dass Gefühle sich nicht befehlen lassen.
„Darüber müssen wir sicher nicht diskutieren. Und ich denke, dieses Thema sollten wir auch nicht vertiefen“, wandte mein Vater ein. „Jetzt ist jedenfalls dieses Buch hier, Jessica. Willst du wirklich den Geistern helfen?“
„Ja“, lächelte ich. „Wenn Professor Hagen bereit wäre, die Texte zu übersetzen. Denn ich kann die nicht lesen.“
Er nickte. „Das will ich gern tun. Aber ich würde ebenso gern das Buch untersuchen, wenn Sie gestatten.“
„Ein Leckerbissen?“, neckte ich.
„Auf jeden Fall. Nur selten findet man ein derart gut erhaltenes Exemplar mit bisher noch unbekannten Inhalten. Allerdings sieht sogar ein so ungehobelter Klotz wie ich, dass Sie für diesen Tag mehr als genug hinter sich haben, Mylady. Sie sollten sich zur Ruhe begeben. Trotzdem – darf ich einen Blick hineinwerfen?“ Verlangend schaute er mich an, aber in seinem Blick lag keine Gier. Ich hatte in diesem Fall nichts dagegen.
James strich bewundernd über das Silber, das im Laufe der Jahre schwarz geworden war. Erst jetzt fiel mir auf, dass der Einband aus massivem Holz völlig unzerstört war. Kein Wunder, dass dieses Buch ein ordentliches Gewicht aufzuweisen hatte.
Die Blätter bestanden aus vergilbtem Pergament, die Schrift war jedoch erstaunlich scharf. Welch eine Tinte mochte der unbekannte Schreiber damals benutzt haben? Nun, vielleicht würde der Professor mir dazu noch etwas erzählen. Aber nicht heute.
Von den Füßen her kroch bleierne Müdigkeit in mir hoch, und ich kämpfte plötzlich damit die Augen offen zu halten. Ich sah den Blick von James, der warm und verständnisvoll auf mir ruhte. Er zwinkerte mir doch wahrhaftig zu, dann schloss sich die Tür hinter ihm. Mein Vater musterte mich kritisch.
„Ich glaube, mein Kind, du brauchst im Augenblick nichts weiter als ein Bett. Alles Weitere hat Zeit bis morgen. Bist du damit einverstanden, dass ich das Buch im Tresor verschließe, oder möchtest du es mit ins Bett nehmen? Allerdings fürchte ich, es ist zu unhandlich, um es unter dem Kopfkissen zu verstecken, wie du es früher gern mit deinen Schmökern gemacht hast.“
Dieser Ausspruch traf mich völlig unvorbereitet, und die gesamte Anspannung des Tages löste sich in einem fast hysterischen Gelächter.
15
Es war dunkel, doch ich hörte draußen vor meiner Zimmertür Leute hastig auf und ab laufen und mit verhaltener Stimme reden. Was war denn hier mitten in der Nacht los?
Mühsam hob ich den Kopf und fühlte, dass mein ganzer Körper gegen jede Art von Bewegung protestierte.
Schlagartig fielen mir die Ereignisse des vergangenen Tages wieder ein. Das erklärte allerdings nicht den Aufruhr da draußen auf dem Flur. Rein zufällig fiel mein Blick zur Uhr, und die Leuchtziffern machten mir deutlich klar, dass es schon lange nicht mehr Nacht war. Halb zehn am Vormittag! Wie hatte ich nur so lange schlafen können?
Eine undeutliche Erinnerung sagte mir, dass ich noch auf meinen eigenen Füßen in mein Zimmer gegangen war, dann hatte jemand die Vorhänge so fest zugezogen, dass nicht ein Lichtstrahl durchringen konnte.
Aber was war da draußen los? Es war doch kein Hausputz angesagt, bei dem das gesamte Personal wie ein Bienenschwarm über die Zimmer herfiel und das unterste zuoberst kehrte. Ich entschied mich gegen den Protest meines Körpers nun doch endlich aufzustehen. Dabei konnte ich ein Stöhnen nicht unterdrückten, aber das half ja auch nichts. Vielleicht würden gleich zwei Aspirin die Schmerzen etwas eindämmen. Gegen das Dröhnen in meinem Kopf halfen sie sicher. Wie gut, dass heute Sonntag war, denn eine plausible Erklärung wäre mir sicher nicht eingefallen, um mein Fehlen am Arbeitsplatz zu erklären.
Ich griff gerade nach einer Hose und einem Pulli, als mir der unverkennbare Duft von Rosen auffiel. Da lag wiederum eine dieser besonderen schwarzen Rosen, und ein Blatt Papier gab es zusätzlich. In einer altertümlichen feinen gestochenen Schrift konnte ich die Buchstaben lesen.
„Sie sind eine mutige junge Dame, und wir werden Ihnen zu besonderem Dank verpflichtet sein. Erwarten Sie uns heute um Mitternacht, und lehnen Sie bitte unseren Dank nicht ab.“
Nun, irgendwie hatte ich schon damit gerechnet, dass die drei Geister sich früher oder später meldeten. Schließlich hatte ich Kopf und Kragen riskiert, damit sie endlich die ewige Ruhe finden konnten. Falls ich bereit war das Wissen aus dem Buch zu nutzen. Denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass es so einfach sein würde.
Sobald Professor Hagen den Text übersetzt hatte, stand mir sicher noch einmal eine Suche nach den Gräbern bevor. Drei Särge waren nicht so einfach zu verbergen, die beanspruchten einen gewissen Raum. Bisher hatte jedoch noch niemand je irgendwo einen Fund dieser Größenordnung gemeldet. Es ging also sicher noch einmal darum ein Versteck ausfindig zu machen. Wollte ich das wirklich auf mich nehmen? Ja, doch, schon um ein reines Gewissen und das gute Gefühl zu haben, jemanden nicht im Stich zu lassen.
Ich steckte die Rose in ein Knopfloch meiner Weste, die ich über den Pulli trug und ging aus dem Raum – um im nächsten Moment erstarrt stehenzubleiben.
„Wer sind Sie denn? Wie kommen Sie in das Zimmer? Was tun Sie hier?“ Ein mir völlig fremder Mensch kam auf mich zugeschossen und deutete bei jeder Frage mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf mich. War ich hier im falschen Film?
16
„Ich bitte vielmals um Entschuldigung für den übereifrigen Beamten.“ Inspector Hopkins zuckte die Schultern, und damit war die Sache für ihn abgetan. Schließlich hatte der Mann nur seine Arbeit gemacht. Aber ganz Rosemont Hall wimmelte vor Polizei, und das war um einiges schlimmer als der befürchtete Hausputz.
In der Nacht war jemand bei uns eingebrochen. Hier bei uns! Kaum zu glauben. Die Sicherheitsvorkehrungen waren fachgerecht außer Kraft gesetzt worden, was darauf hindeutete, dass es sich um einen Profi handelte. Oder um jemanden, der von Berufs wegen öfter mit Alarmeinrichtungen zu tun hatte und deswegen die Schwachstellen kannte.
Unwillkürlich schoss mir der Gedanke an Gordon McBride durch den Kopf, als der Inspector eine entsprechende Frage stellte. Am Gesicht meines Vaters konnte ich ablesen, dass auch er die gleiche Idee gehabt hatte. Hopkins ließ sich nun aus meiner Sicht die Szene noch einmal schildern und brummte.
„Stimmt etwas nicht?“, erkundigte ich mich verwundert.
„Sehen Sie, Mylady, ich bin seit vielen Jahren Polizist. Aber in all der Zeit habe ich es noch nicht erlebt, dass zwei Zeugen die gleiche Aussage über denselben Vorgang machen. Bei Ihnen beiden stimmt die Aussage bemerkenswert überein.“
„Wir