stiegen die Treppe hinauf. Einen Aufzug gab es im Hotel Lazarr nicht. Zumindest keinen, der funktionierte.
Wir erreichten wenig später die Zimmertür von ‚Mr Smith’.
„Ehrlich gesagt hätte ich jemandem wie Sonny D’Andrea etwas mehr Fantasie bei der Auswahl seines Künstlernamens zugetraut“, grinste Milo.
„Ich bin gespannt, was er uns zu sagen hat!“ Ich klopfte. Es erfolgte keinerlei Reaktion, daher versuchte ich es noch einmal. „Mister D’Andrea? Hier spricht Special Agent Jesse Trevellian vom FBI! Sie haben vor wenigen Minuten mit Mister Jonathan D. McKee, dem Leiter unseres Field Office gesprochen!“
Im nächsten Augenblick krachte ein Schuss los.
Ein großkalibriges Projektil stanzte kurz hintereinander zwei daumengroße Löcher durch das Holz. Die Kugeln gingen dicht an uns vorbei. Es war pures Glück, dass wir nicht verletzt wurden. Milo sprang nach rechts, ich nach links. Wir postierten uns neben der Tür und zogen unsere Dienstwaffen. Ein dritter und ein vierter Schuss krachten.
Diesmal hielt der Schütze seine Waffe etwas höher. Die Löcher der Durchschüsse waren ziemlich genau in unserer Augenhöhe.
Auf der anderen Seite der Tür waren jetzt Geräusche zu hören. Irgendetwas wurde umgestoßen. Ein Stuhl, schätzte ich. Ein schabendes Geräusch sprach dafür, dass gerade ein Fenster hochgeschoben wurde.
Ich schnellte vor, die Dienstwaffe vom Typ SIG Sauer P226 in beidhändigem Anschlag. Ein Tritt und die Tür flog zur Seite.
Das Zimmer war schätzungsweise fünfzehn Quadratmeter groß. Rechts stand ein Doppelbett. Links war ein Waschbecken. In der Mitte lag ein Stuhl auf dem Boden und am Fenster bemühte sich ein etwa sechzigjähriger Mann darum, aus dem Fenster zu steigen.
In der Linken hielt er dabei eine großkalibrige Automatik, Kaliber 45.
Ich erkannte den Mann sofort wieder. Unser Kollege Agent Max Carter aus der Fahndungsabteilung hatte uns eine Bilddatei auf den Bordrechner des Sportwagens gemailt, die D’Andrea bei dessen letzter Verhaftung zeigte. Seitdem waren sieben Jahre vergangen.
D’Andrea saß rittlings auf der Fensterbank.
„Mister D’Andrea, die Waffe weg! Wir sind hier, um Ihnen zu helfen!“, rief ich.
Sonny D’Andrea blickte aus dem Fenster. Offenbar sah er keine Chance zur Feuerleiter zu gelangen.
Er zögerte.
Seine Finger krallten sich so fest um den Griff der Automatik, dass die Knöchel weiß wurden.
„Wenn Sie wirklich vom FBI wären, könnten Sie unmöglich so schnell hier sein!“, keuchte er. „Wer schickt Sie?“ Schweißperlen standen auf D’Andreas Stirn.
„Wir waren in der Nähe! Sofort nachdem Ihr Hilferuf unser Field Office erreichte, bekamen wir die Order, hier her zu fahren!“, versuchte Milo etwas Ruhe in die Situation zu bringen.
Aber unser Gegenüber war vollkommen außer sich.
Er musste furchtbare Angst haben.
„Machen Sie keine Dummheiten, Mister D’Andrea!“, forderte ich ihn auf. Ich griff vorsichtig in meine Jackettinnentasche und zog meine ID-Card hervor. D’Andrea bedachte mich mit einem misstrauischen Blick. Ich schaffte es schließlich, meinen Ausweis herauszuholen. Er schluckte, als er seinen Irrtum erkannte.
„Das Ding sieht echt aus“, gab er zu.
„Es ist echt.“
Er senkte die Waffe. Milo näherte sich von der Seite. D’Andrea ließ sich die Automatik widerstandslos aus der Hand nehmen. Ich steckte meine SIG ins Holster zurück und zog D’Andrea vom Fenster weg.
„Wenn Sie wirklich in Gefahr sind, sollten Sie sich nicht so frei am Fenster bewegen“, erklärte ich ihm.
D’Andrea ging zum Bett und ließ sich wie ein nasser Sack darauf fallen. Ich blickte unterdessen hinaus. Man hatte den Blick auf einen sehr schmalen Hinterhof. Die Bäume, die dort angepflanzt worden waren, bekamen nicht viel Licht. Es war erstaunlich, dass sie überhaupt gediehen.
Ich konnte jedenfalls nichts Verdächtiges entdecken und schloss das Fenster.
„Und jetzt der Reihe nach, Mister D’Andrea“, begann Milo. „Sie sagen, dass ein Killer Ihnen auf den Fersen wäre.“
Er nickte. „Bringen Sie mich hier weg. Meinetwegen in eine Ihrer Gewahrsamszellen – aber nicht nach Rikers Island. Bis dahin reicht nämlich ihr Arm...“
„Wessen Arm?“, hakte ich nach.
Er blickte auf und sah mich an. „Ich sage Ihnen alles, was ich weiß. Und das ist eine Menge, kann ich Ihnen flüstern! Aber erst bringen Sie mich hier weg, sonst hören Sie keinen Ton von mir!“
„Ist ja schon gut!“, versuchte ich ihn zu beschwichtigen.
„Sie müssen mich ins Zeugenschutzprogramm nehmen! Bitte!“
„Darüber haben wir nicht zu entscheiden“, erklärte ich. „Aber wir können Sie erstmal zur Federal Plaza bringen. Und dort sehen wir weiter. Ich denke, das ist auch in Ihrem Sinn.“
Er atmete tief durch. Der Griff seiner rechten Hand ging in die Herzgegend. Schließlich nickte er.
„Ja“, murmelte er. Und dieses eine Wort hörte sich so an, als wäre ihm in diesem Augenblick eine Zentnerlast von der Seele gefallen.
Er packte sehr schnell seine Sachen zusammen. Nur mit einem Handkoffer war er hier im Lazarr.
Wenig später verließen wir das Zimmer. Milo nahm den Koffer. Ich ging voran – die Hand immer an der Dienstwaffe. Wie real die Gefahr tatsächlich war, von der D’Andrea bei seinem Anruf im Field Office berichtet hatte, konnten wir nicht einschätzen.
Wenig später durchquerten wir das Foyer des Hotels Lazarr. Der Portier beobachtete uns.
„Wieso haben Sie sich ausgerechnet das Lazarr ausgesucht?“, fragte Milo, als wir ins Freie traten.
„Ich weiß, es ist nicht die beste Adresse. Aber hier kennt mich garantiert niemand.“
„Im Fond unseres Sportwagens ist nicht viel Platz.“
„Das macht nichts, Agent...“
„Trevellian.“
„Ah, ja, richtig.“
Er war so nervös, dass er sich noch nicht einmal meinen Namen hatte merken können. Unruhig streifte sein Blick über die etwa heruntergekommenen Fassaden der Umgebung. Manche der umstehenden Lagerhäuser wurden noch immer zu dem Zweck benutzt, zu dem sie auch gebaut worden waren. Andere dienten einfach als Abstellfläche für Waren aller Art. Eine dritte Gruppe hatte man in teure Eigentumswohnungen verwandelt, was so manchen störte, der seit Jahren in der Gegend wohnte. Aber Brooklyn veränderte sich im Augenblick stark.
„Ich kann mich klein machen, wenn es sein muss“, murmelte er und blickte dabei auf die Uhr.
Wir gingen auf den Sportwagen zu.
Plötzlich tanzte ein Laserstrahl eines Zielerfassungsgerätes durch die Luft. Das konzentrierte Licht brach sich irgendwo und ließ eine gerade Linie erahnen.
Eine Schusslinie.
Ich warf mich auf D’Andrea und riss ihn zu Boden.
Milo zog seine Waffe, ließ dabei den Koffer fallen und ging hinter einem parkenden Fahrzeug in Stellung.
Die Schüsse des Angreifers waren lautlos.
Das Blut rann mir zwischen den Fingern hindurch. Erst einen Moment später begriff ich, dass es nicht mein Blut war. Sonny D’Andrea blickte mich mit offenem Mund und starren, toten Augen an. Eine Kugel hatte seine Schläfe durchschlagen und war direkt in sein Gehirn gefahren.
„Der