erst mit 17.«
Er, Nairo und Dayer wurden dicke Freunde, obwohl Nairo drei Jahre jünger war und Dayer fünf. Das war 2004, im gleichen Jahr, in dem ein junger, sportverrückter Mann namens Victor Hugo Silva zum Bürgermeister von Arcabuco gewählt wurde und die Schulmeisterschaften der Provinz in die Stadt holte. Einige Wochen vor dem Wettkampf im Mai besuchte Silvas Sportkoordinator Rusbel Achagua die Schule. »Ich meldete mich für das Radfahren an«, erinnert sich Cayetano.
Achagua gab Cayetano ein paar grundlegende Trainingstipps und Nairo wurde neugierig. »Ich fing an, mit ihm zu trainieren«, erzählte mir Nairo, »und wir spornten uns gegenseitig an.«
Obwohl er relativ spät mit dem Radsport begann, gewann Cayetano 2009 den Giro d’Italia der U23, bevor er fünf Jahre lang als Profi in Europa fuhr.
Cayetano gab Nairo auch seine erste gepolsterte Radhose. Nairo benutzte sie, bis die Farbe verblasst und das Polster verschlissen war, dann gab er sie weiter an Dayer, der sie trug, bis sich die Nähte auflösten.
Arcabuco hatte noch einen anderen jungen Radsportler vorzuweisen, Camilo Moyano, der bei den Panamerikanischen Spielen 2007 Silber im Omnium gewann und 2009 für Colombia Es Pasión in Europa fuhr. Sein Vater führte das erste nennenswerte Radgeschäft in Arcabuco. Cayetano, Nairo und Dayer fanden allerdings Unterstützung bei einem etwas schlichteren Betrieb.
Ein ortsansässiger Geschäftsmann namens Héctor Garabito, der Mineralwasser aus einer der vielen Quellen abfüllt, die rund um das Dorf an die Oberfläche treten, vermietete an einen Mann namens Raúl Malagón, der sowohl Fahrradmechaniker als auch Imker war, ein leeres Ladenlokal in der Nähe der Kirche von Arcabuco.
»Als ich anfing«, erzählte mir Nairo, »suchte ich Raúls Werkstatt auf, um mein Rad einstellen zu lassen und zu lernen. Er setzte unsere Maschinen instand und unterhielt sich mit uns über den Radsport. Im Gegenzug putzten wir Fahrräder und flickten Reifen.«
Raúl entwickelte Trainingsstrategien, die auf die damalige Zeit und den Ort abgestimmt waren. So stattete er Nairo mit einem schweren Rad aus, damit sein junger Schützling kräftiger würde. Und, erinnert sich Nairo, »er verabreichte uns Pollen und Gelée Royale und füllte Wasser in die eine Trinkflasche und eine Honiglösung in die andere.«
Raúls Schwester Maribel Malagón, die noch immer einen Gemischtwarenladen in Arcabuco betreibt, erinnert sich: »Mein Bruder betreute 13 oder 14 junge Fahrer, wobei Nairo der vielversprechendste von ihnen war. Raúl veranstaltete Tombolas und matachines [Feste mit Volkstänzen], um Geld aufzubringen. Nach einer davon kaufte er ein Rad für Nairo.«
Nairo, sagt sie, war »winzig, schüchtern und edelmütig«.
Raúl stellte Nairo sowohl Bürgermeister Silva und dessen Sportkoordinator Rusbel Achagua als auch einem jungen und enthusiastischen Ratsmitglied namens Jaime Póveda vor. »Wir konnten uns glücklich schätzen, sie zu haben«, erinnert sich Nairo. »Wenn wir etwas brauchten, waren sie immer für uns da, sie gaben uns so viel Unterstützung, wie es die Umstände erlaubten.«
An Schultagen fuhr Nairo hinunter nach Arcabuco, schaute in der Werkstatt vorbei und absolvierte eine Einheit auf einer Rolle, die so oft repariert worden war, dass sie quasi Marke Eigenbau war. Nach der Schule kam er wieder, setzte sich eine weitere halbe Stunde auf die Rolle und absolvierte dann ein Zeitfahren hinauf nach Agua Varuna.
Nairo erinnert sich: »Der Schulbus fuhr los und hielt hin und wieder an, um Schüler abzusetzen. Wir starteten einer nach dem anderen, im Abstand von zwei oder drei Minuten, und versuchten, den Bus einzuholen. Raúl, Rusbel oder Póveda fuhren im Auto oder auf dem Motorrad hinauf und stoppten unsere Zeiten – wenn sie es schafften.«
Pedro Camargo, ein Agrarwissenschaftler im Büro des Bürgermeisters, der noch immer ehrenamtlich für den Radsportclub arbeitet, erinnert sich an das erste Mal, als Nairo sich seiner Trainingsgruppe anschloss. »Man sah, dass er etwas Besonderes war. Er war jung und winzig und ihm fehlte es an Training, aber es war unmöglich, ihn abzuhängen.«
Das Dorf legte zusammen, um seine angehenden Radsportler zu unterstützen. Héctor Garabito erzählte mir: »Wir alle spendeten kleine Summen. Alle Ladeninhaber und kleinen Geschäfte. Der lokale Radiosender, Radio Estéreo, richtete Rennen aus und sammelte Geld für Wettkampf-Spesen und Fahrradteile. Cayetano Sarmiento bestritt die Volta a Colombia der Junioren mit Radkomponenten, die Radio Estéreo gespendet hatte, und mit Laufrädern, die von [nationalen Rad-]Teams wie UNE und Colombia Es Pasión gestiftet wurden. Anschließend wurden die Teile an Nairo und Dayer weitergegeben.«
Nairo begann, alle paar Wochen Dorfrennen zu bestreiten. Maribel Malagón kramte einen Plastik-Pokal hervor und stellte ihn in ihrem Laden auf den Tresen. Er ist beschriftet mit 1ra Copa Ciclo Mtañismo MONIQUIRÁ 2/05 – 06 (»1. Mountainbike-Cup MONIQUIRÁ 2. Mai 2006«).
»Es war sein erster Sieg. Nairo schenkte ihn Raul als eine Art, um Danke zu sagen.«
Der älteste Sohn in bäuerlichen Familien hatte wichtigere Dinge zu tun, als Fahrrad zu fahren. Am 24. November 2003 – ein Datum, das fest in sein Gedächtnis eingebrannt ist – folgte Alfredo Quintana auf den Spuren seines Großvaters und betrat den traditionellen Karrierepfad für die Söhne der Armen: Er rückte ein. Ein verheißungsvoller Moment für die kolumbianischen Streitkräfte.
Mitte der 1990er Jahre waren 60 Prozent der kolumbianischen Armeeangehörigen zwangsverpflichtete Schulabgänger und die militärische Ausrüstung beschränkte sich auf das Nötigste. Truppen zu verstärken, die in isolierten Gebieten von der FARC angegriffen wurden, war so gut wie unmöglich. Die Armee verlangte Black-Hawk-Hubschrauber, aber unter dem in Ungnade gefallenen Präsidenten Samper blieb ihr der Zugriff auf US-Militärtechnik verwehrt. Als Ernesto Samper im Jahr 1998 vom Harvard-Absolventen Andrés Pastrana als Präsident des Landes abgelöst wurde, regte dieser eine ambitionierte, international finanzierte Initiative nach Vorbild des Marshallplans für Kolumbien an. Unter Präsident Clinton verdoppelten die USA ihre Hilfe auf 280 Millionen US-Dollar. Im August 1998, eine Woche nach Pastranas Amtsantritt, erwarb die kolumbianische Armee den ersten von 14 Black Hawks. Die Streitkräfte begannen, Wehrpflichtige durch Berufssoldaten zu ersetzen, ihre Geheimdienste zu verbessern und Offiziere mit Kontakten zu Paramilitärs aus ihren Reihen zu entfernen.
Pastranas zwei Kernstrategien waren geteilte Verantwortung zwischen produzierenden und konsumierenden Ländern im Kampf gegen die Drogen und Friedensverhandlungen mit der FARC. Die FARC, deren Kassen aus Drogenerlösen reich gefüllt waren, hegte allerdings kein dringendes Bedürfnis nach Frieden und forderte als eine Vorbedingung für Gespräche einen sicheren Rückzugsort größer als die Schweiz. Erstaunlicherweise willigte Pastrana ein. Am 7. Januar 1999 aber, dem Tag, für den der Beginn der Gespräche vereinbart worden war, tauchte der altgediente FARC-Anführer Manuel Marulanda nicht auf, sodass Pastrana neben einem leeren Stuhl für die Fotografen posierte. Als die Verhandlungen schließlich aufgenommen wurden, machte die FARC weiter damit, zu entführen, zu morden, Landebahnen anzulegen und Koka anzubauen.
Am 20. Februar 2002 zwangen Entführer aus Reihen der FARC einen Linienflug zur Landung in der Nähe der entmilitarisierten Zone und kidnappten einen der Passagiere, den Vorsitzenden der Friedenskommission des kolumbianischen Senats. Pastrana brach die Verhandlungen ab, entsandte 13.000 Soldaten, um die EMZ wiedereinzunehmen, und setzte einen geharnischten offenen Brief an Marulanda auf, der mit den Worten begann: »Ich gab Ihnen mein Wort und hielt es bis zum Schluss, aber Sie haben meine Gutwilligkeit und die aller Kolumbianer missbraucht…«
Die FARC reagierte mit der Entführung der Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt und deren Wahlkampfleiterin Clara Rojas. Sie bombardierten Ölpipelines, Strommasten und Wasseraufbereitungsanlagen, ermordeten den Erzbischof von Cali, entführten zwölf Abgeordnete der Provinz El Valle del Cauca und, am schlimmsten, feuerten während einer Schießerei in einem winzigen Dorf nahe der Pazifikküste namens Bojayá eine Gasflaschen-Bombe auf eine Kirche, die 117 Menschen, darunter 48 Kinder, in den Tod riss.
Bis