viel verdient ein Würstchen wie Glenn Scott in zwei Jahren harter Arbeit nicht.“
Roy liebäugelte mit Geld, denn er gab die Idee nicht auf, eines Tages mit seinem Ersparten und der kleinen Herde, die bei Ionu mitlief, eine eigene Ranch zu gründen. Ionu wusste es, er wusste überhaupt viel zu viel von Roy. Das war es.
„Ist das ein Wort?“, fragte Roy unentschlossen.
„Habe ich es dir gegenüber je gebrochen?“
Roy zuckte die Schultern und ging zur Tür. „Und wenn es irgendwie schiefgeht?“
Ionu schlug seine Pranken zusammen, dass es wie ein Schuss knallte.
„Du wirst deine fünf Sinne zusammennehmen, Roy, und dann geht nichts schief. Ich denke, das schaffst du doch?“
„Es muss Zeugen geben, die mich hier gesehen haben“, forderte Roy.
„Mehr Zeugen als die Richter brauchen. Geh jetzt!“
Roy ging, und als die Tür hinter ihm zufiel, brummte Ionu zufrieden: „So ein halsstarriger Esel. Dabei hat er alles, was er sich denken kann.“
Roy sattelte draußen zwei frische Pferde, prüfte seinen Revolver, eine andere Waffe als jene, die in Wendover geblieben war. Eine bessere Waffe. Und die Springfield, die er schon einmal auf einem gefährlichen Ritt mitgehabt hatte. Alles in Ordnung. Besonders die Springfield, denn auf die kam es Roy am meisten an. Auf Coltschussweite wollte er sich nicht an Harry Scott heranwagen. Diesen Blick konnte er nicht ertragen, diesen zwingenden Blick des hageren Mannes.
3
Man kann die Vergangenheit nicht zur Gegenwart machen. Das begriff Mrs. Howard nach kurzer Zeit. Es lässt sich nichts zurückholen, auch nicht die Zuneigung Harry Scotts. Er war nett zu ihr, aber es war eine Freundlichkeit, die er sicher an jeden verschwendete, der ihm einen guten Kaffee kochte und den er nach langer Zeit einmal wiedersah.
Harry Scott war ein glänzender Unterhalter. Während er plauderte, als sei er erst gestern von Mrs. Howard weggegangen, und während seine Freunde mit Glenn um den runden Tisch saßen, kochte Mrs. Howard Kaffee, servierte sie Ham and Eggs und schien sich an nichts zu erinnern, was ihre Meinung über Scott anging. Ihre Meinung noch vor gut zwei Stunden.
Glenn sah fasziniert seinen Vater an. Die Begeisterung für ihn wuchs. Er glaubte alles, was Harry Scott erzählte. Mehr und mehr kam der Wille in ihm auf, so zu sein wie er. So selbstsicher, so überlegen, immer um keine Entscheidung verlegen. Weniger gefielen ihm die Freunde seines Vaters. Sie hatten ihn zwar alle vier herzlich begrüßt, aber er begann jetzt, da keiner auf ihn achtete, ihre Gesichter zu studieren.
Da war einmal der etwas bleiche, aber muskulöse Henry Deville. Er zeigte immerzu ein verlegenes Lächeln, doch das war Tarnung, und Glenn merkte es bald. Deville hatte noch bis vor kurzem in einem Gefängnis gesessen, das hörte Glenn aus der Unterhaltung heraus.
Neben Glenns Vater saß der grauhaarige Mark Overback. Wohl der älteste Mann in der Runde. Breite Hände mit kurzen Fingern, ein derbes Gesicht und eine bläuliche Knollennase zeichneten diesen Mann aus. Wenn er etwas sagte, geschah das bedächtig und langsam. Auch seine Bewegungen waren so. Von allen gefiel ihm dieser Mann noch am besten, nur erinnerte ihn der Blick aus den kleinen Schweinsäuglein an Ionu. Diese Schläue im Blick, das missfiel Glenn.
Glenn gegenüber stützte Burt Corners den Kopf in die Hände. Ein kleiner, breitschultriger Mann mit strohblondem Haar. Nur wenig älter als Glenn selbst, doch von einer sichtbaren Härte, die ihn älter und erfahrener erscheinen ließ.
Gerade stand der vierte Freund Harry Scotts auf, der junge Jim Stratz. Er ging mit wiegenden Schritten zur Tür, drehte sich noch einmal um, so dass Glenn das schmale, eingefallene Gesicht mit den großen Kinderaugen deutlich sah. Dann war Stratz draußen. Er würde die Pferde versorgen und auch sonst darauf achten, was sich in der Stadt tat.
Stratz mochte neunzehn Jahre alt sein. Wieso er mit Harry Scott ritt, wusste Glenn nicht zu deuten. Aber er trug zwei Revolver, und die Art, wie er sie trug, sprach Bände. Auch seine schmalen, langen Hände passten gut zu diesem Eindruck.
Mrs. Howard setzte sich mit an den Tisch, und sie lauschte wie gebannt den Worten Harry Scotts. Sie sah nur ihn, hörte nur ihn.
Glenn lauschte auch, aber mit der Zeit erinnerte er sich an das Versprechen seines Vaters, über ihn, Glenn, zu sprechen. Doch nichts davon tat der hagere Revolvermann. Er sprach von sich, von seinen Erlebnissen, von alten Zeiten, von denen Glenn wenig oder nichts wusste. Mehr davon schien Mrs. Howard zu kennen, denn mitunter lachte sie hell auf, wenn Harry Scott den oder jenen Namen, diese oder jene — für Glenn nichtssagende — Episode erwähnte.
Mark Overback hatte eine Flasche Whisky in der Tasche gehabt. Jetzt stand sie vor ihm, und er trank direkt aus ihr. Als der Kaffee serviert wurde, goss sich Overback die Tasse nur halb voll, der Rest wurde mit Whisky aufgefüllt.
Deville erhob sich, trat an den Spiegel neben der Tür und kämmte sich mit Ausdauer sein pechschwarzes Haar. Mitunter lachte er über einen Scherz Harry Scotts.
Glenn hörte zu. Er vergaß wieder, dass man eigentlich über und von ihm hatte reden wollen. Es war amüsant, dem Senior Scott zuzuhören. Was wusste Glenn schon von der Welt? Doch Harry Scott schien sie zu kennen. Was kannte er nicht?
Kritiklos nahm Glenn die Geschichten und Anekdoten in sich auf, die Harry Scott zum besten gab. Vielleicht hätte er sich wundern sollen, wie gelangweilt Mark Overback in seinen Becher starrte. Aber Glenn wusste nicht, dass Overback die Geschichten alle schon — nur mitunter leicht verändert — zum soundsovielten Male hörte.
Burt Corners lachte pflichtschuldig jedes Mal mit, manchmal schon, bevor die Pointe heraus war. Henry Deville lächelte, aber das tat er immerzu.
Später sagte Harry Scott: „Burt, löse du Jim ab! Henry, du legst dich irgendwo lang und pennst. Auch du, Alter“, wandte er sich an Mark Overback. „Heute Abend brauchen wir ausgeruhte Kräfte.“
„Willst du bis zum Abend damit warten?“, maulte Deville. Und nun lächelte er nicht mehr.
„Ja, es ist besser.“
„Er könnte schon vorher mit seiner Mannschaft in der Stadt sein.“
„Nein, das schafft er gar nicht. Selbst wenn dieser Kerl ein Pferd aufgetrieben hat. — Hallo, mein Junge“, fuhr Harry Scott dann zu Glenn gewandt fort, „nun habe ich gleich noch eine halbe Stunde Zeit für dich.“ Er gähnte und brannte sich dann eine Zigarette an. „Morgen werden wir noch mehr Zeit haben. — Süße, hast du einen Platz für drei meiner Freunde?“, fragte er dann Mrs. Howard.
Sie quittierte das „Süße“ mit einem verlegenen Lächeln und sagte dann eifrig: „Gewiss, kommt nur mit!“
Stratz kam herein, schleichend wie ein Indianer mit unstetem Blick aus großen Kinderaugen. Er sah Glenn lange an, ehe er wortlos hinter Overback und Deville verschwand.
Glenn war mit seinem Vater allein. Sie sahen sich an, schwiegen beide, tasteten sich mit Blicken ab, dann brach Harry Scott das Schweigen.
„Nun, mein großer Sohn, nun schieß mal los! — Hast du deinen Vater vermisst oder hat deine Mutter dir eingepaukt, dass dir der Himmel einen bösen Vater beschert hat?“
„Meine Mutter“, begann Glenn fast mechanisch, ohne darüber nachdenken zu müssen, „meine Mutter war immer gut, und sie hat dich sehr nötig gehabt. Sie hoffte bis zuletzt, du würdest zurückkehren.“
Harry Scott vergrub das Gesicht in die Hände und sagte undeutlich: „Ich habe so oft wiederkommen wollen. Aber sie war eine merkwürdige Frau. Ich glaube, Glenn, ich verstehe sie erst jetzt. Ja, ich gebe es zu. Ich war ein leichtsinniger Vogel, ein wilder Vogel, Junge, aber ein freier, ein an Freiheit gewohnter Mensch. Deine Mutter, Glenn, wollte einen Spießer aus mir machen. Einen Kerl, der irgendwo zu bestimmter Zeit auf einer bestimmten Postkutsche fährt oder bei einem Rancher Zäune flickt, was weiß ich noch alles.