Probleme geschaffen, weil wir antik denken. Aber Probleme kann man nicht mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind. Deswegen haben wir – trotz aller technischen und wissenschaftlichen Fortschritte – immer noch Kriege, Folter, Korruption, Verhungern, Armut, etc. Daran wird sich nichts ändern, wenn wir unser Denken nicht weiter entwickeln.
Im ersten Teil des Buches geht es darum, zu verstehen, was wir, warum, wie, wann denken. Denn das, was wir denken, bestimmt das, was wir tun. Und das, was wir jetzt tun, bestimmt, welche Probleme wir in Zukunft haben werden. Das bestimmen nicht die Götter, nicht das Schicksal, Glück oder Pech und auch nicht der Zufall. Das bestimmt unser Denken.
Der zweite Teil besteht aus 20 Beispielen für neues Denken und aus Versuchen, ein neues Denken zu entwickeln.
Im dritten Teil, der Tabelle 9 im Anhang, werden mehr als 100 Denkarten beschrieben, unter denen wir auswählen können. Dort werden jeweils ihre Merkmale, die Eignungen und Stärken, sowie die Nachteile und Schwächen dargestellt.
Mein Wunsch ist, dass dieses Buch möglichst vielen Menschen
- bewusst macht, an welche Beschränkungen im Denken wir uns gewöhnt haben,
- bewusst macht, wie viele Variationen möglich sind, um neu und erfolgreicher zu denken,
- Mut macht, mit neuem Denken mitzuhelfen, damit eine Welt ohne Kriege, ohne Verhungern und ohne Unterdrückung entsteht.
Einige Personen, mit denen ich über dieses Buchprojekt gesprochen habe, waren zunächst sehr skeptisch: „Du träumst von einer Welt ohne Kriege, ohne Mord und ohne Armut? Vergiss es! Das wird es nie geben! Der Mensch ist nun mal so, wie er ist. Schon aus biologischen Gründen ist er fähig, Gewalt anzuwenden, und er denkt zuerst an sein eigenes Überleben!“
Diese Argumente erscheinen zunächst durchaus plausibel, sie sind aber das Ergebnis von paradigmatischem Denken. Es gab Zeiten, da war auch ich davon überzeugt, dass das alte (vereinfachte) römische Paradigma richtig sei: „homo homini lupus“, d.h. „Der Mensch ist des Menschen Wolf.“
Ich weiß sehr wohl, dass der Mensch grundsätzlich fähig sein kann, andere zu töten. Aber: ob er tötet, und wann, wie und wie oft, das hängt davon ab, wie er denkt. Und wenn wir die Art, wie wir heute denken, weiterentwickeln, dann können wir dafür sorgen, dass es zukünftig weniger Kriege, Morde, Unterdrückungen etc. geben wird.
WARUM ENTSTAND DIESES BUCH?
Dieses Buch entstand ursprünglich mit der Absicht, eine Quintessenz zu ziehen aus den wichtigsten Erfahrungen meines 40-jährigen Berufslebens als Schaden- und Risikoforscher. Der anfangs geplante Schwerpunkt „Schadenursachen und -verhütung“ hat sich aber schnell verlagert auf das Thema „Denken“. Dieser Wandel mag insofern überraschend sein, da man von mir, einem Ingenieur, kein Buch über das Denken erwartet. Wie kam ich nun als Naturwissenschaftler auf ein eher geisteswissenschaftliches Thema? Die Antwort lautet: Über die berufsbedingte Erforschung der Misserfolge der Menschen.
Meine Berufswahl war vorgezeichnet durch den Besuch eines mathematisch-naturwissenschaftlichen Gymnasiums. Das darauf folgende Ingenieurstudium der Werkstoffwissenschaften war eine intensive Mischung aus Neugier, Mühsal, spannenden Experimenten und faszinierend tiefen Einblicken in das Verhalten von Materie. Daraus entstanden später noch faszinierendere tiefe Einblicke in das Verhalten von Menschen.
Unmittelbar nach Abschluss des Studiums im Jahr 1977 startete ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Allianz Zentrum für Technik GmbH, AZT. Das war ein Tochterunternehmen der Allianz Versicherungs-AG in Ismaning, einem Vorort von München. Die Aufgabe des AZT war vorwiegend, komplizierte Schäden in der Industrie zu untersuchen, aber auch Risiken aus allen Bereichen der Gesellschaft, wie z.B. dem Straßenverkehr, Haushalt oder Bauwesen. Das AZT galt damals, bezüglich Kompetenz und technischer Ausstattung, als das führende Schadenforschungszentrum der Welt.
Meine wissenschaftliche Tätigkeit konzentrierte sich in der Zeit von 1977 bis 2010 auf folgende Gebiete, wobei die jeweils gewonnenen Erfahrungen sukzessive aufeinander aufbauten:
- Schadenursachen
- Schadenverhütung
- Risikomanagement
- Zukunftstrends
- Katastrophenursachen
- Katastrophenschutz.
Ich untersuchte Missgeschicke vielfältigster Art, wie z.B. Unfälle in Kernkraftwerken oder in Bergwerken, Stromausfälle in Hochsicherheitsrechenzentren oder in Einkaufszentren, das Klima in Vorstandsetagen von Großkonzernen oder in den Abwasserkanälen darunter, Überhitzung im Dampfkessel des größten Öltankers der Welt oder im Hexenkessel einer Hooligantribüne, Gedankenlosigkeit in einem 747-Cockpit oder in einem Eisenbahn-Stellwerkshäuschen, Irrtümer von meinen Chefs oder von mir. Das war nicht immer lustig, aber immer spannend.
Die wichtigsten Erfahrungen durfte ich in vielen Vorträgen und Publikationen an die Öffentlichkeit weitergeben und zur Diskussion stellen. Das hat mein Berufsleben zusätzlich bereichert. Es wurde gewissermaßen ein Teil meiner Berufung.
Hinzu kamen meine Erfahrungen aus vielen Abenteuern als Bergsteiger und – noch intensiver – als Höhlenforscher. Auch dabei lernte ich, wie Menschen mit elementaren und existenziellen Risiken umgehen, wie sie (und auch ich) diese Risiken geistig, seelisch und körperlich bewältigen und wie nicht. Die Erlebnisse reichten einerseits von Klaustrophobie über Halluzinationen bis Panik, andererseits von tiefer Ehrfurcht über ausgelassene Lebensfreude bis zu Wiederbelebungen.
In diesem Buch sollen nun nicht die unterhaltsamen oder technischwissenschaftlichen Aspekte vorgestellt werden, sondern die Erkenntnisse auf der geistigen Meta-Ebene. Sie führen zu den Antworten auf die Fragen:
- Warum geht etwas schief?
- Welche Rolle spielt dabei unsere Art zu denken?
- Wie können wir neu denken?
- Wie müssen wir neu denken?
Diese Antworten zu finden und zu veröffentlichen, dazu fühle ich mich heute berufen.
Das Denken neu zu denken, das geschieht nicht mit einem einzigen Kunstgriff, sondern Schritt für Schritt. Wort für Wort. Gedanke für Gedanke. Gespräch für Gespräch.
EINLEITENDE UNTERSUCHUNGSERGEBNISSE ZUM THEMA „DENKEN“
ÜBLICHES DENKEN ÜBER DIE URSACHEN VON SCHÄDEN
Trotz der zunächst unüberschaubaren Vielfalt an Forschungsergebnissen kristallisierten sich im Laufe der ersten Berufsjahre grundlegende Befunde heraus, die mich zunächst auch selbst verblüfft haben. Die wesentlichsten Erkenntnisse aus dieser Zeit waren:
1. Die Menschen denken üblicherweise monokausal. Sie glauben, dass jeder Schaden eine ganz bestimmte Ursache hat. Die wissenschaftlichen Untersuchungen ergaben jedoch: Schäden und Leid entstehen niemals durch eine einzige Ursache, sondern immer durch ein Zusammenwirken von verschiedenen Ursachen,
- die, jede für sich allein, harmlos sind,
- die u. U. jahrelang vorhanden sind,
- die zunächst nichts miteinander zu tun haben,
- die meist durch eine Kleinigkeit miteinander verknüpft werden,
- deren Verknüpfung nicht bedacht und nicht vorhergesehen wird1.
2. Die Menschen denken, dass man mit der Einführung einer Sicherheitsmaßnahme das Risiko reduzieren kann. Tatsächlich reduziert jede neu eingeführte Sicherheitsmaßnahme das alte Risiko, aber sie erzeugt ein neues Risiko, weil sich mit der höheren Sicherheit das Verhalten der Menschen ändert. Sie gehen neue Wagnisse ein. Die Folge davon ist: Die Summe aller Risiken bleibt immer gleich. Die Wissenschaft nennt dieses Phänomen „Risikohomöostase“. Der Volksmund drückt es so aus: „Wenn es dem Esel zu wohl wird, geht er aufs Eis.“
3. Die Menschen denken vorwiegend, dass Schäden und Leid durch plötzliche und unvorhersehbare Ereignisse (Untat, Unfall oder Unglück) verursacht