Susanne Gantner

Ein Gloria zum Sterben


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wohl nicht sympathisch?»

      «Nicht sympathisch, nicht sympathisch! Melanie war eine eingebildete Gans. Sie meinte, sie sei die Callas von Zürich – mit ihrem fürchterlichen Vibrato*. Gut, dass sie uns nicht mehr auf den Wecker geht.»

      «Haben Sie eine Ahnung, wer die Frau ermordet haben könnte?»

      «Oh, ihre eigene Bosheit hat sie umgebracht, davon bin ich überzeugt.»

      «Okay, Frau von Blumenthal, sind Sie nach der Probe noch zum Umtrunk in den „Leuen“ gegangen?»

      «Oh nein, das mache ich nie. Wir vier Frauen vom Alt treffen uns nachher regelmässig zu einem Jass und einem Tee bei Liseli.»

      «Bei Liseli?»

      «Ja, bei Liseli Fischer. Bernadette Trachsler und Frieda Ermotti sind auch dabei.»

      Bonsai schrieb die Namen in sein Notizbuch. «Sie sind gestern alle zusammen zu Liseli Fischer gegangen, um Karten zu spielen?»

      «Sicher.»

      «Und wann haben Sie die Kirche verlassen.»

      «Nach der Probe.»

      «Ist Ihnen nichts Aussergewöhnliches aufgefallen?»

      «Was soll mir denn aufgefallen sein?»

      «Okay, wir danken für die Auskunft, Frau von Blumenthal. Sie sind hiermit entlassen.»

      «Hoffentlich auch. Es war mir kein Vergnügen», brummelte die Alte, bevor sie schnaufend aufstand und mit ihrem Stock zum Abschied an den Stuhl schlug.

      «Uff», stöhnte Stampfli, nachdem die Tür hinter Frau von Blumenthal ins Schloss gefallen war. «Jetzt brauche ich etwas in den Magen. Ich bin am Verhungern.» Der Ermittler schätzte im Gegensatz zu Bonsai eine feine Mahlzeit. Er war ein strammer Mann mit muskulösen Oberarmen. Trotz dem sichtbaren Bauchansatz sah er nicht schlecht aus für seine 55 Jahre. Dichte, an den Schläfen bereits ergraute Locken umrahmten ein eher rundes Gesicht mit einer markanten Nase. «Komm Kleiner, wir gehen in die Pizzeria, die ich auf dem Weg hierher gesehen habe. Nachher können wir mit frischer Energie weitermachen. Die nächsten drei Chormitglieder habe ich erst in einer Stunde aufgeboten.»

      Heiri packte Bonsai in seinen Opel. Sie fuhren zum Restaurant, das leider ziemlich voll war. Zum Glück bekamen sie noch einen kleinen Tisch neben der Theke. Der Ermittler bestellte eine grosse Pizza con Funghi e Salami con Mozzarella di Bufala*. Bonsai konnte sich nur für Spaghetti mit Tomatensauce erwärmen.

      «Du bist schon kein Feinschmecker», meinte Heiri gutmütig und zeigte seine vielen Lachfalten.

      «Nein, aber es gefällt mir so.» Bonsai ernährte sich in der Tat fast ausschliesslich von Toblerone*, Spaghetti, Pommes und – Pizza. Aber heute wollte er das nicht bestellen. Er war ein Fan von Fertigpizza. Trotz dieser ungesunden Ernährungsweise hatte der junge Mann kein Gramm zu viel auf den Rippen und war fit wie ein Turnschuh.

      «Ein feines Glas Rotwein wäre jetzt der Hammer. Aber das liegt im Dienst nicht drin», meinte Stampfli mit Bedauern. Mit der riesigen Pizza hatte er keine Mühe. Wenn es einen schwierigen Fall zu lösen gab, bekam der Ermittler immer besonders viel Appetit.

      Nach dem Essen kehrten die beiden ins Kirchgemeindehaus zurück. Es war noch niemand da.

      «Bonsai, ruf doch bitte den Chorleiter, Alex Zumbühl, an und frag ihn, ob es stimmt, dass er gestern den Organisten Otto Haller zum Hauptbahnhof gefahren hat. Dann können wir die beiden von der Liste streichen.»

      Bonsai griff zum Handy und konnte kurz darauf den Sachverhalt so bestätigen.

      Es klopfte. Eine junge, ausserordentlich hübsche Frau mit langen, schwarzen Haaren und blitzenden, dunklen Augen kam hereingestöckelt.

      «Das muss Carmen sein», dachte Bonsai amüsiert. Es war Carmen.

      «Hallo. Mein Name ist Carmen Vico». Sie nahm elegant auf dem Stuhl Platz und schlug die Beine übereinander. Dabei stellte Bonsai fest, dass sie sehr schöne und schlanke Beine hatte. Auch ihr Busen war durchaus ansehnlich.

      «Womit kann ich Ihnen dienen?» Ihre glockenhelle Stimme klang weich wie Samt.

      Stampfli räusperte sich: «Frau Vico. Wir haben gehört, dass Sie in letzter Zeit die Sopransoli des Chores gesungen haben, bis Frau Hug nun an Weihnachten den Anfang des „Gloria“ übernehmen sollte.»

      «Das ist richtig.»

      «War das für Sie nicht ärgerlich? Sie haben eine schöne Stimme, hat man uns erzählt.»

      «Nein, gar nicht. Ich glaube, der Chorleiter hatte Melanie das Solo anvertraut, damit sie auch einmal im Zentrum stehen konnte. Es war ihr so wichtig. Es ist traurig, dass sie Weihnachten nicht erleben durfte.»

      «Sie mochten Frau Hug?»

      «Sie wurde von allen Chormitgliedern gehasst und gemobbt. Warum? Mir tat Melanie vor allem leid. Sie war nur eine ältere, mollige Frau, die Liebe brauchte. Hinter ihrem abweisenden Wesen versteckten sich vermutlich Unsicherheit und Angst vor Nähe. Jetzt ist sie umgebracht worden. Das ist furchtbar.»

      «Sie haben Frau Hug nicht gehasst?»

      «Nein.»

      «Ist Ihnen in letzter Zeit etwas an Frau Hug aufgefallen? War sie irgendwie anders, ängstlich?»

      «Mir ist nichts aufgefallen.»

      «Waren Sie nach der Probe auch im „Leuen“?», fragte Bonsai, nachdem er einen Blick auf seinen Notizblock geworfen hatte.

      «Nein. Ich musste noch aufs Klo. Als ich herauskam, waren die anderen bereits verschwunden. Ich hatte leichte Kopfschmerzen und bin nach Hause gegangen.»

      «Befanden sich Hansueli Meier und Fritz Zürcher noch in der Kirche, als sie zur Toilette gingen? Sie ist ja draussen beim Friedhof.»

      «Ich habe nicht darauf geachtet.»

      «Haben Sie jemanden auf dem Weg zum WC gesehen oder nachher, als Sie rauskamen?»

      «N-nein.» Carmen presste die Lippen zusammen.

      «Sicher nicht?»

      «Nein.»

      «Sind Sie zu Fuss nach Hause gegangen?»

      «Nein, mit dem Fahrrad.» Carmen fuhr sich mit der linken Hand durch die Haare.

      «Hat Sie jemand gesehen?»

      «Ich glaube nicht, warum fragen Sie?»

      «Nur so. Hat Sie jemand zu Hause erwartet?»

      «Nein, ich lebe alleine!»

      «Wann sind Sie dort angekommen?»

      «Ich habe nicht darauf geachtet.»

      «Danke, Frau Vico. Wenn wir noch Fragen haben, melden wir uns wieder. Bitte halten Sie sich auf alle Fälle zu unserer Verfügung.»

      «Okay, guten Abend». Und weg war die Schöne.

      «Sie ist verdächtig», stammelte Bonsai, kaum war die Tür zu.

      «Ja», meinte Stampfli lakonisch. «Auf jeden Fall sagt sie nicht die Wahrheit. Möglicherweise deckt sie den Mörder oder sie war es selbst. Dieses Gesäusel von wegen Mitleid mit Melanie glaube ich ihr auch nicht. Sie muss doch wahnsinnig eifersüchtig auf die Frau gewesen sein, die ihr die Solopartie wegnahm.»

      «Wir werden sehen», stimmte Bonsai zu.

      Es klopfte. «Ja!», rief Heiri.

      Wieder ertönte ein leises Klopfzeichen. «Kommen Sie doch herein.»

      Nichts. Bonsai stand auf und öffnete die Tür.

      Ein buckliger Mann mit weissem Flaum auf dem spiegelglatten Schädel trat schlurfend ein.

      «Wie ist Ihr Name?»

      «Hä?»

      «Wie heissen Sie? Ich bin Heiri