Lothar Seiwert

Arturs Geheimnis


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Unzufriedenheit mit dem Leben und der weisen Hamsterin am grünen See gab.

      Wieso hatte er noch nie von ihr gehört? Worin bestand ihr Geheimnis? Wusste sie vielleicht etwas, das ihm konkret weiterhelfen würde? Je mehr solcher Gedanken ihm durch den Kopf schossen, desto unruhiger wurde Artur.

      Schließlich konnte er sich nicht länger beherrschen und rief dazwischen: »Ja, aber was ist denn nun mit dem grünen See?«

      »Meine Vorfahren sagten, er liege irgendwo im Norden. Davor kommt erst ein großer Wald und dann eine sumpfige Gegend – oder war es eher eine Steinwüste? Hm, ich bin mir gerade nicht sicher …«

      »Aber das ist doch schon mal ein Anhaltspunkt«, rief Artur tatendurstig. »Ich werde diesen See finden!«

      Hastig schnürte er sich die Schuhe etwas fester zu und schnappte sich sein Notizbuch.

      »Nein, warte«, rief Hella erschrocken, »so kannst du doch nicht losziehen!«

      Aber Artur war nicht mehr aufzuhalten. Er nickte seinen fünf Freunden noch einmal zu und sauste los in die Nacht.

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      Neugier

      Artur begegnet einem Erdgeist

      Der Mond war schon weitergewandert, als sich Artur seinen Weg durch das verwüstete Feld bahnte. Statt wie sonst unbekümmert an den Pflanzenreihen entlangzuflitzen, musste er gut achtgeben, wohin er lief. Mal hatte der Hagel regelrechte Wasserlachen gebildet, dann musste er einen Umweg machen. Mal bildeten die abgebrochenen Halme ein nahezu undurchdringliches Dickicht; dann versuchte er, darüber hinwegzuklettern.

      Es war mühsam und Artur kam nur langsam voran. Aber er war voller Energie und Tatendrang. Endlich passierte etwas Besonderes! Das würde ihn als Schriftsteller ein großes Stück weiterbringen. Außerdem freute er sich, dass er auf diese Weise in ganz neue Gegenden vorstieß. So hatte doch alles Schlechte auch sein Gutes.

      Doch plötzlich kam er nicht mehr weiter. Ein Erdwall türmte sich vor ihm auf. Der Hagel war an dieser Stelle wohl mit einer solchen Wucht auf den Boden aufgeschlagen, dass sich daneben eine fast senkrechte Wand aus Erde gebildet hatte.

      Artur wollte an ihr hochklettern, doch sie war so glitschig, dass seine Pfoten keinen Halt fanden. Er versuchte es immer wieder, aber es war nichts zu machen: Jedes Mal schlitterte er die wenigen Zentimeter, die er geschafft hatte, rückwärts wieder hinunter.

      Hin und wieder lösten sich einzelne Schlammbrocken und krachten in Richtung Boden. Artur konnte ihnen jeweils gerade noch rechtzeitig ausweichen. Aber um den Wall herumlaufen konnte er auch nicht, dort versperrten ihm riesige Wasserlachen den Weg.

      Sei offen für Neues.

      Artur grübelte. Und er war so in Gedanken versunken, dass er anfangs das merkwürdige Geräusch gar nicht wahrnahm. Dann auf einmal hörte er das Fiepen. Oder war es eher eine Art Pfeifton? Wie auch immer, das Geräusch schien mitten aus dem Schlammwall zu kommen.

      Artur gruselte sich. Sollte das etwa einer dieser Erdgeister sein, von denen Karl einmal erzählt hatte? Er überlegte, ob es nicht doch einen vernünftigeren Weg gäbe, um ans Ende des Feldes zu kommen.

      Aber dann siegte Arturs Neugier. Er spitzte die Ohren, um das Geräusch näher zu lokalisieren.

      Da! Es schien von etwas weiter links zu kommen. Vorsichtig tappte Artur in diese Richtung. Das Fiepen wurde lauter.

      »Hallo, ist da jemand?«, rief Artur.

      Statt einer Antwort erscholl eine Art Rumpeln aus dem Erdwall. Erschrocken machte Artur einen Satz zurück. Was, wenn es wirklich ein Erdgeist war? Fraßen Erdgeister Hamster? Er wünschte, Karl wäre jetzt bei ihm. Sollte er zurücklaufen und seinen brummeligen Kameraden zu Hilfe holen?

      Aber nein, er konnte doch nicht so bald wieder umkehren! Außerdem wollte er nun wirklich gern wissen, wie der Erdgeist aussah. Vielleicht war das seine einzige Chance, jemals einen solchen Geist zu treffen? Karl würde ganz schön staunen, wenn er ihm davon erzählte.

      Die Neugier hatte Arturs Angst weggefegt. Aufgeregt hüpfte er auf der Stelle auf und ab. Dann versuchte er es noch einmal: »Hallo, Erdgeist, wo bist du? Kannst du mich hören?«

      Das Fiepen wurde lauter, und nun begann der Wall in der Nähe von dort, wo Artur stand, zu vibrieren.

      »Huch?!«, entfuhr es ihm unwillkürlich, doch schon rannte er zu der Stelle hin.

      Erst zaghaft, dann immer entschlossener begann Artur zu graben. Das war gar nicht mal so leicht, denn der Schlamm war so feucht, dass seine Pfoten ständig verklebten.

      Gerade wollte er einen dicken Erdbatzen beiseite schaufeln, als er auf etwas stieß, und da hörte er auch schon ein lautes »Autsch!!«

      Verblüfft hielt Artur inne. Er hätte gedacht, dass sich Erdgeister etwas gewählter ausdrückten.

      Im nächsten Moment erschien der Kopf des Erdgeistes und Sekunden später hatte sich seine ganze Gestalt aus dem Erdwall herausgeschält. Halb körperhaft, halb körperlos tanzte der Erdgeist wie ein flatterndes braunes Nachthemd vor Artur hin und her.

      »Pass doch auf!«, schimpfte der Erdgeist. »Das ging direkt ins Auge. Ich habe doch extra gefiept, um zu zeigen, wo ich bin.«

      »Entschuldige bitte!«, gab Artur zurück, »ich wusste nicht, dass ich dir wehtue.«

      Fasziniert starrte er sein Gegenüber an. Wie sich dieses Nachthemd wohl anfühlte – wie ein ganz kurzes Fell oder eher wie eine Fischhaut? Zu gern hätte Artur den Erdgeist angefasst, aber traute sich nicht so recht. Denn dieser hatte sich inzwischen zu seiner vollen Größe aufgerichtet und sah Artur prüfend an. Es war ein strenger Blick, aber wenn Artur nicht so aufgeregt gewesen wäre, hätte er das Wohlwollen darin bemerkt.

      »Was machst du hier überhaupt? Ihr Hamster lebt doch eigentlich am anderen Ende des Feldes.«

      »Ich bin unterwegs, um einen See auszukundschaften«, antwortete Artur.

      »Aha. Und warum gerade du?«

      »Wie, was meinst du damit?«

      »Warum bist du und nicht einer der anderen Hamster losgezogen?«, fragte der Erdgeist.

      »Ich habe mich freiwillig gemeldet. Ich wollte es gern.«

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      »Warum?«

      Immer diese Warum-Fragen! Artur wollte gerade eine leicht patzige Antwort geben, hielt dann aber inne. Denn eigentlich war es eine gute Frage. Warum war er so begierig darauf gewesen, den See auszukundschaften? War es die Suche nach schriftstellerischen Themen? Oder wollte er seine Gefährten durch seinen Mut beeindrucken? Nein, das traf es alles nicht. Seine Motivation war irgendwie unbestimmter und zugleich grundsätzlicher.

      »Ich wollte mal etwas anderes erleben«, antwortete er schließlich, »und dies schien mir eine gute Möglichkeit zu sein.«

      Wieder blickte der Erdgeist ihn forschend an.

      »Und was versprichst du dir von ›dem anderen‹, wenn ich fragen darf?«

      »Ich … ich weiß nicht recht«, stotterte Artur. »Aber ich habe manchmal das Gefühl, dass immer nur zu hamstern furchtbar langweilig ist. Mitunter fühle ich mich innerlich ganz leer.«

      »Nicht schlecht«, murmelte der Erdgeist zu sich selbst. An Artur gewandt sagte er: »Du bist auf dem richtigen Weg, mein Freund. Das Gefühl von innerer Leere ist etwas Schreckliches und du tust gut daran, etwas dagegen zu unternehmen. Ich werde dir jetzt helfen, diesen Erdwall zu überwinden.

      Aber für deinen weiteren Weg ist es noch viel wichtiger, dass du gut auf dein Inneres achtgibst – auf deine Erfahrungen und Gefühle. Dann wirst du dich weiterentwickeln.«