sah zum Haupthaus, suchte das Fenster vom Zimmer der beiden Mädchen, aber niemand sah heraus. Auf dem Hof war es still wie in einer Gruft. Nur von den Corrals her schmetterte das Wiehern eines Hengstes.
„Es sieht aus, als hätten sie über ihre Burg den Kriegszustand verhängt, was?“, meinte Harry Scott.
Deville kaute sich nervös auf den Lippen herum, und Overback sagte trocken: „Vielleicht sollen wir diese räudigen Hundesöhne ans Licht befördern.“
Da öffnete sich die Tür, und einer aus Ionus Mannschaft kam heraus. Waffenlos. Es war ein älterer Mann, der auf der Ranch die Stellmacher und Schmiedearbeiten ausführte.
„Wer ist das?“, fragte Harry Scott zu Glenn gewandt.
Glenn erklärte es ihm.
„Er heißt Bob. Sie sagen Old-Bob zu ihm“, fügte er noch hinzu.
„Was wollt ihr?“, rief der Alte mit brüchiger Stimme.
„Ich will mit deinem Boss ein paar Worte sprechen. Ruf ihn!“, erwiderte Harry Scott.
Doch da trat Ionu schon selbst hinter dem Alten hervor, schob Old-Bob zur Seite und baute sich schwer und massig vor der Tür auf.
Glenn beobachtete gleichzeitig, wie sich das Küchenfenster am Anbau etwas öffnete und dort ein Gewehrlauf auftauchte. Er wollte seinen Vater gerade warnen, als Stratz schon rief: „Hallo, Rancher, sieh zu, dass der mit dem Gewehr da drüben verschwindet!“
Ionu verzog sein bulliges Gesicht, schielte nach links und machte eine Handbewegung. Der Gewehrlauf verschwand.
„Sie sind also im Bilde, Mr. Ionu?“, begann Harry Scott. Ionu nickte nur. „Ich denke, wir könnten uns in Ruhe unterhalten. Ich hege im Augenblick nur friedliche Gedanken, Rancher.“
Ionu schwieg noch. Aufmerksam beobachtete er alle Männer. Als er Glenn erkannte, hob er die Brauen, sagte aber nichts. Erst nach einer Weile gab er auf Harry Scotts Vorschlag eine Antwort.
„All right, fangen Sie an!“
Harry Scott saß ab.
„Versorgt die Pferde, Jungs!“, rief er seinen Männern zu. „Wir bleiben bis Mittag hier.“
„Sie haben keine Einladung dazu, Scott!“, grollte Ionu.
„Nein? Na, in einer Viertelstunde denken Sie da ganz anders, Rancher. Glenn, mein Junge, du kommst mit mir!“
„Ich habe nicht die Absicht, mit ihm auch zu reden“, erklärte Ionu böse.
„Sie vielleicht nicht, aber er. — Komm, Glenn!“
Glenn saß ab, gab Stratz die Zügel seines Cayusen und ging hinter seinem Vater her. Als sie Ionu gegenüberstanden, erschien der Glenn als gar nicht mehr so mächtig und unerschütterlich wie noch . gestern. Zum ersten Male sah Glenn den Rancher als einen Mann, der schwache Seiten hatte. Vor allem als einen, der Harry Scott nicht gewachsen war. Die Unsicherheit, die Ionu Harry Scott gegenüber zu verbergen suchte und hinter einem grimmigen Gesicht versteckte, fühlte Glenn deutlich.
„Wir wollen uns nicht stehend unterhalten, Rancher“, sagte Harry Scott lächelnd. „Gehen wir also ins Haus. Meine Jungs draußen passen auf, dass uns niemand stört.“
Glenn schaute über die Schulter zurück. Das Bild draußen hatte sich gewandelt. Stratz stand mit lässiger Haltung neben der Pferdetränke. Seine Hände schwebten wie eine ständige Drohung über den Revolverkolben seiner glänzenden Waffen.
Overback hielt die Pferde. Aber er stand dabei so, dass er jederzeit seine Springfield aus dem Scabbard ziehen konnte. Der Alte war darin viel schneller, als mancher ahnte.
Deville hatte sich auf den Brunnenrand gesetzt und „rein zufällig“ lag ein Buntline-Revolver mit dem langen Lauf neben ihm. Es sah aus, als würde er ihn nach einer Überprüfung dort hingelegt haben.
Burt Corners stand weiter links, so ungefähr dem Küchenfenster gegenüber, aus dem vorhin der Gewehrlauf ragte. Vor Corners lagen zwei Ballen gepresste Rinderhäute. Sie würden im Notfälle eine erstklassige Deckung abgeben.
Überhaupt standen oder saßen sie alle so, dass sie sofort Deckung hatten. Und das war es wohl auch, was Harry Scott mit seinen Worten zum Ausdruck bringen wollte.
Ionu hatte es begriffen. Er ging voraus und führte die Scotts in das Zimmer, das er als Büro benutzte. Auf dem Boden lagen neue Ketten, zwei neue Sättel, einige Kartons mit Drahtkrampen, zwei Brenneisen mit dem Straight I-Brand, eine Enthornungszange und allerlei anderes Gerät herum. Auf dem klobigen Tisch häuften sich Preislisten. Auktionsberichte und anderes mehr. Ionu ließ sich dahinter nieder, schob einige Briefe zur Seite und deutete auf die schweren Eisenholzstühle.
„Fangen wir also an“, sagte er.
Harry Scott ließ sich nieder, gab Glenn aber einen Wink, schräg hinter ihm stehenzubleiben.
„Wir sind gekommen, wie Sie wissen, Mr. Ionu, die Geschichte endlich einmal richtigzustellen, was Ihren Sohn Phil angeht.“
„Ich kenne keinen Sohn Phil“, erwiderte Ionu schroff.
Unbeirrt fuhr Harry Scott fort: „Mir liegt natürlich an einer gütlichen Regelung. Ich bin von Miss Ryder beauftragt, die Sache für sie zu bereinigen. Erschwert wird die Geschichte durch einen Mord, zu dem Sie Ihren Vormann Roy und einen Cowboy namens Ron beauftragt hatten ...“ Ionu verfärbte sich. Sein bulliges Gesicht wurde mit einem Male schlaff. Er brauchte Sekunden, um sich zu fangen, aber bevor er sich richtig gefasst hatte, sagte Harry Scott ernst: „Es war ein Fehler, Ihren Vormann auch noch loszuschicken, dass er mir eine Kugel gibt. Mr. Ionu, das ist eines Mannes wie Ihnen nicht würdig. Und wie ich sagte, das erschwert unsere Absicht, mit Ihnen fair und glatt über die Runden zu kommen.“
„Das ist eine Lüge! Wer hat Ihnen diesen Unsinn ...“
Eine jähe Handbewegung Harry Scotts stoppte den Rancher.
„Wir wollen uns nicht wie Zirkuspferde benehmen. Sie wissen, dass es stimmt, und ich weiß es noch besser. Hören Sie also auf, sich wie ein Kind zu betragen, das einen Dime gestohlen hat! Es geht jetzt um Miss Ryder und den Jungen. Er ist mittlerweile zehn Jahre alt. Zeit für ihn, dass er seinen Vater kennenlernt. Zeit auch für den Vater, dass er den zukünftigen Rancher sieht.“ Ionu schnappte vor Erregung nach Luft. Sein Gesicht lief blau an. Doch Harry Scott ließ ihn nicht zum Reden kommen. Lächelnd fuhr er fort: „Aber das mit der Ranch wollen wir beizeiten regeln. Damit dieser Junge auch seiner Zukunft sicher ist, werden Sie schon in diesen Tagen, am besten schon morgen, klare Verhältnisse schaffen. — Mr. Ionu, ich bin mit klaren Vorstellungen zu Ihnen gekommen. Erstens werden Sie dem Jungen die Ranch überschreiben. Von seinem zwanzigsten Lebensjahr an wird er sie bewirtschaften ...“
„Das ist doch ...“
„Ruhe! Das ist alles richtig. Ihre Frau, Sie und Ihre Töchter werden angemessen entschädigt. Vor allem Ihre Frau, und die Mädchen. Damit alles mit rechten Dingen zugeht, werde ich hier auf dieser Ranch als Ranchboss bleiben, bis der Junge volljährig ist, um die Ranch selbst zu führen. So will es Miss Ryder. Ich habe ihren schriftlichen Auftrag in der Tasche, beglaubigt von Richter Keith. Das ist der Mann, der gegen Sie in Kansas einen Haftbefehl erlassen hat.“
„Nie!“, schrie Ionu. „Nie mache ich das mit! Nie!“ Seine Adern im Gesicht waren gefährlich angeschwollen, sein Atem ging stoßweise. Und Glenn meinte, den schwergewichtigen Mann müsse in jedem Augenblick der Schlag treffen. Plötzlich aber gewann er die Fassung wieder und sagte leise: „Das, Scott, das tut Ihnen noch mal leid, sich in fremde Sachen eingemischt zu haben. Sehr leid tut Ihnen das noch.“
„Sie dürfen ruhig Mister Scott sagen, Rancher. Ich schätze Vertraulichkeiten gar nicht. Und nun zu meinem Sohn. Wie ich also hörte, hat er bei Ihnen für zwanzig Dollar im Monat gearbeitet. — Ich nenne so etwas plumpe Ausbeuterei. Da er noch nicht mündig war, als er bei Ihnen seinerzeit anfing, muss ich als sein Vater um eine kleine Nachzahlung bitten.