merken, dass etwas nicht in Ordnung war. Einen Moment lang war sie erleichtert.
Und wenn Peter aufgehalten wurde? Es wäre nicht das erste Mal, dass sich seine Dienstreise unerwartet verlängerte.
Das Tempo wurde gedrosselt und das Gefährt bog in eine scharfe Kurve. Ihre Knie stießen gegen Metall, doch zumindest gelang es Rena, dieses Mal den Kopf rechtzeitig zurückzureißen. Der Wagen rumpelte wie über Kopfsteinpflaster und hielt schließlich an. Ein Tor wurde geöffnet. Die Fahrt ging im Schritttempo holprig weiter. Kurze Zeit später ein weiteres Tor. Bald darauf kam das Gefährt endgültig zum Stehen.
Rena hörte, wie Autotüren geöffnet wurden. Ein paar gedämpfte Stimmen waren zu vernehmen. Dann wurde die Tür zu ihrem Metallspind aufgesperrt. Jemand zog sie unsanft am Arm und Rena stolperte aus dem Wagen. Es war ein komisches Gefühl, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.
Dann wurde ihr mit einem Ruck die Augenbinde vom Kopf gerissen.
5
Es dämmerte bereits, als Malin die verzinkte Stahlbrücke betrat, die vom Uferweg am Eilbekkanal zu einem modernen, holzverkleideten Hausboot mit Glaskuppeldach führte. Thies Conradi hatte seine Unterkunft mit dem Komfort eines Einfamilienhauses von einem befreundeten Architekten zur Verfügung gestellt bekommen, solange dieser im Ausland weilte.
Thies saß mit einem Buch in der einen und einem Glas Weißwein in der anderen Hand auf einem der Teakstühle auf der großen Holzterrasse.
Wie friedlich es hier ist, dachte Malin mit einem Blick auf das ruhig liegende Gewässer, in dem sich die letzten Sonnenstrahlen des Tages spiegelten. Die vergangenen zwei Wochen hatte sie fast komplett bei Thies auf dem Hausboot verbracht. Malin hatte den Professor für Strafrecht während einer Ermittlung an der Corvinius Law School zweieinhalb Monate zuvor kennengelernt, während sie dort den Mord an einer Studentin untersuchte. Damals hatte sie sich noch mitten in dem Gefühlschaos befunden, das ihr Teampartner Frederick Bartels ausgelöst hatte, in den sie lange Zeit verliebt gewesen war. Fred war verheiratet, einer der Gründe, warum aus ihnen kein Paar wurde. Und dann war Thies auf der Bildfläche erschienen.
»Malin!« Thies ließ sein unwiderstehliches Lächeln aufblitzen. Er legte sein Buch beiseite und umfasste ihre Taille, als sie neben ihn trat. »Möchtest du auch ein Glas Wein?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich würde lieber erst etwas essen.«
»Erst?« Er zwinkerte schelmisch.
»Vor dem Wein, meinte ich.« Sie löste sich lächelnd aus seiner Umarmung und trat durch die geöffnete Schiebetür ins Innere. Lasierte Eichendielen, eine weiße Sitzlandschaft und ein offener Essbereich samt Designer-Küche bildeten den Wohnbereich des Oberdecks.
Gleich zu Beginn ihrer Beziehung hatte Thies sie aufgefordert, sich auf dem Hausboot wie zu Hause zu fühlen. Dennoch kam es Malin immer noch vor, als täte sie etwas Verbotenes, wenn sie sich am Kühlschrank bediente.
Sie entdeckte eine Schüssel Salat, ein Schälchen mit gegrillten Scampi und eins mit selbstgemachtem Dressing. Malin nahm alles heraus, zog Besteck aus einer der Schubladen und mischte die Zutaten zusammen. Sie schenkte sich ein Glas Mineralwasser ein und ging mit ihrem Essen zurück auf die Terrasse.
»Im Brotkorb sind noch zwei Franzbrötchen«, sagte Thies, als sie sich zu ihm an den Tisch setzte. »Meine Mutter hat sich so über deine Pralinen gefreut, dass sie gleich im Anschluss an unser Mittagessen zum Bäcker gelaufen ist, um sie für dich zu besorgen.« Er schmunzelte.
»Oh, Gott. Du hast ihr das mit den Franzbrötchen verraten?« Das süße, mit viel Butter und Zimtzucker hergestellte Hefegebäck gehörte seit Kindheitstagen zu ihren Leibspeisen. Sie fand es peinlich, dass dies eines der ersten Dinge war, die seine Mutter über sie erfuhr. »Das war sehr nett von ihr.« Sie schob sich mit der Gabel einen der gegrillten Scampi in den Mund. Ein Hauch von Knoblauch, Zitronengras und kaltgepresstem Olivenöl breitete sich auf ihrem Gaumen aus.
»Sie ist nett«, erklärte Thies. Sein Blick wurde ernst. »Habt ihr einen neuen Fall?«
»Einen Leichenfund in Wohldorf-Ohlstedt«, erwiderte Malin knapp. Sie hatten die Absprache getroffen, Berufliches und Privates weitestgehend zu trennen, da ihre unterschiedlichen Auffassungen zu einigen Themen bereits für Zündstoff in ihrer noch frischen Beziehung gesorgt hatten. Neben seiner Arbeit an der Corvinius Law School arbeitete Thies für eine Streetworker-Station und beriet ehrenamtlich Jugendliche, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten waren.
»Also ist dein Freizeitausgleich beendet?«
Malin nickte. Sie dachte an den Toten im Ohrensessel. Sofort verging ihr der Appetit. Von einer Sekunde auf die andere fühlte sie sich erschöpft und ausgelaugt und sehnte sich nach ihren eigenen vier Wänden. Sie schob die noch halbvolle Salatschüssel beiseite. »Ich glaube, ich geh lieber schlafen. Bist du mir böse, wenn ich nach Hause fahre? Ich muss morgen früh raus.«
Thies schüttelte ernst den Kopf. »Ich finde es nur sehr schade.«
Wortlos räumte Malin den Tisch ab. Sie wusste, dass sie ihn mit ihrer spröden Art manches Mal vor den Kopf stieß. Dennoch konnte sie nicht aus ihrer Haut.
Als sie das Hausboot wenige Minuten später verließ, hatten sich dicke Wolken am Abendhimmel gebildet.
Es nieselte leicht, als Malin am nächsten Morgen um kurz vor acht die Stufen zum Eingang des Polizeipräsidiums hinaufging. Der moderne Rundbau mit den zehn angefügten Blocks an der Hindenburgstraße im Stadtteil Alsterdorf erinnerte in seiner Form an einen Polizeistern. Das sechsgeschossige Gebäude beherbergte neben den LKA-Abteilungen diverse Verwaltungsstellen der Polizei, die Funkzentrale und den Führungsstab. Da Hamburg den Status eines Stadtstaates hatte, lag hier die Ermittlungsführung für Verbrechensbekämpfung im Verantwortungsbereich des Landeskriminalamtes.
Die Räume des LKA 41, des Fachkommissariats für Tötungsdelikte, befanden sich im dritten Stock und unterschieden sich kaum von anderen Großraumbüros. Hellgraue Möbel, wuchtige Schreibtische, die sich in Zweierblocks gegenüberstanden, und bis zur Decke reichende Aktenregale. Alles wirkte klar strukturiert und nüchtern.
Die Tür zum Büro der Mordkommission stand offen. Ole Tiedemann befestigte gerade Tatortfotos an einem Whiteboard, Sven Andresen saß an seinem Schreibtisch und blätterte in Unterlagen. Die rechte Wange des rothaarigen Ermittlers war geschwollen und bläulich verfärbt. Er trug eine seiner schwarzen Lederhosen und ein schwarzes Seidenhemd. Sein Handgelenk zierten neben einer protzigen Golduhr zahlreiche Lederarmbänder. Im Gegensatz zu dem schlaksigen Tiedemann, der im akkurat gebügelten Hemd und der Bundfaltenhose eher wie ein Steuerberater wirkte, erinnerte der muskulöse Andresen in seinem Auftreten an eine Kiezgröße.
»Guten Morgen.« Malin setzte sich an ihren Schreibtisch. Der gegenüberliegende Platz ihres Kollegen Bartels war verwaist.
»Moin, Malin«, erwiderte Tiedemann.
»Mahlzeit, Brodersen.« Andresen sah sie missmutig an. »Hattest du nicht noch ein paar Tage frei?«
»Gestrichen.«
»Ausgleichende Gerechtigkeit«, murrte Andresen und rieb sich seine geschwollene Wange. »Schließlich durfte ich hier trotz Wurzelbehandlung antanzen.«
Malin musste sich beherrschen, nicht die Augen zu verdrehen. »Gibt es etwas Neues, Ole?«
Tiedemann drehte sich zu ihr um. »Die Spusi hat einiges an Spuren in Wenningers Haus gefunden. Sie werden gerade ausgewertet.«
»Weiß man schon Genaueres über die Tatwaffe?«
»Bislang nicht, die Waffentechniker sitzen noch an der Hülse. Ist wohl etwas kniffelig, da die Prägung in schlechtem Zustand ist. Aber vielleicht helfen die Projektile weiter, sobald wir sie aus der Rechtsmedizin bekommen.«
»Vielleicht haben wir Glück und es gibt Fingerabdrücke«, überlegte Malin laut.
Andresen erhob sich von seinem Stuhl und platzierte sich auf Tiedemanns Schreibtischkante. Das Leder seiner Hose spannte bedenklich an seinen kräftigen