hatte.
In natura war Jenny noch hübscher als auf dem Foto. Sie war mittelgroß, schlank und mit all jenen Formen und Pölsterchen ausgestattet worden, die bei einem Mann die Augen aufleuchten ließen. Sie trug eine verwaschene Jeans, ein T-Shirt mit dem Aufdruck einer bekannten Rockband und auf dem Kopf ein kesses Hütchen. Ihr Gepäck schob sie in einem großen Wagen vor sich her, als sie aus der Tür trat und sich suchend umschaute.
Alexander erkannte sie auf den ersten Blick, eilte ihr entgegen und begrüßte sie in englischer Sprache. Sie stutzte, runzelte die Stirn und schaute den jungen Mann erstaunt und auch etwas argwöhnisch an.
»Mein Onkel Boris sind Sie aber nicht«, stellte sie in fast akzentfreiem Deutsch fest. »Der dürfte wohl etwas älter sein als Sie.«
»So ist es«, pflichtete ihr Alexander lächelnd bei, stellte sich unter seinem falschen Namen - mit Thomas Wildhirt also - vor und erklärte ihr, warum man ihn geschickt hatte, um sie abzuholen.
»Ich hoffe, Sie sind nicht allzu enttäuscht, dass ihr Onkel nicht persönlich kommen konnte. Er selbst bedauert das natürlich zutiefst«, antwortete er charmant mit einer kleinen Lüge.
»So, tut er das?«, versetzte Jenny ironisch. »Dabei hat mir meine Mutter erzählt, dass Onkel Boris gar nicht sonderlich erfreut über meinen Besuch ist. Sollte er seine Meinung inzwischen geändert haben?«
Alexander hob die Schultern. »Darüber Auskunft zu geben, steht mir nicht zu, Frau von Kirst.«
»Nennen Sie mich um Himmels willen nicht Frau von Kirst!«, bat Jenny. »Das tut drüben in den Staaten keiner. Ich heiße Jenny, und ich würde gern Thomas sagen. Okay?«
»Von mir aus gern«, erwiderte Alexander. »Aber ob es Seiner Durchlaucht recht ist, wage ich zu bezweifeln. Der legt großen Wert auf Etikette.«
»Dann muss er sich eben umgewöhnen«, meinte Jenny. »Schließlich bin ich ein modernes amerikanisches Mädchen und keine Hofpomeranze. Frau von Kirst!« Sie verzog angewidert das Gesicht. »Das würde mir in den USA niemand glauben. Selbst Mum und Daddy nennen alle bloß beim Vornamen. Allerdings haben sie aus dem Hugo einen Hugh gemacht. Können wir dann gehen? Ich lechze nach einer Dusche.«
Also begaben sie sich hinunter in die Tiefgarage und verstauten Jennys Gepäck in Alexanders Schrottlaube, denn mit der war er, trotz des fürstlichen Angebotes, einen Wagen aus dessen Fuhrpark zu benutzen, nach Frankfurt gefahren.
»Ein hübsches Auto«, spöttelte Jenny denn auch sogleich. »Von welchem Museum hast du das denn ausgeliehen?«
»Nichts gegen Schorschi«, protestierte Alexander in gespieltem Ernst. »Er begleitet mich schon seit Ewigkeiten und hat so manchen Sturm erlebt.«
»Draußen in der Natur oder hinten auf dem Rücksitz?«, wollte Jenny mit einem anzüglichen Lächeln wissen.
»Frau von Kirst!«, rief Alexander und drohte ihr schelmisch mit dem Finger. »Wo bleibt Ihre Erziehung? Nach so etwas fragt eine anständige Dame nicht!«
»Ich bin keine Dame«, stellte Jenny klar. »Und wenn du mich noch einmal Frau von Kirst nennst, rede ich kein Wort mehr mit dir.«
»Okay, Jenny«, sagte Alexander, und es klang beinahe zärtlich. Und auch der Blick, mit dem er sie dabei anschaute, drückte Ähnliches aus.
O ja, der gute Alexander hatte sich Hals über Kopf in das Mädchen verliebt. Wenige Minuten an ihrer Seite hatten genügt, um in seinem Herzen einen wahren Feuersturm zu entfachen. Behaupte keiner, es gebe keine Liebe auf den ersten Blick. Was Alexander gerade erlebte, bewies das Gegenteil.
Auch Jenny fand den jungen Mann sehr sympathisch. Er sah unglaublich attraktiv aus, hatte Humor - und wäre sie nicht mit Ted Sullivan befreundet ...
Aber es gab ihn nun mal, diesen Ted Sullivan. Also hielt sie sich zurück und vermied es, einen heftigen Flirt mit Alexander zu beginnen. Was - zugegebenermaßen - nicht ganz leicht war; denn natürlich war ihr der Blick nicht entgangen, mit dem er sie gerade bedacht, nein, gestreichelt hatte. Sie fühlte, wie ihr ein sanftes, wohliges Kribbeln den Rücken hinunterlief.
Achtung, Jenny!, warnte sie sich selbst. Du hast deinem Ted Treue gelobt. Komm nicht auf die unsinnige Idee, sie gleich am ersten Tag in Deutschland zu brechen. Das hätte Ted nicht verdient. Außerdem kennst du diesen Mann doch noch gar nicht richtig. Vielleicht ist es einer von der Sorte, die es bei jedem Mädchen versuchen. Also sieh dich vor!
»So, dann wollen wir mal«, meinte Alexander, nachdem sie beide in seinem Wagen Platz genommen hatten. »Schorschi, blamier mich nicht, und spring in Gottes Namen an!«
Schorschi tat ihm den Gefallen, und so zuckelten sie wenig später in gemütlichem Tempo Richtung Heimat.
»Ich bin bloß froh, dass du so gut Deutsch sprichst«, wandte sich Alexander an Jenny. »Ich könnte mich zwar auch auf Englisch mit dir verständigen, aber so ist es mir lieber.«
»Ich bin zweisprachig aufgewachsen«, erklärte Jenny. »Denn bei uns auf der Ranch sprechen wir fast ausschließlich Deutsch miteinander.«
»Was dir bei deinem Studium in Heidelberg natürlich sehr entgegenkommen wird«, erwiderte Alexander. »Was möchtest du denn später mal werden, Jenny?«
»Lehrerin. Ich habe sehr gern mit Kindern zu tun.«
»Dann wirst du dir später wohl eine Menge eigener anschaffen, oder?«
»Das könnte passieren«, räumte sie ein und errötete sanft.
»Hast du auch schon einen Vater dafür im Auge?«
Jenny errötete noch tiefer. »So fragt man keine fremden Menschen aus«, beschwerte sie sich.
»Es interessiert einen halt«, gab Alexander treuherzig zurück.
»Es geht dich aber nichts an«, befand sie. »Oder habe ich mich vielleicht erkundigt, ob du verliebt, verlobt oder gar verheiratet bist?«
»Möchtest du es denn wissen?«
»Nein«, erwiderte sie beinahe trotzig, obwohl es sie brennend interessierte. »Warum auch? Ich habe schließlich nicht vor, mich mit dir auf irgendeine Art und Weise einzulassen.«
»Das ist schade«, bedauerte er. »Denn ich könnte es mir wundervoll vorstellen, wenn du es tätest.«
»Mach dir bloß keine Illusionen!«, warnte sie ihn. »Ich habe einen Freund in Amerika und gedenke nicht, diese glückliche Beziehung wegen eines flüchtigen Abenteuers aufs Spiel zu setzen. Und jetzt lass uns von etwas anderem reden, bevor wir uns noch tiefer in diesen Sumpf von Anzüglichkeiten hineinmanövrieren. Wann sind wir auf Schloss Hambach?«
»Das dauert schon noch eine Weile.«
Sie blickte aus dem Fenster und nickte zustimmend. »Eine schöne Gegend.«
»Sie wird noch schöner«, versprach Alexander. »Wenn wir erst die Autobahn verlassen haben und so richtig tief in den Odenwald hineingefahren sind. Mit so einer reizvollen Gegend wird man bei euch in Texas wohl nicht so sehr verwöhnt?«
»Bei mir zu Hause nicht«, räumte Jenny ein. »Da ist alles ziemlich flach und eintönig. Aber natürlich gibt’s auch wunderschöne Gegenden in Amerika. Das Land ist schließlich riesengroß und bietet für jeden Geschmack etwas. Ich habe mir das eine oder andere zusammen mit meinen Eltern angeschaut. Die Niagara Fälle zum Beispiel und die Rocky Mountains. Auch die Everglades unten in Florida sind sehenswert.«
»Aber in Europa warst du noch nicht?«
»Nein, das ist das erste Mal«, erklärte sie.
»Hast du keine Angst, Heimweh zu bekommen?«
»Das habe ich jetzt schon«, seufzte sie. »Aber da muss ich durch. Ich bin schließlich kein kleines Mädchen mehr.«
»Nein, das bist du weiß Gott nicht«, beteuerte Alexander, und wieder sandte er einen kurzen sehnsüchtigen