Peter Gerdes

Fürchte die Dunkelheit


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zuschütten. Man spart schließlich, wo man kann. Vor allem auf dem Dorf. Da gehört Sparen einfach zum guten Ton, ganz egal, ob man es nun nötig hat oder nicht. Geiz ist geil, sozusagen aus Prinzip.«

      »Dann ist die Frau also vor lauter Sparsamkeit auf die skelettierte Leiche gestoßen«, ergänzte Stahnke. »Und sofort zu ihrem Mann gerannt. Der sie dann erschossen hat.«

      »Wir können also ziemlich sicher davon ausgehen, dass Frau Frerichs mit den Kindermorden nichts zu tun gehabt hat«, sagte Kramer. »Sonst hätte sie entweder nicht dort gegraben oder sich mit ihrer Entdeckung jedenfalls nicht direkt an den Mit- beziehungsweise Haupttäter gewandt.«

      »Galt Frerichs nicht als netter, treusorgender Ehemann?«, fragte Stahnke.

      »Laut Manninga trifft das zu«, bestätigte Kramer.

      »Als aber diese Ehefrau plötzlich zur Belastungszeugin wurde, hat er sie ohne zu zögern umgebracht. Richtig?«

      Kramer nickte: »Richtig. Eindeutige Prioritäten eben. Schließ­lich hat er ja nicht nur sie, sondern später auch sich selbst getötet.«

      Stahnke rieb sich die Wangen; es raschelte. In der Eile hatte er das Rasieren vergessen. »Scheinbar logisch«, sagte er, »aber nur scheinbar. Dass er sich selbst tötet, nachdem wir die Leichen gefunden hatten, verstehe ich. Da war alles aufgeflogen, es gab keinen Ausweg mehr, keine Chance, Exitus. In Ordnung. Als aber am Tag zuvor seine Frau zu ihm kam, schreiend oder heulend, was weiß ich – hätte er sie da nicht anders zum Schweigen bringen können? In aller Stille sozusagen, und ihre Leiche dann ebenfalls beseitigen? Oder vielleicht selbst den Entsetzten spielen, den Unschuldigen mimen, ihr irgendeine Story auftischen? Vielleicht von einem Unfallopfer, das ein längst verstorbener ehemaliger Freund dort verscharrt hat? Ganz egal, jedenfalls irgendetwas, das seine Schuld gering aussehen lässt? Zeit hatte er doch genug, sich so etwas auszudenken für den Fall der Fälle. Stattdessen nimmt er seine Knarre und schießt seine Frau tot. Paff, einfach so. Ohne Plan, ohne Skrupel, ohne Vorsichtsmaßnahmen. Prompt wird er verhaftet. Also, mir will das noch nicht in den Kopf.«

      »Vielleicht war das die einzige Reaktion, zu der er in der Lage war.« Kramer schien Stahnkes Bedenken nicht zu teilen. Aber er war loyal, also zog er sie zumindest in Erwägung. »Wir wissen noch immer viel zu wenig über Frerichs. Manninga hat ganz Recht, es gibt eine Menge zu tun.«

      »Stimmt«, bestätigte Stahnke. »Aber sagen Sie mal, woher wissen wir das eigentlich mit der Telekom und den Erdarbeiten?«

      »Die Techniker standen heute früh bei Frerichs vorm Haus«, sagte Kramer.

      »Aha«, sagte Stahnke. »Und woher wissen wir das nun wieder? Von den Kollegen, die den Tatort absichern?«

      »Die waren zu langsam«, sagte Kramer. »Als Erster angerufen hat Olthoff.«

      12.

      »Moin, Herr Olthoff.«

      »Moin, Herr Hauptkommissar.« Der Mann mit dem birnenförmigen Bauch stand am weißlackierten Grenzzaun, beidarmig aufgestützt, die Beine übereinandergeschlagen, so als stehe er schon eine ganze Weile dort und habe auch nicht die Absicht, dieses Position in absehbarer Zeit aufzugeben. Lediglich den Kopf hatte er gedreht, um den Gruß des Kriminalbeamten mit Dienstbarkeit signalisierendem Lächeln zu erwidern.

      »Na, was gibt’s zu sehen?« Stahnke beneidete Olthoff um seine Freizeitkluft: Knielange Khakishorts, weites, ärmelloses Baumwollshirt und Schlappen. Nicht einmal die üblichen Tennissocken trug der Mann.

      »Na ja, wie man’s nimmt.« Das Grundstück des dahingeschiedenen Ehepaars Frerichs hatte sich in eine chaotische Kraterlandschaft verwandelt, durchsetzt mit pyramidenförmigen Hügeln, zwischen denen immer noch Polizisten wimmelten. Keine Wegplatte lag noch an ihrem Platz, kein Blumenbeet war mehr zu orten. Selbst den gepflasterten Parkplatz hatten die Kollegen aufgerissen, umgegraben und sondiert. Weitere Leichenfunde hatten sie allerdings nicht gemacht.

      Stahnke stellte sich neben den Dicken und nahm eine ähnliche Haltung ein. Er stand ein wenig gebückter, da er einen halben Kopf größer war als Olthoff, und sein Bauch hing nicht ganz so weit vor, zum Glück. Ansonsten aber gehörte er wohl zum selben pyknischen Typ wie sein Nebenmann. Breite Schultern, breiter Korpus, eher kurze und kräftige Arme und Beine, große Hände mit kurzen, starken Fingern – Olthoffs Signalement klang wie sein eigenes. Zum Glück hatte Stahnke noch deutlich mehr Haare auf dem Kopf und war auch ein paar Jahre jünger.

      »Sie sind schon auf Rente?«, fragte er.

      »Frühverrentet.« Olthoffs Ton ließ nicht erkennen, ob er darüber glücklich oder traurig war. Vermutlich keins von beiden. Er schien zu den Menschen zu gehören, für die das ganze Dasein eine kontinuierliche Zumutung darstellte, die es abzuleben galt. Was mochten wohl die Höhepunkte solch eines Lebens sein? Wenn man dem Nachbarn mal so richtig in die Suppe spucken konnte?

      »Wo haben Sie denn gearbeitet?«

      »Bei VW.«

      »Ach. Dann waren Sie und Frerichs ja Kollegen. Ich dachte, Sie hatten kaum Kontakt.«

      »Hatten wir auch nicht.« Olthoff nestelte ein Taschentuch aus seinen Shorts und wischte sich die hohe rosa Stirn. »Ich war in der Buchhaltung, er in der Montage. Im Emder Werk haben wir uns praktisch nie gesehen. Da sind ja ein paar tausend Leute beschäftigt.«

      Stahnke entsann sich des lindgrünen Jettas, der vor Olthoffs Haus stand. »Sind Sie denn nicht zusammen zur Arbeit gefahren? Das hätte sich doch angeboten, und es sind ja an die dreißig Kilometer, oder? Das geht doch ins Geld.« Für einen echten Ostfriesen war Geld, oder besser: Geldersparnis ein nicht zu toppendes Argument.

      »Ja, schon, aber Frerichs hat Schicht gearbeitet, ich hatte Tagesdienst. Das wäre ja praktisch nie gegangen.«

      Na ja, immerhin doch in jeder dritten Woche, überlegte Stahnke. Auch das hätte Geld gespart. Alles eine Frage des Wollens. Offenbar gab es hier eine Abneigung, die von Herzen kam.

      »Apropos.« Warum sollte er es ihm eigentlich nicht sagen? »Was den Frerichs betrifft, der ist …« Stahnke stockte. Vielleicht war es Manninga ja doch nicht recht.

      »Tot, meinen Sie? Ja, das ist ein Ding.« Ungerührt fuhr Olthoff damit fort, das Nachbargrundstück zu mustern.

      Stahnke war perplex. »Wie – woher …«

      »Von Manninga.« Olthoff blinzelte vertraulich. »Ist ein Kamerad von mir im Schützenverein, Ihr Chef, wissen Sie. Da­rum hat er’s mir wohl auch erzählt, als er heute früh anrief.«

      »So.« Also einerseits Nachrichtensperre, was ohnehin ziemlich unrealistisch war, andererseits lockeres Ausplaudern unter Kumpeln! Stahnke gefiel das überhaupt nicht. Darüber hinaus empfand er einen Anflug von Eifersucht, der ihn selbst überraschte. Weil Manninga einem Schützenbruder gegenüber vertrauensseliger war als ihm? Ärgerlich wischte er den Gedanken beiseite, zumal ihm etwas anderes eingefallen war: »Wieso hat er denn heute früh bei Ihnen angerufen?«

      »Wegen der Listen. Sie wissen doch, die Autonummern, die ich damals notiert habe. Vor der Verhandlung wegen der Auffahrt. Viereinhalb Jahre ist das her. Sie erinnern sich?«

      »Klar.« Stahnke runzelte die Stirn. »Gut, dass Sie die erwähnen. Die könnten Sie mir direkt mal aushändigen.«

      »Natürlich, dann bringen Sie die Ihrem Chef gleich mit. Spart wieder einen Weg.« Eifrig trabte Olthoff los.

      Stahnke blieb nachdenklich am Zaun stehen. Wann hatte er die Existenz dieser Listen Manninga gegenüber eigentlich erwähnt? Er konnte sich nicht erinnern.

      13.

      Sie war wach, als er eintrat. Der Fernseher lief, aber der Blick ihrer sahnekaramellbraunen Augen war nicht auf den Bildschirm, sondern zur Zimmerdecke gerichtet. So erhaschte er eine Ansicht ihres Profils, registrierte die fast waagerechten Augenbrauen, den ausgeprägten Schwung ihrer Nase mit dem überraschend breiten Rücken und den feinen Flügeln, die gewölbten Lippen und den Grübchenschatten am Kinn.

      Dann