soll mitkommen. Harry Scott ist mit vier Männern gekommen. Er will bei Mr. Ionu den Lohn für den hier kassieren.“ Dabei wies er auf Glenn. „Wir haben Glenn ausgezahlt.“
„Sicher. Und Mr. Ionu hat sich dabei benommen wie ein Gentleman, das muss man ihm lassen“, höhnte sie. „Was hat dieser Junge mit Harry Scott zu tun? Er ist sein Sohn, gewiss, aber er hat ihn vielleicht vor zehn oder mehr Jahren zum letzten Male gesehen. Und was geht es euch noch an? Jetzt ist er wieder bei mir, und da bleibt er.“
Roy schüttelte den Köpf.
„Nein, Madam“, erklärte er fast sanft. „Ich habe einen ganz genauen Auftrag. Und Mr. Ionu hat es gar nicht gern, wenn seine Mannschaft ein schlechtes Gedächtnis zeigt.“
Glenn war es von Mrs. Howard immer eingehämmert worden, dass er friedlich sein sollte. Immer wieder. Sie hatte ihm auch gesagt, ein Mann mit einem solchen Vater müsse sich Mühe geben, nicht aufzufallen. Ihr zuliebe hatte er sich bemüht, so zu sein. Drei Jahre lang. Drei lange Jahre schluckte er viel, sehr viel. Bedeutend mehr, als sein Stolz ertragen wollte. Doch jetzt war das Fass übergelaufen. Er spürte, wie ihm die Röte des Zornes ins Gesicht schoss. Er spürte, wie ihn die Lust ergriff, diesen hochmütigen Vormann zusammenzuschlagen. Aber noch war ein winziger Rest Beherrschung in ihm.
Roy zerschlug auch das, als er sagte: „Was geht Sie dieser Bursche hier überhaupt an, Mrs. Howard? Was kümmern Sie sich um ihn? Oder stimmt es etwa, dass Sie mit Harry Scott auch ...“
Da schlug Glenn zu. Er sprang wie ein Panther an Mrs. Howard vorbei, und nichts an ihm war noch schlaksig. Einer Feder gleich schnellte seine rechte Faust in Roys Gesicht, die Linke setzte nach und traf Roy in die Lebergegend.
Der Angriff kam Roy so überraschend, dass es ihn umriss. Er stürzte rücklings zu Boden, dicht neben die Hufe seines aufgeregt tänzelnden Pferdes.
Glenn sah weder rechts noch links. Aller Hass, alle angestaute Wut entlud sich jetzt. Er hörte den Aufschrei der Frau hinter sich, er vernahm nur im Unterbewusstsein eine zornige Stimme auf der anderen Straßenseite. Was er sah, war nur Roy, der sich gerade auf die Seite wälzen wollte.
Roy war stärker und geschickter im Kampf als er. Aber jetzt zählte das alles nicht. In Glenn waren infolge des Zornes Kräfte erwacht, die nicht zu berechnen waren. Nicht für Roy.
Plötzlich packte Glenn zu, riss Roy halb hoch und schlug erneut mit einem Fausthieb in dessen Gesicht. Roy schrie gequält auf, wollte nun wieder auf die Beine kommen, aber da prasselten Schläge auf ihn ein, die ihn wieder in den Staub warfen.
„Aufhören!“, brüllte es von der anderen Straßenseite. Dann fiel ein Schuss, aber Glenn reagierte auf nichts. Er zertrümmerte den viel stärkeren Roy nach allen Regeln der Kunst.
Dann, als Roy schlaff im Schmutz der Straße lag, richtete sich Glenn auf. Seine Handknöchel waren blutig, und die Wut entstellte sein Gesicht.
Nun erst gewahrte er den Mann mit dem Gewehr. Er sah den Stern an dessen Weste, das zornige Gesicht und die weißen Schläfen, die jetzt im Sonnenlicht blond wirkten.
„Bist du des Teufels, du Narr“, schrie der Marshal erneut und richtete die Waffe auf Glenn. „Das ist keine Rinderstadt, in der geschossen und geschlagen wird. Ich sperre dich dafür drei Tage ein!“
Glenn war noch nicht fertig. Auch Marshal Hattkinson hatte ihn immer verhöhnt und schikaniert. Und Glenn sah in ihm gar nicht den würdigen Gesetzesvertreter, bieder und aufrecht. Trotz seines guten Aussehens, trotz der weißen Schläfen und dem scheinbar aufrechten Wesen war Hattkinson korrupt und parteiisch. Glenn hatte selbst erlebt, wie es war, wenn Mr. Ionu mit Hattkinson sprach. Er wusste auch, dass Hattkinson einmal von Ionu mit Geld bestochen worden war, als der Rancher der Broken Ring Klage gegen die Straight I erhoben hatte, weil eine Herde der Straight I auf dem Weideland der Broken Ring fast drei Wochen gegrast hatte. Damals ließ Hattkinson die Geschichte einfach auf sich beruhen. Er könnte keine Beweise finden, hatte er erklärt. Fertig.
Und nun stand dieser Hattkinson vor Glenn. Wieder die ganze Würde des Gesetzes ausstrahlend; so schien es. In Glenn flammte die Wut wieder auf.
„Du bist auch so ein Schuft!“, keuchte er. „So ein dreckiger Lappen, der hier tut, als hätte er Anstand und Weisheit in Erbpacht. Aber mir macht ihr hier nichts mehr vor. Drei Jahre habe ich mich von euch in den Dreck treten lassen, nun ist es vorbei.“
„Du verdammter Kerl, nimm die Pfoten hoch, sonst ...“, schrie Hattkinson und kam einen Schritt näher, die Winchester noch immer auf Glenn gerichtet.
„Schieß doch! Ein geschmierter Marshal bist du schon. Nun schieß, damit aus dir auch noch ein Killer wird!“, fuhr ihn Glenn an.
„Bei Gott, ich tue es wirklich!“, rief Hattkinson, wich aber wieder einen Schritt zurück, und in seinem Gesicht zeigte sich etwas, das gar nicht zu seinem sonstigen Stil passte. Er schien Glenn in diesem Augenblick wirklich zu fürchten. Vielleicht war es der Ausdruck in Glenns von aufgehenden Frostbeulen verunstaltetem Antlitz. Vielleicht nur der Blick aus den hellen Augen des wütenden jungen Menschen.
„Bei Gott, hast du gesagt. Nimm das nicht in den Mund, du Heuchler! Sprich du lieber vom Teufel!“, schnauzte ihn Glenn an.
Er spürt die Hand von Mrs. Howard an seinem Arm. Und er hörte, wie sie um Atem ringend keuchte: „Junge, stell dich nicht gegen ihn! Junge, tu es nicht! Er trägt den Stern ...“
Ohne auf sie zu sehen, immer nur den Blick auf Hattkinson gerichtet, sagte Glenn scharf: „Wirklich, das ist es ja, dass ausgerechnet er ihn trägt. Er, dieser feine Lord, der hier tut, als wäre die ganze Welt ein Sumpf, wenn es ihn nicht gäbe. Ich werde ...“
„Nichts wirst du!“, rief eine tiefe Stimme seitlich von Glenn.
Er sah kurz hinüber, und auch Hattkinson blickte zur Seite. Und da sahen sie die fünf Reiter. Und sie alle hörten, wie Mrs. Howard mit überschnappender Stimme rief: „Harry! Nein, Harry, nein! Warum ...“
Glenn wandte sich rasch um und konnte Mrs. Howard auffangen, bevor sie ohnmächtig umkippte. Er hielt noch die schwere Last in den Armen und wollte Mrs. Howard vorsichtig zu Boden lassen, als der vorderste der fünf Reiter einem seiner Begleiter zurief: „Achtet auf diesen Sternträger, ich kümmere mich um die Lady!“
Indessen war Roy aus seinem Tiefschlaf erwacht und glotzte verständnislos um sich. Er wollte sich erheben, aber es ging wohl noch nicht, und er tastete ächzend nach seinem Gesicht.
Hattkinson stand wie gelähmt. Der Gewehrlauf war herabgesunken, und der Mann starrte wie gebannt auf den großen, hageren Mann, der nun aus dem Sattel geglitten war und mit federnden Schritten auf Glenn und Mrs. Howard zuging.
Er hatte ihn noch nie gesehen, und es gab auch keine Steckbriefe von ihm, dennoch begriff Marshal Hattkinson in diesem Augenblick alles. Er wusste, wer dieser etwa achtundvierzigjährige Mann sein musste.
Auch Glenn wusste es, denn so, wie er den Mann vor sich sah, so hatte er ihn auch in Erinnerung. Nur noch hagerer, noch faltiger im Gesicht und noch kantiger war er geworden. Sein Vater Harry Scott. Den Mrs. Howard einen Lumpen genannt hatte. Von dem Ionu behauptet hatte, er sei ein Mörder.
Er sah nicht wie ein Mörder aus, auch nicht wie ein Lump. Glenn, der noch immer das ganze Gewicht von Mrs. Howard in den Armen hielt, ahnte in diesem Augenblick, dass sein ganzes Leben auf einem Scheitelpunkt stand. Vor seiner hundertachtziggradigen Wende.
Er blickte Harry Scott an, und der Name Vater war in diesem Moment das Letzte, das ihm über die Lippen gekommen wäre. Obgleich er ihn genau wiedererkannte, war sein Vater für ihn wie ein Fremder. Wie ein Mensch, den man irgendwann einmal gut gekannt und lange nicht mehr gesehen hatte.
Harry Scott griff der Frau unter die Arme und hob sie wie ein Leichtgewicht auf, schleppte sie bis zu der verwitterten Bank auf der Veranda und setzte sie dort nieder. Das war der Augenblick, in dem sie zu sich kam.
„Harry!“, lispelte sie, und in ihrem breiten Gesicht stand alles geschrieben: die offenbar unvergängliche