ist das also? Dann sollte ich euch doch besser beide mitnehmen. Seine Lordschaft wird dann sicherlich die große Güte besitzen mich ungeschoren abziehen zu lassen. Natürlich mit dem Schatz, mehr will ich ja im Grunde gar nicht.“
Mir fiel ein, dass McBride gar nichts wissen konnte von dem wirklichen Auftrag, der sich mit diesem Buch verband. Sollte ich eine Bemerkung dazu machen? Wohl eher nicht, er würde mir vermutlich nicht glauben. Auch James gab mir mit den Augen ein Zeichen zu schweigen, so als hätte er wieder einmal meine Gedanken gelesen. Ja, vielleicht war das wirklich besser. Wir mussten uns der Gewalt beugen, McBride würde meinen Vater bedrohen, sollten wir uns weigern. Im anderen Fall würde er James oder mir etwas antun, sollte Dad die Polizei informieren.
„Was haben Sie nun vor?“, fragte ich mit trockenem Mund.
„Professor Hagen, der Unvergleichliche, wird den für uns wichtigen Text jetzt sofort übersetzen. Nach der Logik musste sich die wichtige Passage gegen Ende des Buches befinden, und dann machen wir uns auf den Weg. So einfach ist das.“
„Im Dunkeln?“ Mittlerweile war der Nachmittag in den Abend übergegangen, und die Dämmerung war längst hereingebrochen. Draußen war starker Wind aufgekommen, dicke Wolken türmten sich am Himmel, und Blitze zuckten über den schwarzen Horizont, offenbar die richtige Atmosphäre für eine derart düstere Situation.
James zuckte mit den Schultern. Auch er hatte die Ausweglosigkeit unserer Lage erkannt und noch keine Möglichkeit gefunden, das Unheil aufzuhalten. Er trat langsam näher an den Tisch heran und betrachtete das dicke Buch kritisch.
„Ihnen ist doch klar, dass nicht zwingend gegen Ende des Buches der Hinweis auf das Versteck zu finden sein musste? Wollen Sie im Zweifelsfall wirklich abwarten, bis ich alles durchgelesen habe?“ Die Stimme des Professors klang ruhig und beherrscht, und ich fragte mich, wie er es schaffte, sich so gut unter Kontrolle zu halten. Ich jedenfalls spürte, dass ich am ganzen Körper zitterte, mein Atem ging stoßweise, und ich vermied es, zu meinem Vater hinüberzusehen, denn dann wäre ich vermutlich verrückt geworden.
James schlug nun mit einiger Mühe das schwere Buch auf, seine Augen flogen über den Text, und er bewegte lautlos die Lippen. Offenbar hatte er keine Schwierigkeiten die alte Sprache fließend zu übersetzen.
„Es handelt sich um eine Art Chronik“, erklärte er nach einer Weile.
„So etwas habe ich mir tatsächlich auch schon gedacht“, gab McBride zynisch zurück. „Ich kann das selbst auch lesen, vergessen Sie das nicht, Professor. Man kann über Sie eine Menge sagen, und es wird sicher nicht viel Gutes dabei sein, aber die Ausbildung bei Ihnen ist tatsächlich nicht von schlechten Eltern. Also los, weiter. Ich will gar nicht wissen, was diese Leute sonst noch gemacht haben, ich will nur das Versteck.“
Die nächste halbe Stunde verging in quälendem Schweigen, unterbrochen nur vom Rascheln und Knistern, wenn James ein Blatt wendete. Die Spannung im Raum war greifbar, baute sich sogar immer noch mehr auf, was nicht nur an dem draußen tobenden Gewitter liegen konnte. Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte ich nach einiger Zeit, dass Henson sich langsam bewegte. Er wollte doch nicht etwa...?
Er kam nicht so weit. McBride schien ein ungeheures Gespür zu besitzen, denn er wandte rasch den Kopf und richtete dann die Waffe auf den Butler.
„Versuchen Sie es gar nicht erst“, warnte er. „Mir bliebe immer noch genug Zeit, um seine erhabene Lordschaft zu treffen – oder wen auch immer. Zwei Schritte zurück, oder ist in Ihrem mickrigen Gehalt auch der Tod inbegriffen?“
Henson gehorchte.
„Da ist die gesuchte Passage“, verkündete James gleich darauf. „Um das Wertvollste vor unbefugten Augen und Händen zu schützen, werden wir es an einem sicheren Ort verbergen. Ebenso die Särge. Auf diese Weise darf, darf? – dieses Wort ist etwas unverständlich – werden, dass die Unseligen für Ihre Taten büßen, indem Sie unsere Güter bewachen.“
„Und wo ist nun dieser sichere Ort?“, fragte Gordon ungeduldig.
„Augenblick noch, ich suche ja schon danach.“
Konzentriert studierte der Professor die weiteren Einträge.
„Das hier könnte es sein. Suche den Zugang im Dunklen, das zum Licht führt, folge dem Stern und öffne die Tür, die versiegelt ist mit dem Blute derer, die das Kreuz und die Wahrheit in sich tragen.“
Wir alle blickten bei diesen Worten nicht besonders intelligent aus der Wäsche. Es war doch schon eine vertrackte Angelegenheit gewesen, dieses Buch zu finden und den entsprechenden Text zu übersetzen. Aber das Rätsel hier stellte uns nun vor eine ungleich schwerere Herausforderung.
„Ich glaube, ich weiß, wovon die Rede ist“, meldete sich plötzlich mein Vater zu Wort. „Um diese ganze widerwärtige Angelegenheit endlich zu bereinigen, bin ich sogar bereit ohne Gegenleistung mein Wissen preisgegeben. Hauptsache, Sie verschwinden so schnell wie möglich aus meinem Haus. Ich finde Ihre Anwesenheit unerträglich.“
Hass und Verachtung sprachen aus Gordon, und für einen Augenblick befürchtete ich sogar, er würde meinen Vater schlagen. Doch er machte nur eine angedeutete Verbeugung, in der alles an Spott und Zynismus lag, was er aufzubringen imstande war.
„Ich empfinde den Aufenthalt in Ihrer Nähe ebenfalls als eine Zumutung, Euer Erhabenheit. Aber Sie werden mich schon noch so lange ertragen müssen, bis ich mein Ziel erreicht habe. Dann heißt es auf Nimmerwiedersehen. Je eher Sie reden, umso schneller ist alles vorbei.“
Mein Vater beherrschte sich auch weiterhin angesichts dieser Unverschämtheit, nur James ballte die Fäuste, sagte aber nichts. Dad umklammerte mit den Händen die Lehnen, dass die Knöchel weiß hervortraten.
„Die Kapelle, die zu Rosemont Hall gehört, besitzt einen verborgenen Zugang durch den Altar. Er lässt sich öffnen, indem man die Köpfe der beiden Johannes drückt, der Täufer und der Evangelist. Der Gang führt ins dunkle, doch nach etwa zweihundert Schritten geht es ziemlich steil bergauf, und durch ein Loch in der Decke strömt ein Licht. Danach verzweigen sich die Gänge, und ich hatte nie den Ehrgeiz mich dort unten zu verlaufen, um unbekanntes Gelände zu erforschen. Der Lichtstrahl könnte allerdings als Stern interpretiert werden, wenn ich mich recht entsinne.“
„Du lieber Himmel, wir leben hier auf einer ganzen Ansammlung von Labyrinthen, und ich habe das nicht einmal gewusst“, entfuhr es mir. „Dad, ich glaube, wir sollten alle diese Gänge versiegeln lassen, damit nicht womöglich etwas passiert.“
„Ganz wie du willst, Jessica. Aber all die Jahrhunderte lang ist auch nichts passiert, weil niemand von Habgier und Machtrausch getrieben wurde“, gab er zu bedenken.
„Du hast recht, wir hatten es noch nie mit jemandem zu tun, dessen einziger Ehrgeiz darin besteht, sich an dem zu bereichern, was vielleicht besser verborgen bliebe und ihm auch eigentlich nicht zusteht.“
„Ruhe!“, fuhr McBride dazwischen. „Wir werden den restlichen Weg schon finden, schließlich sind zwei außerordentlich kluge, fähige Menschen bei mir. Ich gehe Ihnen damit auch aus den Augen, Euer Lordschaft, da ja mein Anblick so unerträglich ist.“
„Es ist nicht Ihr Anblick, nur das, was sie mit Ihrem Charakter und Ihrer Geisteshaltung repräsentieren. Schade nur, junger Mann, aus Ihnen hätte wirklich etwas Gescheites werden können. Aber nun gehen Sie schon endlich. Sollte meiner Tochter oder dem Professor allerdings etwas passieren, werde ich Sie bis ans Ende der Welt verfolgen. Dessen dürfen Sie sicher sein.“ Diese Worte kamen mit so großem Ernst, dass Gordon unwillkürlich zusammenzuckte. Er erwiderte allerdings nichts darauf, sondern machte zu James und mir ein Zeichen mit der Waffe.
„Los, vorwärts. Kommt nicht erst auf dumme Ideen, wenn ihr beide am Leben bleiben wollt. Einen von euch würde ich immer erwischen“, drohte er noch einmal.
„Wir wissen es“, knurrte James und griff wie selbstverständlich wieder nach meiner Hand.
„Mein Vater meinte die Kapelle, die hier noch in Gebrauch ist“, sagte ich leise, als Gordon