.

      Macht man sich die Mühe und zählt die Anzahl der Blütenbesuche der beiden Bienenarten in einer Stunde, wird man feststellen, dass die einzelne Mauerbiene mehr Striche bekommt als die einzelne Honigbiene. Manchmal passiert es sogar, dass Honigbienen den nahe gelegenen Apfelbaum ganz verschmähen. Sie haben viel mehr Bock auf die viel weiter entfernte Löwenzahnwiese, weil sie mehr Nektar bietet. Honigbienen fliegen zum Sammeln einen Radius von bis zu vier, zuweilen sogar zehn Kilometern. Das kann für den Obstbauern, der den Bienenstock extra zur Bestäubung in seiner Plantage platziert hat, bisweilen ärgerlich werden. Wildbienen verhalten sich da deutlich bodenständiger und vermeiden es, sich mehr als einen Kilometer vom Nest zu entfernen. Schließlich wäre dann ja keiner mehr zu Hause, der Haus und Hof verteidigen könnte.

      Auch Erdbeerkulturen profitieren von einer Bestäubung durch die Wilden. Roter, süßer und schöner werden die Früchtchen. Sie besitzen ein ausbalanciertes Säure-Zucker-Verhältnis und lassen sich besser lagern. Die Verantwortung für diese Qualitätsverbesserungen tragen die Wildbienen zu zwei Dritteln. Ihre Arbeit scheint eine spezielle Hormonproduktion bei den Erdbeeren anzuregen, die zu mehr Wohlgestalt und Wohlgeschmack führt. Honigbienen beteiligen sich daran nur zu einem Drittel. Dass Wildbienen wild auf Leistung sind und effektiver bestäuben als Honigbienen, zeigt sich mittlerweile in vielen Anbausystemen auf der ganzen Welt. Egal, ob in Südafrika die Sonnenblumen, in Brasilien die Mangos, in ganz Südamerika die Kürbisse, in Mittelamerika der Kaffee, in Australien die Macadamia–Nüsse oder in Niedersachsen die Kirschbäume. Überall bestätigt es sich, dass Honigbienen die vielfältige Wildbienengemeinschaft in Sachen Bestäubung nicht ersetzen können. Wildbienen spielen deshalb selbst in der Landwirtschaft eine deutlich größere Rolle als bisher geglaubt.

      Einige Wildbienenarten, vorn dran die Hummeln, beherrschen eine ganz besondere Bestäuberkunst - die Vibrationsbestäubung. Das ist nichts Anrüchiges, sondern ein hochfrequentes Gesimmse, statt des üblichen Gesummses. Die Hummel erzeugt den Ton, indem sie sich an die Pollensäckchen bestimmter Pflanzen festbeißt und ganz schnell daran rüttelt und ruckelt. Nur mit dieser Technik wird der Pollen freigegeben. Als berühmteste Pflanzenfamilie, die ihren Pollen nur an solch Vibratoren abgibt, muss man die Familie der Nachtschattengewächse mit ungefähr 1400 Arten hervorheben. Dazu gehören Kartoffeln, Tomaten, Auberginen, Physalis – alle bekannten Nutzpflanzen. Honigbienen würden sich hier beim Versuch Pollen zu sammeln die Zähne ausbeißen. Kartoffeln müssten zwar nicht unbedingt bestäubt werden, schließlich interessieren uns nur die Knollen auf unseren Tellern, aber bei Tomaten würde eine Welt und nicht nur Italien zusammenbrechen. Allein europäische Tomatenbauern produzieren