in den Händen. Sollte es mir nicht schnell gelingen das aufgebrachte Tier zu beruhigen, würde er schießen und die Wildkatze betäuben, damit wir bei einer Untersuchung hoffentlich den Grund für diese Erregung finden konnten.
Mein Kollege stand mit grimmigem Gesicht da und betrachtete den Professor kritisch.
„Hast du dir Verstärkung mitgebracht? Die wirst du brauchen können. Ich habe noch nie eine Raubkatze in einem solchen Zustand erlebt. Das geht nun schon mehr als zwei Stunden so. Ich bezweifle, dass du Erfolg haben wirst, aber bitte, versuch’ dein Glück.“ Er hielt James am Arm fest, als der mich auch weiterhin begleiten wollte.
Langsam näherte ich mich dem Gehege und sprach ruhig auf die Gepardin ein. „Sheena, mein Kleines, was ist los mit dir? Hat dir jemand etwas getan? Oder hast du dich verletzt? Würdest du mir deine Pfoten zeigen, ob du vielleicht einen Dorn in deinem Ballen hast? Beruhige dich doch, meine Schöne. Niemand will dir hier etwas Böses tun.“
Der Klang meiner Stimme ließ das Tier fauchen, doch ich wusste instinktiv, dass es sich dabei nicht um eine Drohung handelte. Sheena sprach mit mir, was mir der Augenkontakt deutlich bewies. Das gesträubte Fell glättete sich, und das Tier kam auf mich zu.
„Gefahr“, spürte ich in meinem Innern und war gar nicht mehr überrascht. Ich wusste, dass die Gepardin und ich ein ganz besonderes Verhältnis zueinander hatten, auf eine wunderbare unfassbare Weise.
Ich war also in Gefahr. Das hatte auch James behauptet. Sheena streckte mir eine Pfote durch das Gitter entgegen, ich wollte meine Hand ausstrecken, um diese zärtliche Geste zu erwidern.
„Bist du verrückt?“, brüllte Louis und hob die Waffe.
„Wage es ja nicht“, gab ich zurück. „Sie hat sich nur über etwas aufgeregt. Sie wird schon wieder ruhig, wie du sehen kannst. Du solltest die Waffe wieder weglegen.“
Das tat er natürlich nicht, ganz im Gegenteil. Er legte an, als ich die Tür des Geheges öffnete und zu Sheena hineinging.
„Ein Teufelsweib“, hörte ich meinen Kollegen schimpfen.
„Und du bist ein Narr. Ich weiß nicht, was ihr alle habt, dies hier ist doch ein Schmusekätzchen.“ Zum Entsetzen all jener, die draußen zusahen, begann ich das Fell zu kraulen. Durch den Körperkontakt entstanden weitere Gedanken in mir. Das Bild von Gordon tauchte auf, wutverzerrt, das Buch, aus dem die Schrift mir förmlich entgegensprang. Woher wusste Sheena von alledem?
Ich sprach so leise mit ihr, dass niemand sonst es hören konnte.
„Was willst du mir damit sagen? Ich soll mich vor Gordon McBride in acht nehmen? Das sagt auch Professor Hagen. Er will auf mich aufpassen, damit mir nichts passiert. Hast du etwas dagegen? Kann ich ihm trauen? Wenn du schon soviel weißt, kannst du mir das auch sagen?“
Sheena suchte mit großen runden Augen meinen Blick, und ich sah in meinem Innern James lachen, so wie er es gestern getan hatte, jungenhaft, offen, unbeschwert. Er genoss also das Vertrauen dieses ungewöhnlichen Tieres. Ein anderes Bild schob sich plötzlich dazwischen, mein Vater mit einem grimmigen und doch ängstlichen Ausdruck im Gesicht. Augenblicklich erfasste mich Angst.
„Ist es das, was du mir sagen willst? Mein Dad ist in Gefahr? Dann musste ich sofort nach Hause und ihm helfen. Ich danke dir, meine Schöne. Morgen bringe ich dir einen Leckerbissen mit.“
Sie umklammerte für einen Moment mit den Vorderpfoten meine Hand und leckte über die Haut, wo noch immer die tiefen Kratzer als Wunde zu sehen waren. Die Zunge war rau wie ein Reibeisen, aber es war doch ein sehr angenehmes Gefühl. Ein letztes Mal strich ich ihr über den Kopf, dann verließ ich das Gehege.
Louis schaute mir kopfschüttelnd entgegen. „Purer Leichtsinn“, schimpfte er gutmütig. „Ich habe dich schon als Appetithappen im eigenen Blut da liegen sehen.“
„Du übertreibst, Louis. Sheena würde mir nie etwas antun. Es war gut, dass du mich gerufen hast. Nun geh und lege endlich das Gewehr wieder weg, du wirst es nicht brauchen.“
Er brummte. „Ist schon in Ordnung. Ich wünsche euch noch einen interessanten Tag.“ Er konnte nicht wissen, dass sein harmlos gemeinter Wunsch einem alten chinesischen Fluch entsprach, der sich auf fatale Weise erfüllen sollte.
18
Es kam mir schon komisch vor, als wir Rosemont Hall betraten. Es war still, viel zu still. Normalerweise tauchte sofort Henson oder sonst jemand vom Personal auf, um mich oder wen auch immer zu begrüßen und nach den Wünschen zu fragen. Aber nichts geschah. Nur das Ticken der großen Standuhr hier in der Halle durchbrach die Stille. Ich schaute James an, und der schüttelte den Kopf. Offenbar hatte er das gleiche ungute Gefühl.
„Hier stimmt etwas nicht“, stellte auch er fest.
Automatisch schlugen wir gemeinsam den Weg zur Bibliothek ein, und hier erwartete uns die Überraschung – allerdings keine angenehme.
Mein Vater saß an seinem Schreibtisch, die Hände auf die Lehnen an seinem Stuhl gefesselt. Von seiner Schläfe lief Blut herab. Doch er zeigte fast keine Angst, sondern nur grimmige Entschlossenheit, und natürlich eine gehörige Portion Wut.
Das Personal, heute nur aus drei Leuten und dem Butler bestehend, stand eng an eine Wand gepresst, Angst tief in die Gesichter eingegraben. Außer bei Henson, dem anzusehen war, dass er vor Zorn fast platzte.
Und vor dem Schreibtisch, auf dem sich das kostbare Buch befand, stand mit überlegenem Gesichtsausdruck Gordon McBride. In der Hand hielt er eine Waffe und bedrohte damit die Leute.
James griff nach meiner Hand und trat einen Schritt vor.
„Wohin hat Sie Ihr verblendeter Ehrgeiz gebracht, Gordon? Was soll diese Dummheit? Wollen Sie sich tatsächlich um jeden Preis unglücklich machen? Bis jetzt ist noch nichts passiert, was man nicht wieder in Ordnung bringen könnte. Ich bin sicher, dass Seine Lordschaft von einer Strafanzeige absehen wird, wenn Sie auf der Stelle die Waffe beiseite liegen und diesen Unsinn beenden.“
„Schluss jetzt mit dem Geschwafel, darauf habe ich viel zu lange gehört“, fuhr Gordon auf und machte heftige Bewegungen mit der Waffe. „Ich will dieses dumme Geschwätz nicht mehr länger hören. Ich werde mir den Schatz holen und dann irgendwo im Ausland ein geruhsames Leben führen. Das dürfte noch um einiges besser sein als ein paar Publikationen zu veröffentlichen, die in irgendwelchen verstaubten Fachzeitschriften erscheinen, rasch wieder vergessen sind und ohnehin nur von wenigen Leuten gelesen werden.“
„Sie können den Schatz meinetwegen gerne haben, ich habe Ihnen schon einmal gesagt, dass von meiner, beziehungsweise unserer Seite kein Interesse daran besteht“, mischte ich mich ein und fiel automatisch in die förmliche Anrede zurück. Dieser Mann verdiente es einfach nicht mit dem vertraulichen Du angesprochen zu werden. „Also los, gehen Sie schon, holen Sie sich, was Sie glauben zu brauchen, und lassen Sie uns in Frieden.“ Mein Herz schlug bis zum Halse, doch meine Stimme klang kühl und beherrscht. Irgendwie musste ich diesen Mann zur Vernunft bringen, sonst würde er vielleicht meinem Vater etwas antun, und das konnte und durfte ich mich zulassen.
Gordon lachte böse auf. „Das hättest du wohl gern. Ich wäre kaum aus dem Zimmer, und schon hättet ihr die Polizei alarmiert. Nein, so geht das nicht. Du, Jessica, wirst mich begleiten. Das gibt mir die Sicherheit, nicht sofort verfolgt zu werden.“