»Da verlor er die Nerven. Er ist durch das Fenster da abgehauen.«
Der Mann wies mit einer Kopfbewegung zum scheibenlosen Viereck in der Schmalseite. Clay drehte sich. Seine Waffe sank herab. Es war ein glattes, fremdes Gesicht. Dunkle, wache Augen musterten ihn. Der Mann war um die dreißig, mittelgroß, schlank. Sein Stadtanzug war zerknittert und verstaubt, die Kragenschleife aufgerissen. Seine Hände waren über dem Kopf zusammengeschnürt. Trotzdem lächelte er.
»Ich hatte den Halunken gesagt, dass sie keine Chance gegen Sie haben würden, Captain. Nicht gegen einen Mann, der als ,Sieger vom Moberty Creek‘ in die Geschichte des Bürgerkriegs eingegangen ist.«
Ein Schatten überflog Clays Miene.
»Nennen Sie mich nicht Captain, Mister! Die Vergangenheit ist lange tot.«
Das Lächeln des Gefesselten blieb. Ein Funkeln erschien in seinen Augen.
»Wenn es sich so verhielte, Lorman, wären Sie kaum den langen Weg von New Mexico zum South Platte River heraufgeritten.«
Clay ging zu ihm. »Sie sind Pat Scobey, stimmt’s?«
Das war der Name, der unter dem Brief stand, den er bei sich trug. Scobey lachte. Er sah plötzlich wie ein Junge aus. Seine Augen strahlten.
»Stimmt! Ich hab eine Menge über Sie gehört, Lorman, aber die Art, wie Sie sich eben eingeführt haben, schlägt alles. Mann, das ist ein Kennenlernen ganz nach meinem Geschmack!«
»Nicht nach meinem!«, murmelt Clay. Er dachte an den Toten, der draußen vor der Hütte lag.
»Ich hoffe, Sie binden mich trotzdem los, damit ich Ihnen die Hand schütteln kann!« Und während Clay die Stricke zerschnitt, fuhr er fort: »Weiß der Henker, wie Clinton Verdacht geschöpft hat, dass ich Ihnen einen Brief geschrieben habe. Jedenfalls hetzte er mir seine Freunde auf den Hals, und die fanden prompt die Durchschrift meiner Nachricht an Sie. Seit fünf Tagen hocken die beiden Kerle nun schon hier draußen und warten auf Sie. Für lumpige hundert Dollar, die Clinton ihnen versprochen hat. Teufel, das sind schon lausige Zeiten, wenn der Skalp eines Mannes wie Sie einer sind, nicht höher im Kurs steht! Was, Lorman?«
Er war nicht beleidigt, als Clay die Hand übersah, die er ihm hinstreckte. Clay hatte sich bereits wieder der Tür zugewandt. Der zweite Heckenschütze war noch immer irgendwo da draußen, und Clay war kein Mann, der einen unbekannten Gegner unterschätzte. Schon gar nicht, wenn er wusste, dass sein ehemals bester Freund ihm diesen Burschen auf den Hals gehetzt hatte.
»Einen Mann wie Rhett Clinton zum Feind zu haben ist keine Lappalie. Warum haben Sie’s riskiert, Scobey?«
»Ganz bestimmt nicht, um Ihre Dankbarkeit zu ernten, wenn Sie das befürchten«, lachte Scobey jungenhaft. »Vielleicht, weil sonst niemand da war, der Ihnen den richtigen Tipp geben konnte. Diese Zeit ist verdammt schnelllebig. Als gleich nach dem Bürgerkrieg alles drunter und drüber ging, waren die Geschichten um den ,Sieger vom Moberty Creek‘, die damals in allen Zeitungen standen, schnell vergessen. Aber nicht hier ...« Er blinzelte verschwörerisch und legte kurz die Fingerspitzen an die Stirn. »Schließlich war ich damals einer von denen, die Ihren Ruhm verbreitet haben, Captain. Ein Mann vom Fach sozusagen. Sie verstehen?«
Clay kniff die Augen zusammen.
»Einer, der es sich nicht entgehen lässt, Schicksal zu spielen, wenn dafür ein Batzen Geld für ihn herausspringt.«
Scobey zuckte die Achseln.
»So krass würde ich das nun nicht sagen. Aber ... na ja, die Zeiten sind wirklich erbärmlich! Da muss jeder sehen, wo er bleibt. Fest steht, dass Sie seit zwei Jahren auf ein Wiedersehen mit dem damals spurlos verschwundenen Clinton warten. Fest steht auch, dass ich ein gemachter Mann bin, wenn ich dieses, hm, Wiedersehen groß in meiner Zeitung 'rausbringe. Dann kann ich meine Artikel sogar an Harpers Weekley verkaufen. So ist uns beiden geholfen, Lorman. Warum auch nicht? Das Ganze ist nichts weiter als ein ...« Er verstummte, als er den harten Glanz in Clays grauen Augen bemerkte. Augen, die die Hölle gesehen hatten und deren Blick er auf einmal nicht mehr ertrug. »Glauben Sie nur nicht, es war einfach, nach zwei Jahren rauszufinden, wo Sie steckten, Lorman, nachdem der Zufall Clinton nach Julesburg verschlug!«, erklärte er hastig. »Wer wäre auch schon auf die Idee gekommen, dass Sie in irgendeinem Kaff im Süden von New Mexico den Stern genommen haben. Ich musste da ’ne Menge Hebel in Bewegung setzen und Beziehungen spielen lassen, bis ...«
»Schreiben Sie Ihre Unkosten zusammen! Sie bekommen Ihr Geld.«
»Du liebe Zeit, Lorman, so war’s doch nicht gemeint! Ich will nur, dass Sie verstehen, wieviel für mich davon abhängt, dass ...«
»Dass ich Rhett Clinton vor meinen Revolver hole! Auch auf die Gefahr hin, selber dabei auf der Strecke zu bleiben.«
»Nicht doch!«, grinste der Zeitungsmann angestrengt. »Sie haben eben bewiesen, dass Sie immer noch unschlagbar sind. Die Leute werden begeistert sein, wenn es wieder mal Schlagzeilen von Ihnen gibt. Der ,Sieger vom Moberty Creek‘, der zurückkehrt, um mit seinem einstmals besten Freund abzurechnen! Das wird wie eine Bombe einschlagen, Lorman, darauf geb' ich Ihnen meine Garantie!« Hastig zückte er einen ledergebundenen Notizblock und einen Schreibstift. »Wieso ist es zwischen Clinton und Ihnen damals eigentlich so weit gekommen? Es hieß, eine Frau wäre mit im Spiel gewesen als ...«
»Ich bin hergekommen, um Rhett Clinton wiederzusehen, wie Sie es nennen, Scobey, nicht, um Interviews zu geben«, unterbrach Clay ihn schroff.
Auf der anderen Hofseite hämmerte Hufschlag hinter dem Schuppen los. Er entfernte sich schnell nach Norden. Die Männer im Haus bekamen niemanden zu sehen. Scobey war zusammengezuckt. In seinem Eifer hatte er vergessen, wo sie sich befanden.
»Er flieht!«, rief er. »Er wird Clinton warnen. Jetzt dürfen wir keine Zeit mehr verlieren, Lorman!« Er war schon an der Tür, als Clay ihn am Arm erwischte und zur Seite riss. Keinen Sekundenbruchteil zu früh. An der Schuppenecke peitschte es. Kugeln pfiffen herein.
Erschrocken presste sich Scobey an die Bretterwand.
»Du lieber Himmel! Lorman, woher wussten Sie ...?«
»Es war nur ein Pferd, das die Farm verließ. Warum hätte der Schurke die anderen Gäule zurücklassen sollen?« Clay ergriff das neben dem Fenster lehnende Gewehr und hielt es dem Zeitungsmann hin. »Geben Sie mir Feuerschutz, Scobey, dann werde ich ...«
»Verdammt will ich sein, wenn ich je in meinem Leben ein Schießeisen anfasse!« Scobey schüttelte heftig den Kopf. »Jedem das Seine! Ich bin ein Mann der Feder, nicht der Waffe. Und immerhin hat es der Bastard dort draußen nicht auf meinen, sondern Ihren Skalp abgesehen, Lorman.« Mühsam lächelnd und ein wenig bleich um die Nase, fügte er hinzu: »Ich bin nur Zuschauer. Das ist mein Job.«
»Ach so.« Ruhig stellte Clay das Gewehr zurück. »Sie fürchten wohl, der Pulverdampf könnte Ihren Blick so trüben, dass Sie hinterher nicht mehr wissen, was Sie gesehen haben und in Ihrer Zeitung schreiben sollen. Wie heißt das Blatt eigentlich?«
Drüben knallte es wieder. Scobey duckte sich instinktiv.
»Es wird erst einen Namen bekommen«, krächzte er. »Platte River Courier oder so ähnlich. Jedenfalls bin ich überzeugt, dass es von der ersten Nummer an wie warme Semmeln weggehen wird, wenn Ihre Geschichte drinsteht.«
»Sie sind ein Optimist, Scobey.«
»Sie etwa nicht?«
»Momentan bin ich nur ein Mann, der vorhat, am Leben zu bleiben. Auch ohne Ihren Feuerschutz.«
Clay war schon draußen. Der Kerl an der Schuppenecke sah ihn als einen jäh unterm Vordach hervorschnellenden gestreckten Schatten. Da beging der Bandit den Fehler, den er schon mal gemacht hatte: Er schoss viel zu schnell. Dabei schob er sich halb hinter dem Schuppen hervor, um besser zielen zu können. Clay ging mit der aufgestützten Linken in die Hocke. Er schoss nur einmal. Als er im nächsten Moment geschmeidig hochkam, lag der Mann beim Schuppen mit dem Gesicht reglos im Staub. Steifbeinig ging Clay zu ihm. Er hielt die Waffe