Alfred Bekker

Sammelband 7 Krimis: Tuch und Tod und sechs andere Thriller auf 1000 Seiten


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einen Pulk von Menschen, und Berringer versuchte ihm zu folgen. Wenig später blieb der Detektiv jedoch im dichten Gedränge stecken. Gerndorf war verschwunden.

      Wohin man auch blickte – überall Gesichter. Nur das von Gerndorf war nicht dabei.

      Er war in der Masse untergetaucht wie ein Fisch im Wasser.

      „He, seien Sie doch nicht so rücksichtslos!“, beschwerte sich jemand.

      „Entschuldigung.“

      „Sie sind mir auf den Fuß getreten, und zwar heftig.“

      „Ich sagte: Entschuldigung!“, erwiderte Berringer ziemlich gereizt und kehrte zum Avlar-Tex-Stand zurück.

      Gerath war nicht dort. Ein potentieller Geschäftspartner – der Geschäftsführer einer Bootsfirma – hatte ihn an Bord seiner im Rahmen der BOOT ausgestellten Yacht geladen, um einen großen Segeltuch-Deal abzuschließen. Gerath war schon vorher ganz aus dem Häuschen gewesen.

      „Was war denn da los?“, wandte sich einer der Wachmänner an Berringer.

      „Ehrlich gesagt, wüsste ich das auch gern“, murmelte der Detektiv.

      Der Publikumsandrang in der Messehalle war in den nächsten zwei Stunden so groß, dass sich die Besucher nur im Schritttempo fortbewegen konnten.

      Peter Gerath war noch nicht von seiner Vertragsunterzeichnung zurück, aber Berringer machte sich diesbezüglich wenig sorgen. Schließlich wurde er von einem der Sicherheitsleute der SAFE & SECURE begleitet.

      Auf einmal geschah es, plötzlich und völlig unerwartet: Mehrere Männer, die Gesichter mit Sturmhauben bedeckt, die nur die Augen freiließen, sprangen auf den Stand von Avlar Tex zu. Einer der Wachleute erhielt einen brutalen Faustschlag und taumelte zu Boden, und Berringer wurde neidergestoßen und konnte gerade noch einem Tritt ausweichen.

      Sofort begannen die Angreifer die Dekoration des AvlarTex-Standes niederzureißen.

      Tische wurden umgestoßen, ebenso die Ständer mit Faserproben und die aufgerichteten Modellsegel.

      Etwa ein Dutzend Angreifer waren an dieser blitzschnell durchgeführten Aktion beteiligt. Mehrere von ihnen warfen Farbbeutel, die beim Aufprall zerplatzen. Der Inhalt besudelte nicht nur die Vorführsegel und das Personal, sondern verbreiteten auch einen ekelhaften Geruch, der an faule Eier erinnerte.

      So schnell der Angriff erfolgt war, so rasch war er auch vorbei. Die Maskierten zogen sich zurück, stoben in verschiedene Richtungen davon und tauchten in der Menge unter. Sobald das geschehen war, nahmen sie vermutlich ihre Masken ab und waren in der Masse nicht mehr identifizierbar.

      Doch Berringer fixierte seine Aufmerksamkeit auf einen von ihnen und setzte nach.

      Inzwischen war Tumult ausgebrochen. Panik hatte sich breitgemacht, da kaum jemand wusste, was eigentlich los war. Jemand rief etwas von einem „Anschlag“, und natürlich dachten die Leute direkt an eine Terroraktion und Bombenleger. Es wurde gedrängelt und geschubst.

      Berringer bahnte sich seinen Weg durch die Menge. Der Abstand zu dem Maskierten wurde immer geringer. Schließlich erreichte er ihn, packte ihn von hinten und riss ihn zu Boden. Rechts und links wichen die Leute zur Seite. Erschrockene Schreie gellten durch die Halle.

      Der Maskierte rappelte sich auf und kam wieder auf die Beine. Er stürzte sich auf Berringer. Sein Schlag ging jedoch ins Leere, da der Detektiv geschickt auswich.

      Berringer ergriff den Arm des Maskierten und hebelte ihn herum, sodass er ihn sicher unter Kontrolle hatte, ohne ihn zu verletzen.

      „Gelernt ist gelernt!“, keuchte Berringer. „Auch wenn es schon eine Weile her ist, dass ich das mal anwenden musste.“

      Die Umstehenden wichen so gut es ging zurück und sahen sich mit scheuem Interesse das Schauspiel an, das sich ihnen bot.

      „Wäre bitte jemand von Ihnen so freundlich, mit seinem Handy die Polizei zu rufen?“, fragte Berringer laut und mit durchdringender Stimme, die man eher einem Lehrer zugetraut hätte, der es gewohnt war, sich vor einem Haufen lärmender Jugendlicher durchzusetzen, als einem Ex-Polizisten.

      Niemand reagierte.

      Berringer wandte sich einem Mann im blauen doppelreihigen Mantel zu, dessen Äußeres vor allem durch die Ankerkrawatte bereits ein gewisses Interesse an maritimen Themen erkennen ließ. „He, Sie!“

      „Ich?“

      „Haben Sie ein Handy?“

      „Ja ... sicher!“

      „Dann rufen Sie bitte die Polizei!“

      Der Freizeitkapitän löste sich aus seiner Erstarrung und holte tatsächlich ein Mobiltelefon hervor.

      Inzwischen kam jener Wachmann von SAFE & SECURE heran, den ein Faustschlag ins Gesicht niedergestreckt und der sich wohl erst etwas hatte erholen müssen. Seine Nase war blutverschmiert. Er zog dem Gefangenen die Sturmhaube vom Kopf. Das Gesicht eines dunkelhaarigen jungen Mannes kam darunter zum Vorschein.

      „Lassen Sie mich los!“, ächzte er.

      „Erst wenn die Polizei da ist“, kündigte Berringer an.

      Der junge Mann sprach einen Akzent, der für Berringers Ohren irgendwie nach Osteuropa klang.

      „Wer hat Ihnen gesagt, dass Sie den Stand von Avlar Tex verwüsten sollen?“, fragte Berringer.

      „Das ist Körperverletzung, was Sie tun!“, krächzte der junge Kerl und versuchte sich loszureißen.

      Aber Berringers Griff war eisern. „Und das, was Sie hier getan haben? Was sollte das sein? Eine Luftveredelung, damit man den Körpergeruch der Messebesucher nicht so stark wahrnimmt?“

      Es dauerte eine Weile, bis die Polizei eintraf und den Täter in Gewahrsam nahm. Er hatte einen deutschen Führerschein bei sich, der ihn als Marian Illiescu auswies, einen rumänischen Staatsangehörigen, der aber seit zehn Jahren in Deutschland lebte.

      Der Stand von Avlar Tex wurde von der Polizei zunächst einmal abgesperrt.

      Schließlich ging es unter anderem darum, Beweise zu sichern. Die Halle musste nach und nach geräumt werden, denn die Geruchsbelästigung war außerordentlich stark, und so lange man nicht wusste, ob möglicherweise gesundheitsgefährdende Stoffe in den Farbbeuteln gewesen waren, ging man lieber auf Nummer Sicher.

      Als Peter Gerath von seiner Vertragsunterzeichnung zum Stand zurückkehrte und das deprimierende Ergebnis des Vandalismus des maskierten Rollkommandos sah, wurde er bleich wie die Wand. „Mir geht es nicht gut“, sagte er tonlos zu Berringer. „Diese Schweinehunde! Die haben ja keine Ahnung, was für eine Arbeit in so einer Präsentation steckt und was alles davon abhängt ...“ Seine Stimme bebte.

      „Dank Herrn Berringer haben wir einen von den Kerlen der Polizei übergeben können“, informierte ihn ein Avlar-Tex-Mitarbeiter, dessen feiner dunkelgrauer Anzug mehrere Farbflecke aufwies.

      Peter Gerath nickte leicht. Seine Augen wirkten glasig und krank. Er griff sich zwischendurch in die Herzgegend und atmete schwer, so als würde er nicht genügend Luft bekommen.

      „Diese Schweinehunde!“, flüsterte er noch einmal vor sich und wandte sich wieder an Berringer. „Sie haben gute Arbeit geleistet.“

      „Sie ist noch nicht zu Ende“, prophezeite Berringer.

      „Ich weiß, ich weiß ...“

      „Wenn wir Glück haben, dann kommen wir über den Kerl an die Hintermänner heran.“

      Gerath lächelte matt. „Sie sind ein Optimist, Herr Berringer.“

      „Ich hoffe, dass dieser Bande das Handwerk gelegt werden kann. Allerdings möchte ich Sie noch über einen anderen Aspekt informieren ...“

      „Rufen Sie mich an“, bat Gerath. „Es geht mir hundeelend. Ich