über abgewetzte Poller geworfen zu werden, die Maschine brüllte noch einmal auf und ließ das ganze Schiff erzittern, um es mit rückwärts laufender Schraube zum Halten zu bringen. Bergehölzer knarrten, Tampen ächzten, dann lag die Heisingen fest am Steg.
»Komm«, sagte Stahnke und stürzte seinen Rest Bier hinunter. »Hier müssen wir raus.«
»Wie, hier in Scheppen? Aber Heisingen liegt doch auf der anderen Seite des Sees.«
»Stimmt. Aber der Essener Yachtclub hat seinen Hafen gleich hier.«
Seite an Seite spazierten sie unter der heißen Mittagssonne. Stahnke schlenderte so langsam, dass Sina ihren leichteren Schritt kaum anpassen konnte. Offenbar hatten sie noch Zeit. Was wiederum hieß, es gab einen Termin.
»Was ist dieser Salewski eigentlich für ein Typ?«, fragte Sina. »Oder soll ich sagen: war?«
»Ich kenne ihn nur von Fotos«, antwortete Stahnke. »Klein, hager, unscheinbar. Vorstehende Zähne, fliehendes Kinn. Keine imposante Erscheinung wie Groenewold. Als Sprachwissenschaftler aber wohl eine echte Kapazität.«
»Wundert mich nicht«, sagte Sina. »So, wie du ihn beschreibst, hatte er bestimmt wenig Ablenkung. Jede Menge Zeit, sich auch durch das härteste linguistische Problem durchzunagen.« Sie kicherte.
»Chauvi, weiblicher.«
Der Yachthafen des EYC lag in einer großen Bucht des Baldeneysees, die sich der Club mit den Fahrgastschiffen der »Weißen Flotte« teilte. Zwei molenartige Landzungen umschlossen das Becken wie mit schützenden Armen. Zahlreiche Jollen, aber auch Kielboote und seetüchtig wirkende Yachten dümpelten an den Stegen. Große Lücken im Mastenwald bezeugten, dass viele Yachteigner das herrliche Wetter nutzten, um ein paar Schläge zu segeln.
Stahnke ignorierte das einladende Yachthafenrestaurant und marschierte am Ufer entlang, jetzt schneller und zielstrebiger als zuvor. Dort, wo der Uferbereich betoniert war, wartete ein Kranwagen mit laufendem Motor, alle Stützen ausgefahren, am Ausleger eine viereckige Traverse, an der zwei lange Schlaufen aus ummantelten Stahlseilen hingen. Der Kranmotor brüllte auf, die Traverse senkte sich, die gepolsterten Schlaufen tauchten ins Wasser. Zwei Uniformierte machten sich daran, eine etwa zehn Meter lange, etwas altmodisch wirkende Segelyacht mit liegendem Mast in die Schlaufen zu bugsieren.
Neben dem Kranwagen stand eine Gruppe von Männern, die das Manöver beobachteten. Eine vierschrötige, Autorität ausstrahlende Gestalt schien die Aktion zu leiten. Der ältere Mann im schmuddeligen Overall, die Hände tief in den Taschen und die Mundwinkel fast ebenso tief herabgezogen, schien der Hafenmeister zu sein. Und der alerte, kerzengerade Gentleman im hellen Anzug mit bunter Fliege war eindeutig Professor Groenewold.
Stahnke lotste Sina auf die Gruppe zu, was sich als ziemlich schwierig erwies, da der Betonboden an mehreren Stellen aufgerissen war. Brocken in allen Größen lagen herum, ebenso allerhand Werkzeuge, sogar ein Zementmischer und ein Presslufthammer samt Kompressor. Kiesaufschüttungen zeigten an, wo der Kranwagen die Baustelle durchquert haben musste. Bei den Bauarbeiten, die der Hafenmeister schon vor Wochen erwähnt hatte, schienen sich Komplikationen ergeben zu haben. Kein Wunder, dass der Mann so missmutig wirkte.
»Stahnke.« Die vierschrötige Autoritätsfigur begrüßte den Ankömmling ohne Begeisterung. »Meine Kollegen«, stellte er die Umstehenden mit einer flüchtigen Handbewegung vor. »Herrn Professor Groenewold kennen Sie ja, ebenso Heinz Bender, den Hafenmeister. Und wen bringen Sie da mit?«
»Sina Gersema, Polizeipsychologin«, log Stahnke, ohne mit der Wimper zu zucken. »Frau Gersema, dies ist Kriminalhauptkommissar Krömke.« Sina, völlig perplex, hielt Krömkes kritischem Blick und seinem schmerzhaften Händedruck tapfer stand.
»So, dann wollen wir mal«, knurrte Krömke. »Freizeitaktivitäten am Wochenende, auf Ihren besonderen Wunsch, Herr Kollege Stahnke.« Er gab dem Kranführer ein Handzeichen. Die Traverse ruckte an, die Drahtseile kamen steif, und der Bootsrumpf begann sich langsam aus dem Seewasser zu heben.
»Stopp!« Das war Bender. »Das Heck kommt zu schnell. Die vordere Trosse muss zehn Zentimeter nach achtern.« Gehorsam ließ der Kranführer das Boot wieder herab. Auch Krömke und seine Leute fügten sich den Anweisungen.
»Was soll das werden?«, flüsterte Sina Stahnke zu. »Hast du diese Aktion etwa bestellt? Wozu soll das denn gut sein?«
Stahnke schwieg verbissen. Ja, er hatte darauf bestanden, Salewskis Yacht wenigstens einmal aus dem Wasser zu holen, um auch das Unterwasserschiff genau zu untersuchen. Beliebt hatte er sich damit nicht gemacht. Zugestimmt hatten die Kollegen letztlich nur, weil er versprochen hatte, danach endlich Ruhe zu geben. »Wer weiß, vielleicht hatte der Typ nur seine Midlifecrisis und ist in die Karibik abgehauen«, hatte Krömke gesagt. »Manche Fälle sind eben nicht zu lösen, das muss man einfach akzeptieren.«
Stahnke aber dachte überhaupt nicht daran. Schon gar nicht, seit er herausgefunden hatte, seit wann Groenewolds Haus in Leer zum Verkauf stand. Drei Tage nach der gemeinsamen Baldeney-Segeltour der beiden Professoren hatte der Makler es erstmals inseriert. Und das war mehr als eine Woche vor Salewskis geplatzter Antrittsvorlesung gewesen.
»Reiner Zufall«, hatte Groenewold ganz cool behauptet und dabei an seiner affigen Fliege genestelt. »Ich wollte mich sowieso verändern, na und? Jetzt wird eben ein Umzug nach Essen draus. Wollen Sie mir deswegen etwas anhängen?«
Jetzt hing die Yacht richtig, und der Kranführer hob zügig an. Als das Boot tropfend über der Betonplatte hing, sah es viel größer aus als zuvor. Das Unterwasserschiff war schnittig geformt. Wie eine riesige Flosse hing ein mächtiger Ballastkiel am tiefsten Punkt, über zwei Meter lang und anderthalb tief. Der Kranführer ließ das Boot in eine vorbereitete eiserne Stellage sinken.
»Tja, den Film Nur die Sonne war Zeuge haben wir wohl alle gesehen«, höhnte Krömke. »Mord auf hoher See, todsichere Sache, aber als die Yacht aufgeslippt wird, hängt die Leiche noch am Kiel. Schade, dass das Leben kein Kinofilm ist, was, Stahnke?« Seine Kollegen lachten schadenfroh.
Stahnke aber starrte unverwandt auf das Unterwasserschiff. Natürlich gab es hier keine Tatspuren zu sehen, geschweige denn zu sichern. Dafür sah der Hauptkommissar etwas anderes.
»Keine Bleibombe?«, fragte er halblaut in Richtung Hafenmeister.
Der schüttelte den Kopf. »Nee. Hohlkiel von der alten Sorte. Betonfüllung als Ballast. Wieso?«
Stahnke antwortete nicht. »Kompressor einschalten«, zischte er stattdessen.
Bender zögerte nur kurz, dann führte er Stahnkes Anweisung aus. Warum wohl, fragte sich Sina, so einer lässt sich doch sonst nichts sagen. Vielleicht aus Neugier? Das könnte ich nachvollziehen.
Stahnke spannte alle Muskeln seines massigen Körpers an, packte den Presslufthammer, richtete den Meißel auf den Kiel und ließ die Maschine losrattern. Zweimal rutschte sie ab, ehe sich die Spitze zwischen die Fasern der Kunststoffhülle zu bohren und sie aufzureißen begann. Danach ging alle ganz schnell.
»Was zum Teufel …« brüllte Krömke durch den Lärm. Dann verstummte er, denn die Betonfüllung des Ballastkiels begann zu bröckeln und zu bersten, schneller als vermutet, denn sie war nicht so massiv wie angenommen. Ein Hohlraum in ihrem Inneren barg die Leiche eines kleinen, schmächtigen Mannes. Eines Mannes mit vorstehenden Schneidezähnen und, soweit sich das noch erkennen ließ, fliehendem Kinn.
Dauerlieger, schoss es Sina durch den Kopf.
Als Stahnke den Presslufthammer absetzte, rutschte der rechte Arm des Toten aus dem gesprengten Kiel heraus. Die Finger waren zur Faust geballt, und zwischen ihnen steckte etwas Farbiges. Krömke nahm es vorsichtig an sich.
Es war eine bunte Fliege.
Krömke gab seinen Kollegen einen Wink. »Gut, dass Sie kommen konnten«, sagte er zu Groenewold, während die Handschellen klickten.
»Er hat eben den Ruf vernommen«, sagte Sina. Dann küsste sie Stahnke auf die schweißnassen Lippen.
Süßer Tod in Berlin
Entschuldigung,