mit Schiffschaukel, Autoscooter und einem altmodischen Karussell abgehalten wurde, dazu gab es eine Schießbude und Stände mit Zuckerwatte und gebrannten Mandeln. Im Textilhaus Behling kaufte Ilse eine blaue Latzhose und ein blau gepunktetes Kleid für die blonde Selma, die dunkle Ruthilde wählte ein klein geblümtes Hemdblusenkleid und bekam ihre erste Blue Jeans. Mit diesen Neuanschaffungen waren die armen Verwandten standesgemäß für die Stadt gekleidet.
Am nächsten Morgen ging es los, Ruthi stieg in den Mercedes des Großvaters und Selma nahm neben Ilse Platz. Bode mochte den Fahrstil seiner Frau nicht und um eventuell auftretenden Streit zu vermeiden, besaß jeder sein eigenes Auto. Wenn sie beide nach Hannover wollten, fuhren sie in ihren silbernen Flitzern hintereinander her. Ilse verließ Steinhude bewusst später, weil es ihr Ehrgeiz war, ihren Mann auf der Strecke zu überholen. Er hielt sich strikt an die Straßenverkehrsordnung, sie hatte Spaß daran, möglichst viele Verkehrsregeln zu übertreten, ohne dabei erwischt zu werden. In Wunstorf wählte Ilse eine Abkürzung, fuhr bei Rot über die Ampel, mit zwei Rädern über den Fußweg und hatte durch diese Manöver ihren Mann abgehängt. Sie winkte ihm aus dem offenen Verdeck zu und erfreute sich an der Vorstellung, dass es ihm unerklärlich schien, wie sie plötzlich vor ihm auftauchen konnte, obwohl sie doch nach ihm abgefahren war. Mit solchen Späßen zeigte sie den Kindern, wo die Macht des Mannes endet und die kleinen Freiheiten anfangen, die das Leben einer Frau zu bereichern vermögen. Als sie die Landstraße verließen, reichte Ilse der Beifahrerin eine eng anliegende weiße Pilotenmütze, mit genieteten Löchern an den Ohren. Auf der Autobahn raste die alte Dame mit 160 Stundenkilometern über die Teerstraße, sodass der Wind sie beinahe aus den Sitzen gerissen hätte. »Jetzt denkste, die Alte spinnt«, sagte sie zu Selma, der die rasante Fahrt richtig Spaß machte. Das Ziel dieser Reise war die Pelikan-Fabrik in der Podbielskistraße im Herzen von Hannover.
Ilse fuhr mit ihrem Cabrio an das Fabriktor, der Pförtner grüßte: »Guten Morgen, Frau Doktor«, hob die Schranke hoch und ließ sie in den Hof fahren. Vor dem Hauptgebäude mit einem reich dekorierten Jugendstilportal übergab die Fabrikbesitzerin den Autoschlüssel an einen Livrierten mit der Bitte, den Wagen zu betanken und zu waschen. Dann stiegen Großmutter und Großkind die Stufen hinauf und betraten das Gebäude, in dem links vom Eingang die Räume lagen, die die Bodes bewohnen konnten, wenn sie über Nacht in Hannover blieben. Durch eines der hohen Bogenfenster sah Selma den Großvater mit seinem Silberpfeil vorfahren. Er wurde ehrerbietig gegrüßt und überreichte den Wagenschlüssel. Im geräumigen Wohnzimmer war ein Sofa für die Kinder bezogen, im danebenliegenden Schlafraum gab es ein Doppelbett für die Großeltern. Ilse, die Erbin der Pelikanwerke, streifte anstelle des weißen Segelanzugs einen silbergrauen Hosenanzug mit farblich abgestimmtem Schuhwerk über und tupfte Parfüm hinter die Ohren, bevor sie sich mit den Kindern zu einem Rundgang durch die Fabrik aufmachte.
Durch hohe Hallen kamen sie in einen Raum mit riesigen Kupferbottichen, in denen die blaue Pelikantinte gekocht und umgerührt wurde. Hier roch es chemisch nach gallussaurem Eisenoxid. Im nächsten Raum wurden die verschiedenen Tinten in Gläschen gefüllt und mit einem Papieretikett versehen, auf das ein stilisierter Pelikan gedruckt war. Daneben lag die Abfüllanlage für vielfarbige Tuschen und Stempelfarben, von denen Lösungsmitteldämpfe aufstiegen, weshalb die Kinder zum Weitergehen gedrängt wurden. Die drei Besucher liefen einen Flur entlang und kamen in ein Zimmer, in dem die Deckfarben in silberne Metallschälchen tropften. Ein Angestellter im Blaumann, drückte sie in die Schienen der Schulmalkästen. Zuletzt kam in jeden Kasten eine Tube Deckweiß. In der nächsten Abteilung floss der wasserlösliche Klebstoff Pelikanol in weiße Kunststoffdöschen. Ein wundervoller Duft nach Marzipan erfüllte die Halle, in dem der aus Kartoffelstärke hergestellte Papierkleber mit einer Wachsschicht vor dem Austrocknen bewahrt wurde. Der Arbeiter klebte anschließend einen kleinen Löffel in den Deckel und schraubte ihn auf die Dose. Die Besucher betraten ein Zimmer, das berauschend nach Lösungsmitteln roch. Hier wurde der Kunstharz-Klebstoff Peligom in Tuben gefüllt. Ein netter Mitarbeiter wollte von Ruthi wissen, was für einen Kleber sie zu Hause benutzten. »UHU«, sagte die 17-Jährige.
Pelikan-Fabrik Hannover
»Sehen Sie, Frau Doktor, da müssen wir noch ordentlich Reklame für unser Peligom machen, um UHU vom Markt zu verdrängen.«
»Im Falle eines Falles klebt UHU wirklich alles«, posaunte Selma, die diesen Satz im Radio gehört hatte. Ilse war sichtlich gekränkt und packte einige Tuben Peligom in eine Pappschachtel, die sie Ruthi reichte. »In Zukunft sollt ihr nur noch unsere Pelikanprodukte verwenden und du, Selma, kannst in deiner Schule dafür Werbung machen.«
In der nächsten Werkshalle wurden die Füllfederhalter aus Kunststoff gepresst und montiert. Für dieses Markenzeichen von Pelikan gab es Federn, die vergoldet waren, weiche, harte, dünne oder schräge Metallfedern, die jeweils auf die Tintenführung gesetzt und in den Halter geschraubt wurden. Auf die Hülse konnte der Name des Eigentümers geprägt werden. Ruthilde und Selma erhielten jede einen Füller mit goldenem Namenszug als Geschenk. In einem langen Gebäudeteil war die Herstellung von Schulmalblöcken untergebracht, die im Kunstunterricht von nahezu jedem Kind in Deutschland bemalt wurden. Das Papier kam von riesigen Rollen, wurde dann beschnitten und gebündelt. In einer Stanze erhielten die Blöcke ihre DIN-Größe und eine Sollbruchstelle, sodass man die einzelnen Blätter abtrennen konnte. »Wie beim Klopapier«, rief Selma dem Fließbandarbeiter zu, der sie wegen des Lärms in der Halle nicht verstehen konnte. Zuletzt verklebte eine Maschine den Block auf einer Pappe mit farbigem Umschlagblatt. Ilse wollte den Rundgang beenden, aber Selma wollte unbedingt die Pinselwerkstatt sehen, deshalb liefen sie die Treppe hinunter und betraten einen Kellerraum, in dem Tierhaare und Borsten sortiert von der Decke hingen. Sie bekamen die Verarbeitung von Pferdehaar, Marderhaar und Schweineborsten gezeigt: Die einzelnen Strähnen wurden gebündelt, umwickelt, geleimt und beschnitten, bevor ein Lehrling sie in einer Metallhülle auf den Stil steckte. Auf dem Holz war die jeweilige Pinselstärke mit einer goldenen Nummer eingeprägt. Beide Mädchen wären gerne noch länger in der Fabrik herumgelaufen, Ilse mahnte jedoch zur Eile, weil noch ein Abendessen und anschließend ein Konzert geplant waren und man Bodes Geduld nicht zu sehr strapazieren durfte.
Das Abendessen fand in einer Gaststätte mit Blick auf den Maschsee statt, wo man Bode und seine Frau wie alte Bekannte begrüßte und zu einem rosa gedeckten Tisch mit Seeblick führte. Ein Ober, der eine weiße Serviette über den Arm geworfen hatte, servierte nacheinander mehrere Gänge. Selma hatte Probleme mit den verschiedenen Gabeln, weil man bei ihr zu Hause nur mit einer Gabel aß. Der Großvater nippte mit spitzer Oberlippe am Rotwein und lobte die Blume, die die Mädchen nicht sehen konnten. Ilse wusste sofort, warum sie kicherten: Irgendwo musste die Anstrengung, sich »comme il faut« zu benehmen, ein Ventil finden. Nach einem geräucherten Aal auf Weißweinschaum wurde gemischter Salat mit Oliven serviert. Als Hauptgang wählten die Großeltern Entenbrust auf Spinat mit Bratkartöffelchen. Selma mochte keinen Spinat und stocherte in dem eisenhaltigen Blattwerk herum, bis Ilse es ungesehen im Topf einer Zimmerpalme verschwinden ließ. Der Ober rollte einen Käsewagen neben den Tisch und reichte auf Wunsch kleine Scheibchen von grünschimmeligem Roquefort oder Chèvre, der streng nach Bergziege roch. Dann servierte er eine Schale mit gefrostetem Obst und legte kleine Messerchen mit Perlmuttgriffen neben den Glasteller. Zu jedem Gedeck wurde ein Wasserschälchen mit heißem Wasser gereicht, in dem die Erwachsenen die Fingerspitzen nässten, um sie anschließend mit dem Mundtuch trocken zu tupfen. Der Koch mit einer hohen weißen Mütze trat an den Tisch und stellte vor jedes Kind eine Eisbombe. Dem Ehepaar servierte er einen Espresso und wollte wissen, ob es den Herrschaften gemundet habe. Das anschließende Konzert fand in der Marktkirche statt. Es wurde Beethovens Streichquartett Nr. 5 gespielt und die Münchner Kinder waren von der Klangfülle überwältigt, während der Großvater mäkelte, dass er dieses Musikstück schon mal besser gehört habe.
Am nächsten Morgen besuchten sie den Zoo. Bode hatte Zeichenblöcke Stifte und zwei Klapphocker dabei und verlangte, dass die Mädchen sich ein Tier aussuchten, welches sie sehr genau studieren und zeichnen sollten. Selma sagte: »Das kann ich nicht«, und erhielt die Antwort: »Das kann ich nicht, gibt es nicht!«
Sie jammerte: »Die Tiere bleiben nicht ruhig stehen, deshalb ist es schwierig, sie zu zeichnen«, und der Großvater