Peter Gerdes

Kurz und schmerzlos


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nickte, was aber vor allem am Zustand der Straße lag, über den ihr betagter Dienstwagen schaukelte. Der Logaer Weg glich einer Berg-und-Tal-Bahn, bestens geeignet als Teststrecke für Offroad-Fahrzeuge und deren Bereifung, schon wegen seiner Patchwork-Oberfläche. Da war wirklich alles dabei, sogar Kopfsteinpflaster.

      Hauptkommissar Stahnke bedachte seinen Kollegen mit einem verkniffenen Seitenblick. Hin und wieder könnte er wirklich über einen meiner Witze lachen, dachte er, schließlich bin ich sein Vorgesetzter. Oder er könnte wenigstens so tun. Aber nein, nichts da. Guckt teilnahmslos aus der Wäsche wie ein Stein. Wie ein Pflasterstein, ha!

      Stahnke gluckste. Kramer schüttelte den Kopf. Lag wohl immer noch an der schlechten Straße.

      Auf den Grundstücken linker Hand wurde eifrig gepflastert. Runde Rücken in kariertem Flanell krümmten sich unter heißer Sommersonne, kräftige Arme holten rhythmisch aus, dumpfe Schläge gummiarmierter Hämmer hallten von Häuserwänden und den Bäumen des gegenüberliegenden Parks wider. Jede zweite oder dritte Auffahrt schien fällig zu sein. Wahrlich, dachte Stahnke, wenn Pflastern der wahre ostfriesische Volkssport ist, dann ist das hier das Trainingslager.

      »Bist du sicher, dass er zu Hause ist?«, fragte Kramer. »Ans Telefon gegangen ist er ja nicht.«

      »Ich bin sicher«, erwiderte Stahnke. »Hab’ mich bei den Nachbarn erkundigt. Er ist da, auf seinem Grundstück.«

      »Und was treibt er da?«

      »Rate mal.«

      Das Haus von Ortwin Globisch lag im Nordosten von Leer, fast auf der Grenze zwischen Heisfelde und Loga, da, wo die Wohnbebauung sachte ins Landwirtschaftliche überging. Die Grundstücke waren groß dort, sehr groß. Manchem, der kein leidenschaftlicher Gärtner war, waren sie allzu groß. So hatte man im Laufe der Jahre viele Parzellen aufgeteilt, hatte Häuser in zweiter Reihe gebaut. Platz war ja reichlich vorhanden, und alle waren zufrieden.

      Fast alle. Ortwin Globisch gehörte nicht dazu.

      Stahnke lenkte den Dienstwagen durch beschauliche Nebenstraßen. Das Schaukeln hatte aufgehört und damit auch Kramers Kopfbewegungen. »Warum müssen wir das eigentlich machen?«, fragte der Oberkommissar. »Die Frau ist doch nur als vermisst gemeldet.«

      Stahnke schwieg. Unter den verschiedenen Fachkommissariaten half man sich gegenseitig aus, das wusste Kramer ebenso gut wie er. Außerdem hatte er so ein Gefühl. Mehr als das. Aber er behielt es lieber für sich.

      Da war die richtige Straße. Stahnke spähte nach den Hausnummern. Viele waren überwuchert, ausgeblichen, abgeblättert oder schlicht nicht vorhanden. Dies hier war eben kein Neubauviertel. Jedenfalls nicht in der ersten Reihe. Aha, dort war die 23. Jetzt einfach abzählen: 25, 27, 29. Der Hauptkommissar stoppte den Wagen am Bordstein. »Wir sind da.«

      »Hausnummer 29 a«, sagte Kramer. »Also zweite Reihe, oder?«

      »In der Tat.« Stahnke nickte bedeutungsvoll. Kramer runzelte die Stirn.

      Die Auffahrt von Nummer 29 war schmal, und die Backsteine, mit denen sie befestigt war, wiesen tiefen Spurrinnen und breite Ritzen auf, aus denen das Unkraut hervorquoll. Müsste auch mal in Ordnung gebracht werden, dachte Stahnke im Vorübergehen. Am besten gleich neu gepflastert. Ha!

      Ein älterer Mann werkelte im Garten, schob eine Karre mit Grünabfällen nach hinten und beäugte die Besucher kritisch, ohne sie anzusprechen. An der hinteren Grundstücksgrenze war die Auffahrt mit Flechtzaunelementen versperrt; nur ein schmaler Durchlass bestand noch, durch den man einen Blick auf das Haus Nummer 29 a erhaschen konnte, das deutlich jüngeren Datums war als das vorne gelegene.

      »Was ist das denn für ein Blödsinn?«, fragte Kramer. »Die Bewohner des Hintergrundstücks benötigen doch diese Durchfahrt! Wie sollen die denn jetzt mit dem Auto zu ihrem Haus kommen?«

      »Da sagst du was Wahres.« Stahnke schmunzelte. »Aber mit Vernunft hat das hier auch wenig zu tun. Eher mit einem weiteren ostfriesischen Volkssport.«

      »Und welcher soll das nun wieder sein? Nachbarn ärgern?«

      »Genau«, sagte Stahnke. »Ärgern und verklagen.«

      Die beiden Kriminalbeamten zwängten sich durch die Zaunlücke. Rhythmische, dumpfe Schläge tönten ihnen entgegen. Ortwin Globisch war tatsächlich zu Hause. Er kniete auf seiner Auffahrt, den Rücken krumm, den armierten Hammer fest umfasst, den nächsten Betonstein in seinem planierten Sandbett fest im Blick. Tuck, tuck, tuck. Und ein Griff nach links, neuer Stein, knirschend eingepasst. Tuck, tuck, tuck. Globisch arbeitete konzentriert und flott. Allerdings tat er dies an seiner rückwärtigen Grundstücksgrenze, dort, wo bis vor Kurzem offensichtlich noch ein Blumenbeet gewesen war.

      »Warum tun die Leute das?«, fragte Kramer.

      »Was? Nachbarn ärgern und verklagen?«

      »Quatsch, nee. Pflastern!«

      »Tja«, erwiderte Stahnke nachdenklich, »da gibt es eine Menge praktischer Gründe. Der viele Regen, der den Boden aufweicht, der ganze Schmutz, klar. Aber mit festen, sauberen Wegen allein ist es natürlich nicht getan. Der echte Ostfriese hört dann noch lange nicht auf zu pflastern, im Gegenteil, dann fängt er erst richtig an. Autostellplatz, noch einer für den Zweitwagen und einer für Gäste, dann die Terrassen, eine pro Himmelsrichtung außer nach Norden, außerdem Grillplatz, Kaminholzplatz, feste Gründung für den Werkzeugschuppen, den Geräteschuppen, den Fahrradschuppen. Und natürlich die Wege dazwischen, man will ja überall hinkommen können, ohne unversiegelten Erdboden zu betreten, wie die kleinen Kinder bei Himmel und Hölle. Das hat schon was von Besessenheit, nicht wahr? Als ob die Leute hier sich immer noch vor der Natur fürchten und sie daher möglichst wenig sehen wollen. Oder als ob sie sonst etwas zu verbergen hätten.«

      »Danke«, sagte Kramer, »ich ziehe die Frage zurück.«

      Globisch bemerkte die beiden Kripobeamten erst, als ihre Schatten auf seine Arbeit fielen. Er guckte hoch, blinzelte, nickte grüßend. »Schon was Neues?«, fragte er.

      Stahnke schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er. »Nach wie vor keine Hinweise auf den Aufenthaltsort Ihrer Mutter.«

      Globisch nickte, grunzte, wandte sich wieder seinen Pflastersteinen zu. Tuck, tuck, tuck.

      Kramer stemmte die Fäuste in die Hüften und starrte seinen Vorgesetzten mit erhobenen Augenbrauen an. Für ihn kam das einem Gefühlsausbruch gleich, ausgelöst durch den absoluten Mangel an Gefühlen, die dieser Globisch angesichts des Verschwindens seiner eigenen Mutter zeigte. Stahnke aber ignorierte Kramers Gebaren, woraufhin dieser schnell in seine gewohnt stoische Haltung zurückfiel.

      »Neue Auffahrt?«, fragte der Hauptkommissar stattdessen Globisch. »Jetzt also doch? Aber in dieser Richtung ist doch der Graben.«

      »Plattenbrücke«, stieß Globisch hervor, ohne von seinem Tun abzulassen oder sich gar umzudrehen. »Betonguss. Ist schon in Auftrag gegeben. Nach vorne hin mach’ ich dicht. Sehen Sie ja.«

      »Aber warum?«, fragte Stahnke. »Vor Gericht haben Sie doch gewonnen.«

      Der Kniende schnaubte zur Bestätigung. »Schon. Aber diese Bedingungen! Nur ein Auto, Schritttempo, Gäste nur nach Anmeldung – nee, nee. Jetzt mach’ ich das lieber richtig. Hinten verläuft ja der Bauernweg, für Anlieger frei. Da baue ich mir eine eigene Zufahrt, gegen die dann keiner etwas sagen kann.«

      Stahnke drehte sich um. In der Zaunlücke waren der eisengraue Haarschopf und das gebräunte Gesicht des älteren Mannes vom Vordergrundstück zu sehen, mit halboffenem Mund und zusammengekniffenen Augen. Eilig entfernte sich der Mann, eine Karre voll Kompost vor sich her schiebend.

      Tuck, tuck, tuck machte Globischs Gummihammer.

      Der Hauptkommissar nahm Kramer bei der Schulter und zog ihn ein paar Schritte beiseite, außerhalb der Hörweite des Hausherrn, obgleich der sie gar nicht weiter beachtete. »Globisch hat dieses Grundstück geerbt, samt Haus«, erläuterte er. »Von seiner Großmutter, der alten Frau Janssen. Seine Mutter bekam Haus und Grundstück an der Straße. Beide sind jeweils Einzelkinder