Details der Verschwörung: In Turin wird ein Papyrus aufbewahrt, der in der Regierungszeit von Ramses’ Nachfolger, Ramses IV., entstanden ist und der die kompletten Gerichtsakten enthält, die den Prozess beschreiben, bei dem die Verschwörer verurteilt worden sind (vgl. Vernus, 108 ff.). Dieser Turiner juristische Papyrus ist in großen hieratischen Buchstaben verfasst, wie es einem wichtigen Staatsdokument angemessen erscheint, und er soll aus der Tempelbibliothek von Medînet Hâbu stammen. Im Jahr 1799 ist er durch Bernardino Drovetti, einen jungen Offizier Napoleons, von Ägypten nach Italien gebracht worden. Bei dem Schriftstück handelt es sich allerdings nicht um tatsächliche, reale Protokolle eines Strafprozesses: Vielmehr ist der Papyrus nachträglich angefertigt worden, um an die darin beschriebenen Geschehnisse zu erinnern – keine ungewöhnliche Praxis damals.
In diesen Akten wird der Name des Sohnes von Teje, um den es nun geht, als „Pentawer“ wiedergegeben, das ist jedoch kein Eigenname, sondern bedeutet: „der, der eigentlich einen anderen Namen trägt“. Dies ist ein frühes Beispiel für die als damnatio memoriae bekannte Praxis, bei der nach dem Tode einer einem Herrscher unliebsamen Person sämtliche Erinnerung an sie getilgt wird, indem ihre Bildnisse zerstört werden, ihr Name aus Schriftstücken entfernt und aus Inschriften herausgemeißelt wird.
Ziel der Verschwörung ist es also, den Pharao zu ermorden und an seiner Stelle Tejes Sohn einzusetzen. Augenscheinlich ist Tejes Einfluss dabei auch außerhalb des Frauenhauses ziemlich groß. In den Prozessakten werden nicht nur Bewohner des Frauenhauses als Verschwörer genannt, sondern auch 28 männliche Personen – von den Kellermeistern über die militärischen Befehlshaber des Pharao (sogar der Oberbefehlshaber ist mit dabei) bis hin zu Priestern und Richtern. Es wird rekonstruiert, dass fast alle Beamten, die im Frauenhaus beschäftigt sind, in irgendeiner Form an der Verschwörung beteiligt sind oder wenigstens von ihr wissen – ein Indiz dafür, wie groß die allgemeine Unzufriedenheit mit dem Pharao ist, aber auch dafür, dass der Plan allenthalben als erfolgversprechend angesehen wird.
Tejes Plan sieht nun aus wie folgt: Der Pharao soll während eines großen Festes in seinem Palast in Medînet Hâbu ermordet werden. Dieses Fest, das sogenannte Schöne Fest vom Wüstental, ist ursprünglich ein Nekropolenfest gewesen, aber seine Rituale haben sich im Laufe der Zeit geändert, und zur Zeit Ramses III. ist es auch als „Fest der Trunkenheit“ bekannt. Zugleich ist es ein Opferfest für die Götter Amun-Re und Hapi.
Während des Talfestes in Medînet Hâbu soll der Pharao also ermordet werden, und gleichzeitig soll eine Abteilung des in Nubien stationierten Heeres, das bereits nilaufwärts marschiert ist, den Umsturz militärisch unterstützen. Von alledem ahnt der Pharao nichts, als er mit seinen Hohepriestern auf dem heiligen Boot über den Nil setzt. Die religiösen Rituale des Festes werden zelebriert und am Ufer jubeln die Menschenmassen dem König zu. Blumen- und Weihrauchduft liegt in der Luft.
Die Verschwörer sind inzwischen schon eifrig dabei, die letzten Vorbereitungen für ihr blutiges Werk zu treffen. Man hält kleine Wachsfiguren bereit, die den Pharao schwächen sollen wie Voodoo-Puppen. Die Praxis, mittels solcher Magie böse Geister auszutreiben, zum Beispiel bei schweren Erkrankungen, ist weit verbreitet, auch unter den Priestern. Aber solcherlei gegen den Pharao zu verwenden, ist bislang beispiellos (vgl. Shaw, 306).
Leider verrät der Papyrus weder, wie der Plan genau ausgeführt werden soll, noch, wie die Verschwörung schließlich aufgedeckt wird. Will man den König erstechen oder erschlagen? Wer soll es tun? Oder sind es tatsächlich nur die kleinen Zauberfiguren, die ihm den Garaus machen sollen? Sicher ist nur: Der Plan fliegt auf, und die Attentäter sowie alle Hintermänner und -frauen werden vor Gericht gestellt und bestraft.
Quasi sofort nach dem missglückten Putsch bildet Ramses III. einen Sondergerichtshof. Dieser besteht aus mehr als einem Dutzend der Beamten, denen er noch vertrauen kann – unter anderem sind Schreiber, Kammerdiener, Schatzmeister und ein Herold dabei. Das Sondergericht genießt vollkommene Handlungsfreiheit. Einige der Verurteilten werden hingerichtet, Mitwisser werden lediglich durch das traditionelle Abschneiden von Nasen und Ohren bestraft (vgl. Vernus, 119). Tejes Sohn, dessen Namen wir nicht kennen, wird gezwungen, sich selbst zu richten.
Heute hat die Forschung Zweifel daran, dass der Anschlag gelang, auch wenn inzwischen bewiesen ist, dass der Pharao ermordet wurde – Ramses’ Tod und das Schöne Fest vom Wüstental lagen nämlich verlässlichen Rekonstruktionen zufolge drei Wochen auseinander. Dennoch starb Ramses III. eines gewaltsamen Todes: Ende 2012 ergaben radiologische und computertomographische Untersuchungen der Mumie, dass dem Pharao die Kehle durchgeschnitten wurde. Vor dem Einbalsamieren wurde in der Wunde noch ein Amulett in Form eines Horusauges platziert, das den Herrscher im Jenseits beschützen und ihm neue Kraft geben sollte.
Aus dem Turiner juristischen Papyrus
Sie gingen und verhörten sie, und die, die durch eigene Hand sterben wollten, ließen sie sterben, auch wenn ich nicht genau weiß, wen. Doch meine Anweisungen waren klar, denn ich sagte ihnen: „Achtet darauf, dass niemand bestraft wird durch Rechtsbeugung, mittels ihm nicht übergeordneten Beamten.“ Das sagte ich mehrmals zu den Richtern. […]
Angeklagt wurde Pabekkamen, der große Feind, damals Haushofmeister. Man brachte ihn her, weil er mit Tije und den Bewohnerinnen des Frauenhauses gemeinsame Sache gemacht hatte. Dies hatte er getan, und er hatte ihren Müttern und Geschwistern mitgeteilt, was die Verschwörer vorhatten, und zu diesen gesagt: „Versammelt Leute um euch und lasst Feindschaft wachsen!“ Dadurch wollte er einen Aufstand gegen ihren Herren in die Wege leiten. […] Es wurde angeklagt Irji, der große Verbrecher, damals oberster Priester der Göttin Sechmet. […]
Es wurde angeklagt Inini aus Libyen, der große Verbrecher, damals Kellermeister. Man brachte ihn her als Komplizen des Pabekkamen. Es wurde angeklagt Peluka aus Lykien, der große Verbrecher, damals Kellermeister und Schatzwärter. Man brachte ihn her als Komplizen des Pabekkamen. Es wurde angeklagt Mesedju-Ra, der große Verbrecher, damals Kellermeister. Man brachte ihn her als Komplizen des Pabekkamen, der damals Haushofmeister war, und auch als Komplizen der Frauen, die er dazu aufhetzte, gegen ihren Herren böse zu handeln. […]
Die Frauen der Wächter des Frauenhauses, die bei der Verschwörung mit den Männern gemeinsame Sache machten, brachte man ebenfalls vor den Untersuchungsgerichtshof. Man sprach sie schuldig und ließ sie bestrafen, sechs Frauen waren es. […]
Mehrere Personen wurden bestraft durch das Abschneiden von Nasen und Ohren, denn sie hatten nicht gemäß ihren guten Vorschriften gehandelt. Sie tranken zusammen mit den Angeklagten und wurden zu ihren Komplizen. Deren verbrecherisches Vorhaben infizierte sie.
Jur. P. Turin
(Übers. nach Vernus, 109 f.)
Könnte es mithin zwei verschiedene Verschwörungen gegeben haben? Immerhin taucht der Pharao im Prozesspapyrus als handelnde Person selbst auf. Das allerdings könnte man von einem Mann, der schon zu Lebzeiten als Gott verehrt worden ist, auch mindestens erwarten: dass er nach dem Tod seiner irdischen Hülle noch den Prozess überwacht, bei dem seine Attentäter zur Rechenschaft gezogen werden.
Zumindest in der Kunst lebt Ramses III. weiter, in der bildenden Kunst in erster Linie durch die wunderbaren Reliefs im Palast in Medînet Hâbu. Doch auch literarisch ist der Pharao verewigt worden: Die Haremsverschwörung wurde von Judith Mathes im Roman Tage des Seth (2010) verarbeitet. Ihr gelingt, was im Genre des historischen Romans leider nicht allzu oft zu finden ist: eine detaillierte Darstellung der historischen Ereignisse auf der Basis vorhandener archäologischer Zeugnisse – und das Ganze im Medium einer packenden Erzählung.
Ein Becher Schierling: Sokrates (399 v. Chr.)
Sokrates ist zweifellos der größte Denker der Antike. Seine philosophischen Ansätze sind jedoch so kontrovers, dass ihn die Athener Obrigkeit schließlich anklagt, die Jugend zu verderben – und noch einiges mehr. Im Jahr 399 v. Chr. wird Sokrates zum Tode verurteilt und durch den berühmt gewordenen Schierlingsbecher hingerichtet. Ein Justizirrtum oder die Beseitigung eines unliebsamen Elements durch die Obrigkeit?
Schriften sind von Sokrates