dieses Ekel ist, als das du ihn mir mein Leben lang beschrieben hast.«
»Glaubst du, ich hätte dich belogen?«
»Nein, Mama, bestimmt nicht«, beruhigte sie Alexander. »Aber sieh mal: Ich kenne meinen Vater praktisch nur aus deiner Sicht. Ich kann ihn ja nicht einmal wie du richtig verachten, weil ich gar nicht bewusst miterlebt habe, was er uns angetan hat. Dazu war ich damals einfach noch zu klein.«
»Das darf doch alles nicht wahr sein!«, klagte Hiltrud. »Warum setzt du deine teuer erworbenen Kenntnisse nicht sinnvoller ein? Dein Vorhaben ist doch verschwendete Zeit!«
»Das sehe ich etwas anders, Mama«, betonte Alexander. »Die Vorstellung, meinen Vater kennenzulernen, reizt mich wirklich sehr. Aber der Hauptgrund, mich um den Posten zu bewerben, ist ein anderer: Ich möchte feststellen, ob ich der Aufgabe, einem Gut wie Hambach vorzustehen, gewachsen bin.«
»Das könntest du sicher auch woanders herausfinden«, meinte Hiltrud, »ohne dich in die Höhle eines despotischen Fürsten zu begeben. Er wird dich freihändig in der Luft zerreißen, wenn er dahinter kommen sollte, welch falsches Spiel du mit ihm getrieben hast. Es könnte sogar deiner Karriere schaden. Genügend Einfluss hat er, dein alter Herr. Er mag zwar kaum Freunde haben, aber genügend andere, die von ihm und seinem Wohlwollen abhängig sind. Geld regiert nun mal die Welt. Er macht schonungslos davon Gebrauch und geht über Leichen. Wenn es sein müsste, vermutlich sogar über die seines eigenen Sohnes.«
»Ich werde mich zu gegebener Zeit zu wehren wissen«, versprach Alexander. »Schließlich bin ich sein Sohn.«
»Überschätz dich nicht, Alex!«, warnte die Mutter. »Ja, du bist sein Sohn, aber du hast meine Erziehung genossen. Deshalb bist du anders als er.«
»Warten wir es doch erst einmal ab«, versetzte Alexander. »Noch hat er mich nicht eingestellt.«
»Ich bete darum, dass dies nie der Fall sein wird«, seufzte Hiltrud.
3
Fürst Boris von Hambach stand am Fenster seines Arbeitszimmers und blickte hinunter in den Vorhof seines Schlosses. Er bemerkte einen leicht lädiert aussehenden Wagen, der soeben die breite, von Rosenbeeten gesäumte Auffahrt herunterkam und dabei ziemlich unangenehme Geräusche von sich gab. Vor der Freitreppe, die zum Hauptportal führte, hielt er an, und dann kletterte ein schlanker junger Mann ins Freie, dehnte und reckte sich kurz und schaute sich beeindruckt um.
»Nicht übel«, murmelte der junge Mann vor sich hin, bevor er die Treppe zum Hauptportal emporspurtete. »Irgendwie erscheint mir alles so vertraut und gleichzeitig auch fremd. Die Zeit hat eben doch so manche Erinnerung verblassen lassen.«
Bevor er den Finger auf den Klingelknopf legte, atmete er noch einmal tief durch. Das seltsame Gefühl, das sich seiner bemächtigt hatte, als er den Besitz seines Vaters betreten hatte, verstärkte sich. Sein Pulsschlag beschleunigte sich auf annähernd einhundertfünfzig und mehr. Es war eben doch einfacher, einen Plan auszuhecken, als ihn dann tatsächlich durchzuführen. Am meisten fürchtete Alexander die erste Begegnung mit seinem Vater nach über zwanzig Jahren. Würde der Fürst sein gewagtes Spiel durchschauen und ihn am Ende gar erkennen?
»Zum Glück ähnelst du ihm kaum, sondern mehr meinem Vater«, hatte seine Mutter gemeint, als er sich von ihr verabschiedet hatte. »Und an den wird er sich wohl kaum noch erinnern. Trotzdem bist du verrückt.«
»Sei’s drum!«, brummte Alexander und drückte entschlossen auf den Klingelknopf. »Mehr als rausschmeißen kann er mich nicht.«
Butler Karl öffnete die messingbeschlagene Tür und fragte nach den Wünschen des Besuchers.
»Mein Name ist Thomas Wildhirt«, stellte sich Alexander vor, zwang ein gewinnendes Lächeln in sein Gesicht und verbeugte sich leicht. »Fürst Hambach hat mich für heute Vormittag zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Wenn Sie mich bitte anmelden wollen.«
»Sehr wohl«, erwiderte der Butler, verbeugte sich ebenfalls und gab die Tür frei. »Treten Sie bitte ein!«
Er führte Alexander in die Empfangshalle, bat ihn, Platz zu nehmen, und verschwand mit dem Versprechen, dem Fürsten seine Ankunft zu melden. Wenig später kam er zurück und forderte den jungen Mann auf, ihm zu folgen.
Und dann stand Alexander nach all den Jahren zum ersten Mal wieder seinem Vater gegenüber. Sein Herz raste. Seine Kehle wurde trocken, seine Hände feucht. Ein denkwürdiger Augenblick in seinem jungen Leben; vielleicht sogar der denkwürdigste überhaupt.
Fürst Boris hockte hinter seinem Schreibtisch, erhob sich, als Alexander ins Zimmer trat, und musterte ihn mit undurchdringlicher Miene. Das merkwürdige Gefühl, diesem Menschen schon einmal begegnet zu sein, beschlich ihn. Er kramte in seinen Erinnerungen, kam aber nicht dahinter, wo und wann dies gewesen sein könnte. Vermutlich irrte er sich, und dieser junge Mann besaß lediglich eine gewisse Ähnlichkeit mit jemandem, der ihm früher einmal über den Weg gelaufen war.
Das ist also mein Vater, schoss es Alexander zur gleichen Zeit durch den Sinn. Er ist ein Fremder für mich. Kaum eine Erinnerung habe ich mehr an ihn. Wären wir uns irgendwo begegnet, ich hätte ihn nicht erkannt. Und wie finster er mich anschaut. Als hätte ich ihm die Kronjuwelen geklaut. Ob dieser Mann auch lächeln kann?
»Sie können gehen«, forderte Fürst Boris seinen Butler auf, der abwartend im Hintergrund stehengeblieben war. »Wenn ich etwas brauchen sollte, läute ich.«
Butler Karl verbeugte sich und schloss die Tür.
»Sie möchten also bei mir Verwalter werden?«, wandte sich Fürst Boris an Alexander. Die Hand gereicht hatte er ihm bis jetzt noch nicht. Ein kaum wahrnehmbares Kopfnicken war der einzige Gruß gewesen, den er seinem Besucher gegönnt hatte. Es sollte auch der einzige bleiben.
»Nun, dann setzen Sie sich erst einmal!«
Während Alexander vor dem Schreibtisch des Fürsten Platz nahm, begab sich dieser zurück zu seinem und ließ sich ebenfalls nieder. Dann griff er nach einer Akte und blätterte für eine Weile darin.
»Ihr Name ist Thomas Wildhirt?«
Alexander bestätigte, dass dem so war, und kam sich wie bei einem polizeilichen Verhör vor. Die Stimme des Fürsten klang kalt und unpersönlich. Sein Gesicht blieb weiterhin unbewegt.
»Eigentlich hätte ich mir einen erfahreneren Mann als Sie gewünscht«, fuhr der Fürst fort. »Trauen Sie sich denn zu, eine Aufgabe wie diese zu bewältigen? Immerhin wäre es Ihre erste Anstellung, falls wir uns einig werden sollten.«
»Irgendwann fängt jeder einmal an«, gab Alexander zurück. »Ich hätte mich nicht um diese Stelle beworben, wenn ich mir nicht zutrauen würde, die Aufgabe zu bewältigen.«
»Sie klingen recht selbstbewusst, junger Mann«, bemerkte Fürst Boris. »Hoffentlich überschätzen Sie sich und Ihre Fähigkeiten nicht. Sie wären nicht der Erste, dem ich das bescheinigen müsste.«
Alexander hob die Schultern. »Sie müssten es auf einen Versuch ankommen lassen.«
Fürst Boris erdolchte ihn mit einem eisigen Blick.
»Das müssen Sie schon mir überlassen, ob ich den Versuch mit Ihnen wage oder nicht«, grollte er. »Ich neige eher dazu, es nicht zu tun.«
»Na