auch das Sekundärgebiet der Sambre gehörte. Beide alten Stämme suchten den Kompromiss für die Atuatuker in einem Landstrich zwischen ihren Gebieten. Dafür bot sich ein Waldgebiet an, das bereits als Grenzregion fungierte. Überliefert ist die Bezeichnung Kohlenwald. Es handelte sich um einen Waldstreifen, der aus den Ardennen herauswuchs und sich zwischen Zenne und Dijle nach Norden bis an die Sümpfe um Mechelen ausdehnte. Im Einzugsgebiet der Sambre, das sich vorwiegend südlich des Flusses erstreckte, bedeckten die Wälder der Ardennen den größten Teil der Berge. Dieses wenig fruchtbare und dünn besiedelte Gebiet wurde nach meiner Auffassung den Atuatukern zugesprochen. Demnach verlief die Wasserscheide Schelde-Maas mitten durch das neu gebildete Stammesland. Die ertragreicheren Landschaften lagen nördlich davon. Dieses Mittelbelgische Hügelland zwischen Schelde und Maas verfügte über fruchtbare Lehmböden. Inselartig siedelten die Bauern auf den Lichtungen der Laubwälder.
Die Atuatuker konnten davon einen Teil nutzen, der zwischen den Flüssen Haine, Zenne und Dijle lag, aber nur deren Oberläufe und Quellbereiche umfasste. Die Besiedlung führte zu Rodungen. Für das Vordringen der Atuatuker in ihr Flusseinzugsgebiet erhielten die Nervier zur „Entschädigung“ das Einflussgebiet der oberen Sambre, den nach Westen schwingenden Bogen bis zur Quelle. Es umfasste im Süden die Landschaft Thirache, nahe der Stadt Nouvion. Von dort schlägt die Sambre einen Bogen im Uhrzeigersinn, nähert sich auf 10km Bavay, einer wichtigen Siedlung der Nervier, und verläuft danach ziemlich genau in nordöstlicher Richtung bis Namur, um dort in die Maas zu münden. Das Flusseinzugsgebiet wird durch wenige kleine Nebenflüsse auf der linken und viele größere auf der rechten Seite charakterisiert. Ich nehme an, dass die südwestliche Grenze zwischen den Nerviern und Atuatukern etwa nahe der Solre lag, einem der rechten Nebenflüsse der Sambre. Diese Landschaft war weniger bewaldet und charakterisiert durch eine dichte Besiedlung und intensive landwirtschaftliche Nutzung um den Ort Avesnes-sur-Helpe, der zu einem Oppidum ausgebaut worden war.
Abb.4
Das Stammesgebiet der Atuatuker in Mittelbelgien
Aus dem Gesagten ergibt sich etwa folgende Gebietsbeschreibung: im Süden reichte das atuatukische Land bis an die Wasserscheide der Seine und grenzte somit an das der Suessionen und Remer, markiert durch die Höhenzüge der Ardennen. Östlich davon, an der Maas, könnten die Treverer und Condruser Nachbarn gewesen sein. Die Grenze zu den Eburonen bildete wahrscheinlich die Wasserscheide zwischen den sekundären Einzugsgebieten der Gete und Dijle. Im Norden gingen die abfallenden Hügel in das flandrische Tiefland über, wo sich weite Sumpflandschaften herausgebildet hatte - eine natürliche Grenzregion zu den Nerviern und Eburonen. Im Westen lebten die Nervier. Südlich der Sambre könnte das Tal der Solre die Grenze zu ihnen gebildet haben; nördlich davon ist die Abgrenzung schwierig. Angenommen wird die Zenne als Grenzfluss und der Kohlenwald als Ödlandzone.
Die Größe und Struktur des Stammeslandes
Verkehrswege und Siedlungen hatten sich schon lange vor der Entstehung des neuen Stammesgebiets der Atuatuker herausgebildet. Die Nachkommen der Teutonen, hin und her geworfen von den Auseinandersetzungen um einen festen und dauerhaften Wohnsitz, richteten sich in den vorgefundenen Siedlungen ein und bauten sicher auch neue hinzu.
Ob die Atuatuker einen Hauptort hatten, ist eine interessante, viel diskutierte und bis heute offen gebliebene Frage. Von französischer Seite werden verschiedene Orte genannt, so eine Festung Dunon in der Region um Namur, auch Huy mit seinen Bergspornen, das Plateau Hastedon oberhalb von Saint-Servais und das Plateau von Champeau, um nur einige zu nennen. Caesar hat keine nachprüfbaren Angaben zu einem Hauptort der Atuatuker gemacht. Es ist nicht einmal klar, ob er mit dem Ort, den er eroberte, den Hauptort meinte. Er sagte: „…, verließen alle Städte und festen Plätze und schafften ihren ganzen Besitz in eine durch ihre Lage hervorragend geschützte Stadt. “(liber II, 29, 3)
Im Laufe der weiteren Darstellung des Krieges erfahren wir, dass im Land der Eburonen ein Winterlager der Römer, kommandiert von den Legaten Quintus Titurius Sabinus und Lucius Aurunculeius Cotta angelegt wurde (liber V, 24, 5-6). Dieses Winterlager nennt Caesar später Atuatuca (liber VI, 32, 4). Verwirrend für alle Leser ist der nachfolgende Satz, dass dieses Lager in der Mitte des Eburonenlandes läge. Nun kann man sich nicht vorstellen, dass Caesar eine Bezeichnung Atuatuka, die wie der Stammesname lautet, wählt, und Eburonen meint. Dieses römische Lager muss tatsächlich dort gelegen haben, wo er die Stadt der Atuatuker angesiedelt hat. Eine weitere Angabe könnte sehr hilfreich sein. Als Caesar die Anordnung dieser Winterlager vornahm, nennt er den weitesten Abstand von Samarobriva (Amiens), wo er sich befand, mit 100 Meilen. Das sind rund 150km. Damit ist auch die äußere Grenze für die Lage des Ortes Atuatukas gezogen. Von Amiens aus lägen dort in Richtung der Atuatuker die heutigen Orte Binche und Thuin. Alle weiter entfernt liegenden kämen demnach für eine Stadt der Atuatuker nicht in Frage. Thuin ist ein Ort, der auch von einigen Historikern favorisiert wird. Ich habe mich für Binche entschieden, das in der Nähe liegt. In den nachfolgenden Abschnitten wird das noch begründet. Die Abb.4 zeigt den Versuch, ein Stammesgebiet für die Atuatuker darzustellen. Über Annahmen kann ich nicht hinausgehen.
Markante strukturelle Linien im Gebiet der Atuatuker sind drei Verkehrsachsen: einmal die Sambre als Wasserstraße und der sie nördlich begleitende Fernweg von Boulogne-sur-Mer über Bavay nach Tongeren und Neuss am Rhein. Zum anderen ein Fernweg, der ihr Stammesgebiet im Süden schneidet, von Avesnes-sur-Helpe durch die Ardennen nach Osten, genauer nach Dinant führt, und zum dritten ein Weg, der im Norden, von Tongeren kommend, über Asse nach Kortrijk führt. Er tangiert das Stammesgebiet unterhalb der Sümpfe um Mechelen. Darüber hinaus gab es sicher einige Querverbindungen von Süden nach Norden, die nur untergeordnete lokale Bedeutung hatten, wie der von Thuin über Binche zur Demer.
Die Sambre begleitet auf dem nördlichen Ufer ein Höhenzug, dessen Kamm zwischen 50 und 120m über dem Wasserspiegel verläuft. Auf dieser Wasserscheide zwischen Maas und Schelde hatte sich der Fernweg von Boulogne über Bavay nach Neuss entwickelt. Wald und Heide bildeten eine Art Ödland, das besonders geeignet war für den Durchzug Fremder. Auf der rechten Uferseite zieht sich das Hochland der Ardennen von der Sambrequelle bis an die Maas hin in einer gleichbleibenden Höhenlinie zwischen 200 und 250m, eingeschnitten durch die Täler der großen Nebenflüsse Helpe, Solre und Thure, die überwiegend von Nordwest nach Südost verlaufen. Der Raum nördlich der Wasserscheide bildet eine Zone mit lehmigen Böden, die überwiegend mit Laubwäldern bedeckt war. Da sich die eiserne Pflugschar schon durchgesetzt hatte, konnten die Siedler auch Land in diesen Wäldern roden und bebauen. Zwischen den Nebenflüssen Zenne und Dijle lagen die Siedlungen, Weiler und Höfe der atuatukischen Bauern.
Der oben erwähnte Fernweg von West nach Ost zieht sich wie ein Rückgrat durch das Stammesgebiet. Die atuatukische Streitmacht, die zu den Nerviern ziehen wollte, müsste diesen Weg benutzt haben, denn er war für sie am geeignetsten. Es war der Weg von Tongeren nach Bavay. Er verlief zur Römerzeit etwa 20km nördlich der Sambre fast parallel zum Fluss. In der Zeit vor den Römern waren die Verhältnisse andere als nach der Eroberung. Es fehlte der übergreifende politisch und staatsrechtlich geschützte Großraum. Die viel kleineren Stämme waren die bestimmenden Elemente. Ein Fernweg sollte deshalb überwiegend über dünn besiedelte Wasserscheiden führen. So konnte er auch im Falle von Konflikten durch Händler und Kaufleute genutzt werden. Die Führung des Fernhandelsweges auf der Wasserscheide nördlich der Sambre blieb auch zur Zeit der Atuatuker sinnvoll. Dieser Höhenzug konnte bewaldet bleiben. Folgt man diesen Überlegungen, dann wäre der vorrömische Weg von Bavay nach Osten über den gleichbleibenden Höhenzug von 150m nahe an Maubeuge herangekommen und hätte sich dann über Grand-Rend, Peissant, Mont-Sainte-Genevieve bis Fontaine-l‘Eveque fortgesetzt. Schmale Laubwaldstreifen markieren noch heute diesen Kamm des Höhenzuges. Von dort verlief der Weg über Le Bons Villeurs, um sich dann bei Gembloux wieder der späteren römischen Trasse anzunähern. Zwischen den Orten Liverchies und Le Bons Villeurs wird der römisch als Geminiacum bezeichnete Ort vermutet. Der Ort Morlanwelz soll später ebenfalls an der römischen Chaussee, „Brunehault genannt“, gelegen haben, so wie der Vorort von Binche, Waudrez (röm.:Vodgoriacum).
Gibt es eine solche markante Wegstrecke auch weiter südlich? Im „Digitalatlas of the Roman