Alfred Bekker

Romantic Thriller Sommer 2020: 9 Romane um Liebe und Geheimnis


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des Mannes, und der Anflug von Panik verflog. Wieder so ein Vorfall, für den es keine Erklärung gab.

      Doch Lord Reginald hatte mittlerweile gelernt diesen Stimmen aus dem Nichts zu vertrauen. Bisher hatten sie sich noch nie geirrt und ihn auch noch nie belogen. Ganz im Gegenteil.

      Trotzdem – wo zum Teufel steckte Jessica mit dem jungen Mann? Ein einfacher Spaziergang draußen im Garten konnte doch schließlich nicht gefährlich sein, oder? Und vor allem würde der nicht so lange dauern.

      11

      Im Zoo lief Sheena in ihrer großzügigen Anlage unruhig auf und ab. Das Tier hatte kein Futter angerührt, war den sanften Händen von Peter, dem Pfleger, ausgewichen, der die aufgebrachte Gepardin beruhigen wollte, und hatte unablässig in eine bestimmte Richtung gestarrt. Die Augen funkelten zornig, und die Haare auf dem gesamten Rückenfell waren gesträubt. Das Tier hatte entweder vor etwas oder jemand panische Angst, oder sie spürte etwas, mit dem ein Mensch nichts anfangen konnte.

      Unvermittelt veränderte sich das Verhalten der Gepardin, und der Tierpfleger, der sie bisher aufmerksam und ängstlich beobachtet hatte, wunderte sich nicht wenig. Schlagartig wurde aus der gereizten wilden Raubkatze ein friedliches Schmusekätzchen. Sheena rieb den Kopf an einem Baum und schaute fragend auf den für sie verantwortlichen Menschen, der ihr durch das Gitter zuschaute. Es war ihm völlig unverständlich, was in das Tier gefahren war. Seit vielen Jahren schon hatte er mit Katzen zu tun und wusste, wie sensibel diese Tiere waren. Sie schienen es zu spüren, wenn jemand krank oder traurig war, sie schmusten und kuschelten und verbreiteten damit ein behagliches Gefühl. Zwischen Sheena und Lady Jessica bestand eine ganz besondere Verbindung, wie jeder sehen konnte, der die beiden zusammen beobachtete.

      Ob etwas mit der schönen jungen Lady passiert war? Aber vielleicht handelte es sich auch nur um eine Laune der Katze, die niemand so recht erklären konnte.

      Jetzt war jedenfalls alles wieder normal.

      12

      Ein ohrenbetäubendes Kreischen setzte ein, verzweifelt hielt ich mir die Ohren zu und wich einige Schritte zurück, nicht mehr darauf achtend, ob es hier vielleicht tödliche Fallen gab. Nur sollte endlich dieses Kreischen aufhören.

      Das Geräusch begleitete jedoch den Öffnungsvorgang der schweren steinernen Tür. Sie schob sich zur Seite, und eine Kammer kam dahinter zum Vorschein. Zu unserer Überraschung befand sich Helligkeit darin. Wieso? Hier gab es doch keinen Strom, und dass die drei Geister auftauchten, war eher unwahrscheinlich, denn sie waren ja schließlich selbst auf der Suche und hatten erklärt, sie könnten diesen Ort nicht erreichen.

      Die einsetzende Stille schmerzte ebenso in den Ohren wie das Kreischen zuvor. Ohne bewusst darauf zu achten, standen Gordon und ich eng beieinander. Er legte beschützend seine Hand um meine Schulter, ich fand diese Berührung in der augenblicklichen Situation sehr angenehm und beruhigend.

      „Was ist das?“, flüsterte ich. Doch jetzt wollte ich nicht länger warten, und ich wollte vor allem meine Angst überwinden. Mutig schritt ich voran. Eine Art Altar war dort zu sehen, darauf lagen einige aus sich selbst leuchtende Kristalle. Ich stellte nicht die überflüssige Frage, wieso diese Kristalle leuchten konnten, darauf würde ich sowieso keine Antwort bekommen. Aber interessant war für uns das Buch, welches sich ebenfalls auf dem Altar befand. Ziemlich dick und bestimmt sehr schwer, mit einem hölzernen Einband und getriebenen Silberarbeiten darauf. Das war unser Ziel.

      Ehrfürchtig streckte ich die Hand aus und berührte das Buch. Ein leichter elektrischer Schlag durchfuhr mich, doch ich schreckte nicht zurück. Neugierig schlug ich den Deckel auf, während mein Herz wie wild raste. Selbst wenn es nicht darum gegangen wäre, die drei Geister der ewigen Ruhe zuzuführen, hätte ich mich jetzt aufgeregt, denn das hier war bestimmt etwas ganz besonderes.

      Neben mir hörte ich das erregte Atmen von Gordon. Auch er war ganz in der Situation gefangen.

      In blutroter Schrift sprangen uns die Buchstaben auf der ersten Seite förmlich entgegen, formten sich zu Worten, die für mich keinen Sinn ergaben und doch bestimmt von schicksalsschwerer Bedeutung waren.

      Ich spürte plötzlich eine Gefahr auf mich zukommen. Ich schaute mich um, und im gleichen Moment erklang ein schabendes Quietschen. Irgendwo in den Wänden öffneten sich die nächsten Fallen, um uns zu töten. Da vorne, wie eine Schießscharte, wurde eine Luke sichtbar. Ich gab Gordon einen Schubs, dass er aus der Schusslinie stolperte, und warf mich selbst zu Boden. Das war rein instinktiv gehandelt, aber es erwies sich als vollkommen richtig, wie ich gleich darauf feststellte, denn sogar aus zwei Öffnungen schossen diese widerlichen Speere und hätten uns unweigerlich getroffen. Die Wucht der Durchschlagskraft hätte in jedem Fall gereicht, um uns schwer zu verletzen, wenn nicht gar zu töten. Doch als die Speere auf die Wand auftrafen, gab es ein hässliches metallisches Knirschen, und beide Waffen fielen zu Boden, wo die hölzernen Schäfte zersplitterten und in tausende Einzelteile zerbrachen. Die tödliche Falle musste vor unendlichen Zeiten eingerichtet worden sein, doch an ihrer Gefährlichkeit änderte das nichts.

      Zitternd stand ich auf und betrachtete die Waffen, die jetzt so harmlos wirkten. Auch Gordon rappelte sich auf. Er schaute kopfschüttelnd von den Speeren zu mir und wieder zurück.

      „Woher – ich meine, wie hast du gewusst, dass...“ Er brach ab und bemerkte nicht einmal, dass er unvermittelt zum Du übergegangen war. Ich hatte nichts dagegen. Es gibt wohl nur wenige Situationen, die enger verbinden als eine überstandene Lebensgefahr.

      „Ich wusste es einfach“, erwiderte ich, noch immer geschockt. Er zog mich an sich, und ich spürte gleich darauf den kräftigen Körper, in dem das Herz langsam wieder auf eine normale Schlagzahl zurückkehrte. Er roch gut, sein After-Shave passte zu ihm, war herb und männlich, und als er jetzt den Kopf beugte und mich küsste, musste das einfach so sein. Ich schmeckte seine Lippen und fühlte mich trotz der bedrohlichen Lage wie im siebten Himmel.

      „Alles in Ordnung?“, erkundigte sich Gordon nach einer, wie mir schien, viel zu kurzen Zeit.

      „Ja, natürlich. Wir sollten das Buch nehmen und versuchen einen Ausgang zu finden.“

      „Ein außerordentlich praktischer Vorschlag.“ Er nahm das schwere Buch unter den Arm, und für einen Augenblick lang hatte ich das Gefühl, ich müsste es ihm wieder wegnehmen. Der Anfall verflog, als ich mich selbst zur Ordnung rief.

      Kaum hatten wir die Tür erreicht, schreckte uns ein erneut grässliches berstendes Geräusch auf. Der Altar versank im Boden, die Wände und die Decke grollten lauter als der Donner bei einem Gewitter, und selbst die Luft vibrierte. Staub und kleine Steine rieselten aus der Decke, und dieses Mal war es Gordon, der mir einen Schubs gab.

      „Lauf!