Horst Bosetzky

Mörder kennen keine Grenzen


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im ersten Augenblick angenommen hatte. Das Gefühl der Überlegenheit, das mich trotz meiner ungünstigen Lage noch immer nicht verlassen hatte, wich einer Welle von Angst und Resignation. Dieser Mensch würde mir ein Leben lang folgen, und nun hatte ich neben dem physischen Tod noch einen anderen zu fürchten, den gesellschaftlichen. Und der war schlimmer, weil nach ihm statt der Ruhe eine wirkliche Hölle kam. Schlagartig war ich mir bewusst, dass ich diesem Mann von nun an auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war. Plötzlich spürte ich Hass in mir aufsteigen, einen wilden, primitiven Hass. Alles in mir schrie: Schlag ihn tot, schaff ihn beiseite, bring ihn um!

      „Ich hasse Sie genauso wie Sie mich“, sagte Ziegenhals beschwörend. „Und das muss sich ja schließlich einmal neutralisieren.“

      Ich fiel auf meinen Stuhl zurück, mein Blutdruck musste die Zweihundertgrenze erreicht haben, meine Gallenblase schmerzte, als hätte man mir einen Nagel hineingetrieben. Meine Hände krampften sich um die Tischplatte.

      Ziegenhals rührte sich nicht. Er wusste genau, dass das der entscheidende Augenblick war. Wenn mir jetzt die Nerven durchgingen und ich ihn hinauswarf und zum Telefon griff, dann hatten wir beide verloren.

      Schon revoltierte mein Darm, der übliche Durchfall, wenn ich mich aufrege. Ich sprang auf, Ziegenhals rutschte mit seinem Sessel nach hinten an die Wand. Unwillkürlich duckte er sich. Er war bleich geworden.

      Doch ich stürzte an ihm vorbei, riss die Tür auf und lief den Flur hinunter. Zum Glück stand die Toilette, die dem Lehrpersonal vorbehalten ist, sperrangelweit offen.

      Dieser Zwischenfall gab mir Zeit, mich wieder zu sammeln.

      Als ich mir dann mit eiskaltem Wasser das Gesicht abwusch, war ich wieder um einige Grade zuversichtlicher. All the world’s a stage and the men and women merely players ... Nun gut, dann würde ich eben eine neue Rolle spielen, die des Erpressten. Und wer sagte denn, dass ich es war, der die Partie schließlich verlor?

      Als ich in mein Büro zurückging, hoffte ich dennoch im Stillen, dass Ziegenhals verschwunden sein möge. Warum konnte es denn kein Traum sein?

      Aber er saß noch da, breit und selbstgefällig wie ein Buddha. Er wusste, dass er gewonnen hatte. Ich blieb am Fenster stehen und blickte den Mädchen hinterher, hohe bunte Stiefel und kurze Röcke, ein Bild, das mich immer wieder faszinierte, berauschte, erregte. Das war schön. Und es würde auch noch schön sein, wenn ich Herrn Ziegenhals gelegentlich einen mehr oder minder großen Betrag zu überweisen hatte.

      „Was verlangen Sie?“, fragte ich scharf, schnauzte ihn beinahe an wie einen Bittsteller.

      „5000 Mark sofort ... Sozusagen die Eintrittsgebühren in unsere Symbiose ... Und dann 1000 Mark monatlich, pünktlich auf ein Konto, das ich Ihnen noch nennen werde. Kleine Fische für Sie ...“

      Ich schluckte und presste meine Hand auf die Gallengegend. Aber auch in der linken Seite verspürte ich heftige Stiche. Ich verfluchte ihn, alles in mir empörte sich. Ich musste mich gegen die Wand lehnen. Das Gefühl der Ohnmacht mischte sich mit einem ins Unendliche wachsenden Hass. Ich schwöre dir, dass ich dich zur Strecke bringe, dass ich dich fertig mache! Du wirst noch einmal alles bereuen, du wirst diesen Tag noch verfluchen!

      Ich sah ihn vor dem Richter stehen, sah seinen Kopf in einer Schlinge stecken, sah ein Dutzend Messer in seinen Körper dringen, sah ihn in meinem Würgegriff röcheln. Und diese Bilder halfen mir, ließen mich die Fassung behalten, das Gesicht wahren. Kommt Zeit, kommt Rat. Morgen sieht die Welt schon wieder anders aus. Noch ist Polen nicht verloren. Wer zuletzt lacht, lacht am besten. Ich konnte nur noch in stereotypen Formeln denken. Aber sie waren tröstlich. So hatte ich dann die Kraft, mich zu beugen.

      „Einverstanden ... Und wie lange soll das so gehen?“ „Bis Ihr Ehrgeiz erkaltet ist und Sie zur Polizei gehen könnten ...“

      „Das kann bis zum Jahre zweitausend dauern!“

      „Na und ...?“

      „Bis dahin, mein Lieber, wird aber einer von uns beiden auf der Strecke geblieben sein! Darauf können Sie Gift nehmen.“

      4. Kapitel

      ZWISCHENSPIEL MIT EINEM MORD

      Es war ein trüber Tag, feiner Sprühregen ließ Steine, Blätter und Busse glänzen, und sogar in den sparsamsten Büros brannte mittags noch Licht. Die große Stadt roch irgendwie nach Katzendreck. Die Menschen waren mürrisch und niesten, träumten von warmen Betten und Sonnenstränden und dachten an die Friedhofsbesuche, die nun wieder fällig waren. Wie lange würde es noch dauern, bis man ihre eigenen Namen in die wartenden Steine meißelte?

      Miezi, in den Akten zuständiger Behörden als die Prostituierte Marianne Ihlow geführt, überquerte die breite Hasenheide und passierte den Eingang zum Park. In einem leichten Bogen stieg sie zum dunklen Denkmal des Turnvaters Jahn hinauf. Ein paar Kinder, die Ranzen auf dem Rücken, versuchten die Inschriften auf dem Sockel zu entziffern. Zwei schwarz gekleidete Muttchen priesen die Tugenden ihrer längst verstorbenen Ehemänner. Ein rüstiger Rentner, der seine tägliche Runde durch den weiten Park drehte, blieb oben an der Brüstung stehen und sah träumend zu, wie Miezis Knie bei jedem Schritt den Saum des beigefarbenen Lammfellmantels teilten.

      Das Mädchen bemerkte ihn nicht. An diesem Tag war alles anders als sonst. Ziegenhals war zwar schon ein paar Tage fort, aber erst jetzt kam ihr zu Bewusstsein, was das für sie bedeutete. Mit seinen Späßen hatte er das Leben erträglich gemacht; hatte nie auf sie herabgesehen – und wenn er mit ihr geschlafen hatte, dann nur, weil sie eine junge und nett aussehende Frau war ... gemeinsam hatten sie über die bürgerlichen und ehrbaren Frauen gelacht, die jeden Morgen in stickige Büros rannten oder ihre schniefnasigen Kinder für den Schulgang herrichteten. Das war nun alles vorbei.

      Miezi stieg auf gewundenen Wegen zur Rixdorfer Höhe hinauf, um zu sehen, ob drüben in Tempelhof schon wieder Flugzeuge aufstiegen. Ihr Körper kam ihr plötzlich schwer und unförmig vor, in den braunen Stiefeln schien Blei zu stecken. Sie war 32 Jahre alt, die Hälfte ihres Lebens konnte schon vorüber sein. Was sollte sie mit den verbleibenden Jahren anfangen? Sie hatte die Männer, die zu ihr kamen, bis oben hin satt. Sie waren brutal und verachteten sie. Und nun war Ziegenhals fort und mit ihm der letzte Rest von Heiterkeit.

      Sie erreichte die Anhöhe und wandte sich nach Süden, wo sich der Nebel lichtete und das weite Flugfeld freigab. Eine silberne Boeing 727 verschwand in der Waschküche über Neukölln. Ganz hinten kroch ein kurzer S-Bahn-Zug zum Bahnhof Hermannstraße. Ein aufgeplusterter Spatz hüpfte in ihre Nähe und blickte mit flinken Knopfaugen erwartungsvoll zu ihr herauf. Doch sie hatte keine Brotkrümel bei sich.

      Was mochte aus Ziegenhals werden? Sie stellte sich vor, wie er in einigen Jahren in einer hübschen kleinen Wohnung saß, eine hübsche Frau im Arm hielt und auf einen blonden Sohn hinunterblickte, der auf dem bunt gemusterten Teppich mit einer elektrischen Eisenbahn spielte. Bilder und Szenen aus einer friedlichen und sorglosen Welt. Die elegische Stimmung hatte sie mitgerissen, ließ sie alles grau in grau sehen.

      Und wenn sie nun wieder arbeiten ging, wieder Relais justierte und Kupferdrähte an Messinglaschen lötete, wenn sie sich woanders ein Zimmer nahm, wenn sie Ziegenhals bat, ihr zu helfen? Er war ja auch von seinem alten Leben losgekommen, wenn sie auch nicht wusste, wie.

      Doch als sie dann zum Columbiadamm hinunterstieg, um vom U-Bahnhof Boddinstraße aus nach Hause zu fahren, bekam sie Angst vor ihrem eigenen