lange um- und ausgebaut, bis er sie verkauft hatte. Nach jedem Verkaufserfolg suchte er nach einem neuen Umbauprojekt. Von der Differenz lebte er »nicht schlecht«, wie er unter vorgehaltener Hand erklärte.
Holger nähte Segel und Persenninge an Deck seines Kutters. Timmi hatte eine komplette Werkstatt an Bord. Jürgen malte Schiffsportraits, Eve – natürlich sind auch die Bordfrauen kreativ – schneiderte Bikinis aus selbst gebatikten Stoffen und verkaufte sie, vor allem auf Charterbooten. Claire häkelte Decken, Claus tippte Konzepte für seinen Auftraggeber und schrieb Werbetexte. Helm arbeitete recht erfolgreich nach der Methode »Staubsauger-Verkäufer«: Kam er zu einem Drink an Bord, hatte er in kürzester Zeit eine Lücke in der Ausrüstung entdeckt. Wortgewaltig konstruierte er daraus einen Seenotfall. Dann ließ er sein Opfer zwei Tage schmoren und kam schließlich als Problemlöser daher: Ich hätte da ganz preiswert … Das Teil, das er anbot, hatte er einem anderen Skipper für dessen geplante Route als völlig nutzlos ausgeredet.
Jürgen malt Schiffe
Außer diesen Cleveren gab es auch noch eine Reihe recht netter Typen, die ihr Geld im Schweiße ihres Angesichts verdienten. Ihr Motto: besser ein Charterschiff als gar keins. Das waren natürlich keine echten Weltenbummler mehr, denn Skipper auf einer Charteryacht ist inzwischen ein fast so gewöhnlicher Beruf wie Omnibusfahrer zwischen Hamburg und Stade oder – Lokomotivführer zwischen München und Rosenheim.
Ohne Geld bläst einem der Wind bald kalt ins Gesicht. Dafür sorgen die hohen Liegegebühren in den Häfen und vor allem in Marinas. Wer nicht zahlen kann, muss erst gar nicht einlaufen, sondern besser draußen ankern.
Neben finanziellen gibt es auch psychologische Probleme, die mit Geld zu tun haben: Mike gehörte zu den Typen, die eines Abends aus dem Haus gehen, um Zigaretten zu holen – und nicht mehr zurückkommen. Es geschah an einem Novemberabend vor Jahren in einem Vorort von Sydney, erzählte Mike, wo er mit seiner Frau in einer kleinen Villa wohnte. Kinder hatten sie keine. So spontan sein Entschluss aussah, so lange war er vorbereitet: In sieben Jahren hatte er sich ein Segelboot zusammengespart, ohne dass seine Frau etwas davon wusste – ihre Wäscherei ging gut, sie hatten viel zu tun, Mike machte die Buchhaltung, Charlot, seine Frau, die Arbeit an den Waschmaschinen. Ohne eine Nachricht zu hinterlassen, verschwand er und segelte los. Wochen später meldete er sich aus Singapur und schlug seiner Frau einen Deal vor: Sie sollte die Wäscherei behalten und er bekäme jeden Monat einen kleinen Scheck. Charlot ging darauf ein und belegte einen Schnellkurs in Buchhaltung. Dies schien ihr die einzige Möglichkeit, ihn jemals wieder zu sehen.
Mikes Grund für die so lange geplante Flucht war die beängstigende Vorstellung, bis in alle Ewigkeit in der Wäscherei hocken zu müssen. Ihn lockte die heimliche Sehnsucht zum Meer, der Blick hinter den Horizont. Seine Frau verstand das nicht – sie hasste das Meer und konnte und wollte nicht loslassen. Und hoffte, er käme irgendwann zurück.
Mikes Boot wurde in Borneo ausgeraubt und auf den Seychellen wäre er beinahe gestrandet. In Griechenland hatte er gerade seine soundsovielte Sinnkrise hinter sich. Jede hatte den selben Namen: Einsamkeit. Gelegentliche Mitsegler und Hafenbekanntschaften, so fand er schließlich heraus, waren kein Ersatz für menschliche Nähe und Wärme.
Ob er noch nicht die Nase voll habe und zu seiner Penelope zurück wolle?, fragte ich ihn. Nein, irgendetwas treibe ihn, er wusste nur noch nicht ganz genau, was.
Mike, der Suchende, war einer von vielen ausgemergelten, bärtigen, barfüßigen Gestalten undefinierbaren Alters, mit wenig Geld in abgeschnittenen Jeans, allein oder mit einem Gelegenheitsgirl auf einem abenteuerlichen Boot unterwegs. Alle erzählten sie mir immer sich ähnelnde Vorgeschichten und die gleichen Probleme mit dem lieben Geld – und mit sich selbst.
Manchmal roch es nach Räucherstäbchen und einem Pfeifchen. Aber die Bezeichnung Yachtie (abgeleitet von Hippie) ist so wenig zutreffend wie Softie für Männer, die auch mal weinen. Denn auf ihren Yachten sitzen auch die Sechziger, die, mit einer sich ins Unvermeidbare schickenden Ehefrau und einer soliden Pension ausgestattet, noch etwas erleben wollen. Die Fünfzigjährigen, die ihr Geschäft vorzeitig verkauft oder aufgegeben haben, gerade noch rechtzeitig, bevor sie für das letzte Abenteuer zu klapprig waren. Die Vierzigjährigen, die irgendwann auf Zeit ausgestiegen waren und die den Wiedereinstieg in die Kosten-Nutzen-Welt noch vor sich hatten. Die Dreißigjährigen, die eine Atempause machten, ein Sabbatical, und entweder Mitglied im Anti-Karriere-Club waren oder neue Kräfte sammeln wollten. Schließlich die Zwanzigjährigen, die ein bisschen Zeit und Geld hatten – weiß der Teufel woher – und unbekümmert in den Tag hineinsegelten.
Frauen aller Altersgruppen waren dabei – mit oder ohne Geld, und mit überraschenden Fähigkeiten und viel Selbstvertrauen. Oftmals auch Frauen, die gerade gestartet waren und ehrgeizige Pläne verfolgten. Aber auch Aussteiger, die irgendwann einmal Visionen hatten und jetzt ihr Scheitern verarbeiteten. Leute, die es gerade bis zum zweiten Hafen geschafft hatten und sich dort in eine einheimische Schöne verknallten (Hallo Martin!) Leute, die von der Charterei endgültig die Nase voll hatten, aber nicht wussten, was sie stattdessen tun sollten. Und schließlich Leute, die reduziert auf dem engen Raum ihres Bootes, losgelöst von allem, was einengt und behindert, etwas über sich und die Welt erfahren wollten und nach einer langen, gut finanzierten und durchgeführten Reise wieder nach Hause fanden.
Oberflächlich betrachtet ist das Leben dieser »segelnden Dauerurlauber« in der Tat beneidenswert. Vor der Kulisse des nicht immer blauen Meeres, in den südlich brodelnden, manchmal auch stinkenden Häfen, pflegt man Kontakte, geht hilfsbereit miteinander um und tauscht Erfahrungen aus. Das soziale Leben ist scheinbar problemlos, Nachbarschaft an der Pier unverbindlich. Wenn man mal zu offen war oder sich nicht mehr sehen kann – Anker auf und weg! Es gibt keine Verpflichtungen, kein ewiges Angebundensein, völlig anders als in der Reihenhaussiedlung.
Doch unter der Oberfläche sieht es oft ganz anders aus. Rico, ein Typ der schon Jahre auf seinem Boot lebte, kreuz und quer durchs Mittelmeer gesegelt war, den ich im Hafen auf Rhodos traf, entdeckte eines Tages, wie sehr er Leute beneidete, die ohne Ehrgeiz und mit sich und der Welt zufrieden leben konnten. Er sei schon immer ein Getriebener gewesen, auf dem Boot habe sich das sogar noch verstärkt, obwohl er ja keinerlei Geldsorgen habe. Mit seinem Beruf als Börsenmakler habe er genug verdient. Nun wolle er endlich Zeit für sich haben.
»Das kann dich regelrecht umhauen, wenn du plötzlich mit dem Meer, der Sonne und dir selbst alleine bist«, erzählte er. Erst nach einem Jahr war er bereit, sich so zu akzeptieren, wie er war. Seitdem segelte er wie der »Fliegende Holländer« ruhelos über die Meere.
Ursula repariert die Ankerwinsch
Ganz anders Boris, der ebenfalls im Hafen von Rhodos lag. Vor ein paar Jahren hatte er seine Firma gegen eine monatliche Rente an seine Mitarbeiter abgegeben und sich auf einen umgebauten Rettungskutter zurückgezogen. »Es gibt Leute, die müssen die Welt sehen, ich dagegen will nur meine Ruhe haben«, erkannte er sich selbst. Das hat er auch geschafft – er war einer der entspanntesten Typen, die ich getroffen habe.
Von Ibiza bis nach Rhodos brauchte er vier Jahre. Wo es ihm gefiel, blieb er Wochen, im Winter Monate. Für ihn war nicht das Unterwegssein wichtig, sondern das Leben auf dem Schiff an sich, ganz egal wo, Hauptsache die Sonne schien und es war warm.
Boris zeigte mir Bilder von früher: Als gestandener Manager im Anzug mit Krawatte, als Familienvater mit Sohn und Ehefrau, und dann als Kerl mit Bart im Blaumann vor dem abgebeizten Kutter auf einer Werft.
Sein Schiff war die Folge der Familientrennung, nicht deren Ursache, wie er betonte. Berufliche Disharmonien kamen dazu. Je mehr er die Tricks seiner Branche durchschaute, desto weniger war er überzeugt von dem, was er tat. »Entweder glaubst du an den weißen Riesen oder du wirst zum Zyniker.« Boris wollte weder Dummkopf bleiben noch Zyniker werden, deshalb sei er gegangen. Das Schiff war ein alter Jugendtraum. »Na ja, so hat es sich halt ergeben«, berichtete er. Geld sei kein Problem, er grinste. Das was er für den Verkauf seiner Firma bekommen habe, sei gut in der Schweiz angelegt.
»Niemand