Rudolf Dr. Kreutzer

Denken neu denken


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Politiker: Bei über 90 % wird Anderen die Schuld am Nichterreichen eines Ziels gegeben.

      - Manager: Über 90 % geben Anderen die Schuld an Verlusten.

      - Fußballspieler: Bei über 90 % ihrer Fouls ist der Gegner schuld oder wird dem Schiedsrichter ein Fehler unterstellt.

      - Bei streitenden Kindern ist in über 90 % der Streitfälle das andere Kind schuld.

      Offensichtlich gibt es nach Misserfolgen keine signifikanten Unterschiede zwischen dem Denken von Erwachsenen und dem von Kindern. Dass die Menschen im ersten Augenblick des Erkennens eines Misserfolgs die Schuld nicht gerne bei sich suchen, ist nicht überraschend. Die Ursachenzuweisung ist jedoch bei denselben Personen völlig gegenläufig, wenn sie nach den Gründen für ihre Erfolge gefragt werden. Dann sehen sie die Ursachen nicht bei Anderen, sondern fast nur in ihrer eigenen Person begründet. In diesen Fällen attribuieren sie nicht external, wie bei den Misserfolgen, sondern internal.

      Dieselben Personen verhalten sich erneut inkongruent, wenn sie nach den Ursachen von Erfolg und Misserfolg von anderen Menschen gefragt werden. Deren Erfolge werden überwiegend external attribuiert („Naja, das hätte er alleine nie geschafft.“) und deren Misserfolge internal („Ich hab’s ja vorher gewusst: Er ist völlig ungeeignet.“). Auch an diesen inkongruenten Zuweisungen kann man misserfolgsorientierte Menschen erkennen.

      Spannend wird es, wenn man das weitere Nachdenken verfolgt. Normalerweise kommen nach Misserfolgen allmählich einige Selbstzweifel und man überlegt sich, ob man nicht doch irgendwie / irgendwann / irgendwas hätte anders machen können, um den Misserfolg zu vermeiden. Und nach Erfolgen, bei denen Andere mitgewirkt haben, kommt dann – hoffentlich doch noch – das Gefühl der Dankbarkeit, so dass man sich bei den Unterstützern in angemessener Form erkenntlich zeigt (siehe auch meine Danksagung am Ende des Buches).

      Wie gut dieses Nachdenken funktioniert, das entscheidet letztlich darüber, welcher Erfolgstyp man im Verlaufe des Lebens wird:

      - Dauerhaft erfolgreiche Menschen suchen bei jedem Erfolg und bei jedem Misserfolg zuerst die Ursache bei sich (internal), danach auch external. Gleichermaßen verfahren sie, wenn sie nach den Erfolgen / Misserfolgen von anderen Menschen gefragt werden.

      - Dauerhaft misserfolgreiche Menschen suchen bei eigenem Erfolg die Ursache nur internal, und bei eigenem Misserfolg nur external. (Bei fremdem Erfolg / Misserfolg verhalten sie sich meist umgekehrt.) Sie neigen darüber hinaus zu den Verallgemeinerungen wie „immer“ und „nie“.

      ÜBLICHES DENKEN VON FÜHRUNGSKRÄFTEN IN DER WIRTSCHAFT

      Anfangs der 1990er Jahre hatte ich angenommen, dass ich die besten Beispiele für ein dauerhaft erfolgreiches Verhalten am ehesten in den Führungsetagen der deutschen Wirtschaft finde. Auf der Suche nach solchen aktuellen und bedeutenden Vorbildern habe ich deshalb bei einigen großen Unternehmen um Interviews gebeten. Die Auswahl bezog sich auf Personen, die von führenden Wirtschaftsmagazinen als Topmanager bezeichnet wurden. Sie trugen Auszeichnungen, wie z.B. Manager of the Year, Ehrendoktorwürde, Bundesverdienstkreuz u.v.a.m.

      Die beiden Hauptfragen nach ihren persönlichen Attributionsstilen bzw. Kontrollüberzeugungen lauteten:

      - „Wo sehen Sie die Gründe für Ihre Erfolge?“

      - „Wo sehen Sie die Gründe für Ihre Misserfolge?“

      Meine Hoffnung, jeweils ein Vorbildverhalten für Erfolgsorientierung bestätigt zu bekommen, wurde fast jedes Mal enttäuscht. Weil ich dieses negative Ergebnis nicht glauben konnte und auf eine höhere Validität überprüfen wollte, habe ich anschließend meine Befragung auf fast 200 Führungskräfte in der deutschen Wirtschaft ausgeweitet. Gefragt wurden vor allem DAX-Unternehmen, aber auch viele andere Marktführer in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre. Das Ergebnis hat mich erschüttert:

      Die deutliche Mehrheit der Führungskräfte hatte die o.g. Merkmale der dauerhaft misserfolgreichen Menschen.

      Dieses Ergebnis hat bei mir selbst natürlich viele Zweifel aufgeworfen, wie z.B.:

      - Habe ich die falschen Fragen gestellt?

      - Habe ich die Antworten missverstanden?

      - Haben die Gefragten vielleicht nicht ehrlich geantwortet?

      - Habe ich die falschen Schlüsse gezogen?

      - Habe ich falsch ausgewertet?

      - Habe ich die falschen bzw. die nicht repräsentativen Personen befragt?

      Falls alles mit „Nein“ zu beantworten wäre, oder anders formuliert, falls meine Studienergebnisse korrekt wären, müsste ich mich fragen:

      - Warum wurden diese offenbar misserfolgsorientierten Menschen zu Führungskräften ausgewählt?

      - Welche Erfolge könnte die deutsche Wirtschaft erwarten, wenn dagegen die Mehrheit der Führungskräfte aus dauerhaft erfolgreichen Menschen bestünde?

      Falls alle o.g. Zweifel mit „Ja“ zu beantworten wären, bzw. falls die Studienergebnisse alle falsch wären, kann ich mich fragen:

      - Warum gibt es so viele Spitzenmanager (oder auch Spitzenpolitiker), die nach einem eindrucksvollen Höhenflug dramatisch abgestürzt sind?

      - Warum gibt es nur so wenige Spitzenmanager, die auch nach dem Ende ihres Berufslebens bzw. in hohem Alter noch als Vorbilder für erfolgreiches Führen gelten?

      Es liegt ganz einfach an einer besonderen und tief verankerten Attributionskultur in der Wirtschaft. Wenn ein Unternehmen Erfolg hat, dann wird das häufig – vor allem firmenintern – den amtierenden Spitzenmanagern zugeschrieben. Daraus leiten sie das Recht auf hohe Gehälter und Bonuszahlungen ab. Wenn es dagegen misserfolgreich ist, dann wird die Ursache externen Gründen zugeschrieben, wie z.B. der staatlichen Wirtschaftspolitik, den Gewerkschaften, dem geänderten Konsumverhalten, der unfairen Konkurrenz oder der Globalisierung. Diese Gründe kann man tatsächlich nachlesen in den jährlichen Geschäftsberichten. Selbst die größten und namhaftesten Konzerne pflegen diese Kultur. Die hohen Bonuszahlungen bleiben unverändert, selbst wenn Milliardenverluste eingefahren worden sind, wie z.B. nach verfehlten Jahreszielen oder nach misslungenen Fusionen.

      Der größte Misserfolg für ein Unternehmen ist letztlich eine Insolvenz, die zur Auflösung des Unternehmens führt. Auch in diesem Fall attribuieren die Führungskräfte – zumindest in Deutschland – external. In Japan hingegen ist es Usus, dass die Topmanager die Schuld auf sich nehmen.

      Es ist aus externer bzw. neutraler Sicht bemerkenswert, dass keine der spektakulärsten Insolvenzen der letzten Jahrzehnte durch äußere Ursachen oder Ereignisse entstanden ist. Die Ursachenzuweisung muss somit „internal und permanent“ erfolgen und sie weist jeweils auf einen Zustand des Missmanagements hin, der sich über längere Zeit hinzog:

      - Texaco: 1987

      - Coop: 1989

      - Barings Bank: 1995

      - Mannesmann: 2000

      - Enron: 2001

      - Kirch Media: 2002

      - Philipp Holzmann: 2002

      - Swissair: 2002

      - Parmalat: 2003

      - Worldcom: 2005

      - Lehman Brothers: 2008

      - General Motors: 2009

      - Schlecker: 2012

      - Financial Times Deutschland: 2012

      - Praktiker: 2013

      - Air Berlin: 2017

      Misserfolge durch Zustände

      Es gibt daneben zahlreiche Unternehmen, die bekanntermaßen durch plötzliche Ereignisse spektakuläre Verluste erlitten haben. Sie werden üblicherweise „internal und temporär“ oder „external und temporär“ attribuiert:

      - Hoffmann-La-Roche: 1976, Seveso

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