Magen nicht sonderlich gut.
»Ok?«, kam es kaum hörbar aus dem Niedergang. Nur nicht kotzen, dachte ich und grinste säuerlich, der arme Mensch dort unten … Ich schluckte und nickte: »Brennt!«
Langsam rutschte ich abwärts. Unten angekommen, fielen wir uns in die Arme und wischten heimlich ein paar Tränen ab. Später erzählte Claus, er habe ernsthaft darüber nachgedacht, was er gemacht hätte, wenn ich von oben herunter gerauscht wäre. Egal ob ich das überlebt hätte oder nicht: wo und wie sollte er in der Weite der Biskaya Hilfe finden … wohin steuern? Zurück nach Dartmouth? In den Golf hinein nach La Rochelle? Oder weiter aufs Ziel zu, nach La Coruña?
Poseidon sei Dank war alles gut gegangen, so dass wir drei Tage später unbeschadet in La Coruña einlaufen konnten.
Doch sie sind nicht ganz verschwunden, / jene, die Kap Horn umrunden, / die noch heut auf kleinen Schiffen, / Stürmen trotzen, Klippen, Riffen, / die den Träumen hinterher – / fahren, fahren übers Meer.
Sie, die wieder leben lernen, / fern von Stress und Mietskasernen, / die Besitz, Erfolg, Karriere, / tauschen gegen Wind und Meere. / Auf der Fahrt nach nirgendwo / einfach rufen: Westward! Ho!
Aus dem Logbuch von Claus
* Wer erfahren will, was Claus, alias Capitano Claudio, nach unserem Abenteuer in der Biskaya bei Windstärke 12 vor Kap Horn erlebte, lese hier weiter: www.vallebote.de/band4-capitano-claudio/
06. Banyo
Ich war ein paar Tage zu früh in Cadiz. Claus, mit dem ich von Volendam am IJsselmeer durch die Biskaya bis zur spanischen Südküste gesegelt war, musste zurück nach München. Ich wartete auf Ursula, meine neue Crew, und lernte Lars und Simone auf ihrer Banyo kennen. Sie lagen neben mir und waren für mich die ersten Menschen, die als Paar den Absprung aus dem bürgerlichen Leben geschafft hatten, ohne Probleme damit zu haben, eines Tages zurück zu müssen – sollte die Bordkasse einmal so leer sein wie die dritte Flasche nach dem nächtlichen Plausch im Cockpit der Banyo.
Lars war ein stämmiger Typ mit breiten Schultern und von Beruf Chemotechniker. Seine Frau Simone war das Gegenteil von ihm, eine zierliche Person mit langen, blonden Haaren, Sozialpädagogin, 35 Jahre jung. Sie hatten keine Kinder und wohnten in einem Reihenhaus im niederländischen Friesland. Seit zwei Jahren waren sie unterwegs. Abgelegt hatten sie in Amsterdam. Von Ijmuiden segelten sie nach Südengland, Frankreich, Galizien, Lissabon, und seit April hielten sie sich an der portugiesischen Südküste auf.
Ihr Boot war eine drei Tonnen leichte Dufour 35, 10,75 m lang, raumschots sieben Knoten schnell und wenn kein Wind wehte, schaffte es der kleine Diesel gegen alte Dünung gerade noch so. Innen war alles zweckmäßig eingerichtet, »vielleicht etwas cool, wir wollen halt nicht zu viel Arbeit damit haben«, erklärten sie.
»Guck mal, hier passen zwei Klappfahrräder rein«, sagte Lars und öffnete die Backskiste. Die kämen oft raus, damit machten sie ihre Landausflüge, wenn es nicht zu bergig war. Woher der Name Banyo kam, wollte ich wissen? »Wir haben früher Jazz gemacht, Simone spielt Banyo und ich Klarinette – ja ja, auch jetzt noch.«
»Wir lieben das einfache Leben«, Simone schmunzelte. Der Käse stamme aus Edam, die Tomaten aus Dartmouth, die Chorizo und der Fundador aus La Coruña, der Vino tinto aus Portonovo und der Kaffee von Coop in Sneek. Zum Nachtisch gebe es ein Nickerchen, ab und zu unterbrochen von einem schnellen Rundumblick: Kein Schiff weit und breit, gut! Weiter schlafen.
Einen festen Plan hatten sie nicht. Wo es schön sei, da wollten sie bleiben. In Portugal zum Beispiel. Die Leute seien sehr hilfsbereit und freundlich, vor allem die Fischer. »Und dann spürt man hier schon den Atlantik«, erklärte Lars, »das ist doch was ganz anderes!«
Simone und Lars arbeiteten selbstständig, sie hatten für vier Jahre gespart und mehr verdient als sie ausgegeben hatten. »Wenn wir so weitermachen wie bisher, kommen wir gut über die Runden.« Simone kicherte.
Warum sie das überhaupt machten, abseits der Gesellschaft so herumstreunern? »Genau«, sagte Lars, »wir sind vorher viel unterwegs gewesen, mit einer Tasche, einer Hose, durch ganz Europa … das hat uns gefallen. Außerdem hatten wir immer eine Jolle.« So entstand der Plan. »Mit 60 machst du das nicht mehr so unbeschwert, da hast du wahrscheinlich zu viel Angst, alles aufzugeben. Je etablierter du bist, desto mehr musst du zurücklassen.« Jetzt sei das leichter. «Wir hatten Lust und waren bereit.« Sie wollten sich später nie vorhalten: hätten wir das doch damals gemacht. Mit der Gesellschaft haben sie keine Probleme. »Klar«, sagte Lars, »wenn das alle machen würden, das wäre nicht so gut. Aber wir haben viel gearbeitet und auf einiges verzichtet, jetzt wollen wir unsere Zeit genießen.«
Südliche Traummarina mit Palmen im Wind
Lars berichtete in einem Nebensatz von seinem einzigen Handicap an Bord. Er werde die ersten Tage immer seekrank, er habe schon alles ausprobiert: Pillen, Zäpfchen, Pflaster, Baldrian, aber nichts helfe. Simone kicherte, »Hihihi – wie Lord Nelson, der Held der Meere.«
Simone und Lars kalkulierten mit 20 Dollar pro Tag für Essen, Trinken und kleine Schiffsreparaturen. »Marinas meiden wir und zum Essen gehen wir auch nicht – das ist uns zu teuer.« Sie hätten genug Wein an Bord und jede Art von Küchengenüssen, die sie sich selbst zubereiteten. Gibraltar hatten sie nur angelaufen, um preiswerten Diesel zu tanken. Für Reparaturen war ein größerer Betrag auf dem Konto zuhause angespart, das wollten sie aber nur im Notfall angreifen. Sie ankerten lieber irgendwo, das kostet nichts. »Das Leben kann so einfach und trotzdem wunderschön sein«, meinte Simone.
Freilich gebe es Leute, die überhaupt nicht verstanden hätten, was sie da machten: »Alles aufgeben, und so. Gut, unsere Eltern schon, aber die meisten Kollegen nicht. Obwohl einige sicher heimlich davon träumten … aber meine Frau … hm«, Simone lachte. »Andere wollten wissen, was wir den ganzen Tag auf dem kleinen Boot anstellen? Und wieder andere hatten Angst davor, alles aufzugeben und dann später nicht mehr zurückzukönnen. Wir machen uns darüber keine Gedanken«, erklärte Lars. »Wir haben unsere Musikinstrumente dabei und spielen schon mal, wenn wir Lust haben – auch auf einer Pier oder in einer einsamen Bucht. Das macht immer viel Spaß.«
Natürlich werde irgendwann damit Schluss sein, gab Simone zu. Okay, zurück in die Kälte! Lars lachte. »Ein paar Jahre malochen wir, dann ziehen wir wieder los – vielleicht mit einem größeren Boot, mit dem wir auch über den Atlantik kommen.« Simone sei die treibende Kraft.
»Ich habe das Gefühl, dass ich nicht mehr so viel über alles nachdenke. Vielleicht werden wir mit der Zeit oberflächlicher, kümmern uns nur um uns selbst und den heutigen Tag, und weniger um die Welt. Es stimmt schon, manchmal sind wir ganz mit uns selbst beschäftigt. Aber ich spüre auch wie gut mir, wie gut uns, das tut«, sinnierte Simone und Lars ergänzte: »Es gibt so viele Probleme auf der Welt, trotzdem lassen wir es uns hier in unserer kleinen Blase so ein bisschen egoistisch wohl ergehen.« Er schüttelte den Kopf. »Trotzdem: Segeln ist wichtig für uns – wir werden immer ein Boot haben.« Simone nickte mit glänzenden Augen.
07. Columbus
Zwei Tage später verabschiedeten sich die beiden und ich musste mit Pandarea den Platz wechseln. Nach einigem hin und her lag ich längsseits neben Columbus, die bereits einige Wochen an der Hafenpier vermurt war. Um an Land zu kommen, mussten Ursula und ich über das hohe Schanzkleid des ehemaligen Fischkutters klettern, das gut sechs Meter breite Deck überwinden und dann hinunter auf die Pier springen.
Die Columbus war ein Kriegsfischkutter (KFK), 1944 in Swinemünde aus massiver Eiche als Minensucher gebaut, knapp 25 Meter lang, 6,30 breit und 3 Meter tief. Sie hatte einen 180 PS Diesel im Bauch und fuhr damit 28 Jahre brav zum Fischefangen auf der Ostsee. 1972 kaufte Heinz das Schiff für 30.000 DM, übernahm den Namen und alles was an Deck und innen drin noch so rumlag und überführte das Schiff nach Bremerhaven. Dort begann er mit dem Umbau.