Udo Hinnerkopf

Vom Wind Verwehte: Aussteiger unter Segeln


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Frauen an Bord

      Nur wenige Langzeitsegler finden es vergnüglich, einhand in See zu stechen. Eine Umfrage unter männlichen Dauerseglern ergab: Frauen sind die besten »Segelkameraden«, vorausgesetzt sie sind bereit, sich dem Abenteuer See voll und ganz zu verschreiben.

      Ich habe von einem Ehepaar gehört, die trainierten Zusammenleben auf engem Raum, in dem sie sich drei Monate lang in ihrer kleinen Wohnung einsperrten, um so ihre Koexistenz-Fähigkeit zu erproben.

      An Land kann man sich aus dem Weg gehen, wenn es mal gekracht hat. Auf dem Boot lebt man wie die Igel – eng aufeinander, und deshalb pikt man sich. Braucht man mal einen anderen Menschen, um sich etwas von der Seele zu reden, ist die gute Freundin – der gute Freund – mit der/dem man sich mal richtig aussprechen könnte, gerade 1000 Meilen weit woanders.

      Dies hatte mir eine erfahrene Langzeitseglerin erzählt, nachdem auf ihrem Boot die Tortillas flogen. Einer, den ich in Alicante kennengelernt hatte und der ebenfalls viele Jahre unterwegs war, sagte: »Ich möchte niemanden auffordern, sich mit einer unerprobten Beziehung auf ein Boot zu setzen und einfach loszusegeln. Das geht oftmals schief.« Tatsächlich habe er noch nie von einer angeknacksten Beziehung gehört, die an Bord gekittet wurde.

      Auch bei denen, die an Land keine Probleme miteinander haben, ist das Leben an Bord nicht immer Sonnenschein. Etwas später auf Mallorca traf ich Philip und Helen auf ihrer Escape. Er, breiter Dickschädel, wilder Bart, kragenloses Hemd, knappe Badehose – eine Mischung aus Alexis Sorbas und Wikinger im Urlaub. Sie, blond, langhaarig, ein bisschen zu zart für das bullige Holzschiff mit den zwei Baumstämmen als Masten, den rotbraunen Segeln und dem dunkelgrün gemalten Colin-Archer-Rumpf. Das Thema in der gemütlichen, mit bunten Teppichen ausgelegten Kajüte war von hoher Explosionskraft: Frauen an Bord.

      Als Philip und Helen noch Reiseleiter waren und in der freien Winterzeit aus dem alten Kasten die schmucke Escape machten, da konnte sich Helen nichts Schöneres vorstellen, als sorglos an Bord zu leben, Gitarre zu spielen, all die Bücher zu lesen, die sie schon immer lesen wollte, und in der Pantry indonesisch zu kochen.

      Nach fünf Jahren sah sie das anders. »Ich bin müde vom Boot«, sagte sie zu mir, ihr walisischer Akzent war kaum zu überhören. Sie habe immer öfter Angst: »Wenn Philip mal über Bord geht, muss ich ihn wieder rausfischen. Mach das mal … bei Windstärke acht!«

      Philip schüttelte den Kopf. Die 14 Meter lange Escape, ohne Winsch, ganz nach alten Vorbildern als Gaffelketsch getakelt, sei zwar das Maximum für zwei Personen, aber … Dabei übersah er schnell mal, dass Helen sehr zierlich war.

      »Und dann immer nur Häfen!«, murrte sie. Die seien doch alle gleich: Rechts Schiffe, links Schiffe und sie mitten drin. »Und auf jedem Schiff nur Typen, die kein anderes Thema kennen: Ihr letztes Schiff, ihr derzeitiges Schiff, und ihr nächstes Schiff. Das ist wahnsinnig, sag ich dir!« Philip verstand das nicht. Für ihn war sein Boot zum Lebensinhalt geworden.

      Ob sie nicht auch Leute mit anderen Interessen kennengelernt und Freundschaften geschlossen habe, zum Beispiel mit Frauen?

      »Kennengelernt schon, aber richtige Freundschaften – eigentlich nicht. Wir müssen ja immer weiter, können nirgends länger bleiben …« Seitenblick auf Philip. Außerdem seien die meisten Bordfrauen sowieso verschlossen. »Die wenigsten sind glücklich.«

      Zuverlässig: Steuerfrau Ayse

      Helen hatte das Gefühl, entwurzelt zu sein, vertraute sie mir an. Die alten Freunde von früher, sie meinte vor allem ihre Freundinnen, hatte sie aus den Augen verloren. Was ihr blieb, waren Philip und die Escape. »Nicht mal ’ne Katze darf ich haben. Ich muss unheimlich aufpassen«, sagte sie lächelnd, »dass ich mich nicht zu sehr an Philip klammere. Wer sich anklammert wird sich erschöpfen. Oder den erschöpfen, an den er sich klammert.«

      Ich traf auch Typen, die behaupteten, Frauen seien für das Leben an Bord so wenig geeignet wie Männer fürs Kinderkriegen. Nimmt der Wind zu? Sitzt der Anker auch wirklich fest? Das ewige Knarren der Leinen, vor allem nachts. Das Rollen des Schiffes bei Schirokko. Die Enge, die Unruhe, die ewigen Männergespräche – all dies würde Frauen mürbe machen. Und auch die Anrainer des Mittelmeeres, die seit Odysseus’ Zeiten das Meer eher fürchten als lieben, schüttelten die Köpfe und bemitleideten die Frauen, wenn sie mal in so ein kleines Boot hineingeguckt hatten. »No, no – so kann man doch nicht leben!«

      Andererseits begegnete ich starken Frauen, die noch verrückter waren als so manch verwitterter Dauersegler. Nora zum Beispiel, die ich auf Amorgos traf. Auf ihrem 7-Meter Schiffchen schipperte sie ganz alleine durch die Gegend, pfiff auf Beruf und Sicherheit, verzehrte die kleine Unterstützung, die sie von ihrem Ex-Mann bekam, träumte von größeren Reisen und fürchtete sich vor nichts. Oder Carolin, die Frau von Chris, die ihr zweites Kind unbedingt an Bord entbinden wollte und dies auch zwischen zwei Herbststürmen hingekriegt hat. Und Hiltrud, die Frau von Maler Wolfgang, die nicht nur den kompletten Umbau des 80 Jahre alten Lotsenkutters geleitet hat, sondern auch die jährlich anfallenden Überholungsarbeiten eigenhändig durchführte und alle Patente besaß.

      Der total versoffene Holger, seit zwei Jahren verlassener Skipper und seither nicht mehr zum Auslaufen fähig, hatte in einem hellen Moment der Klarheit festgestellt, er glaube, es hänge vor allem von der Einstellung ab, von der Motivation. Die Frau, die nur ihm zuliebe mitfahre, werde genauso wenig glücklich wie der Mann, der ihr zuliebe zu Hause bleibe.

      Das Dilemma einer Schiffsbeziehung fasste Einhandsegler Sam beim Tee auf seiner Alegro so zusammen: »Vor zehn Jahren hatte ich endlich die richtige Frau gefunden. Ich liebte sie wie keine vorher. Sie war nicht nur schön und intelligent, sie kochte auch noch, wenn ich den Treibanker klar machte. Sie hatte keine Angst und war ein großartiger Mensch.« Er nippte an seinem Tee.

      »Vor drei Jahren hat sie mich verlassen. Die Alegro war ihr plötzlich zu eng und das Meer zu wild. Sie wollte Kinder kriegen und in einem Haus mit zwei Badezimmern wohnen.« Seitdem lebte Sam alleine auf seinem Boot. Sein Kommentar: »C‘est la femmes!«

      Es gibt Boote, denen sieht man auf den ersten Blick an, dass eine Frau an Bord ist. Liegt das Schiff im Hafen, stehen Blumen auf dem Kajüttisch, ab und zu flattert frisch gewaschene Wäsche im Wind und aus der Kajüte duftet es jeden Abend anders. Dann wird den verlassenen oder aus welchen Gründen allein segelnden Junggesellen wehmütig ums Herz und ihnen wird bewusst, wie armselig ihr Traumleben doch ist.

      Immer nur segeln?

      Frauen an Bord können aber auch ganz anders wahrgenommen werden: Kati, die mit Frank zusammen in der Karibik segelte, kam plötzlich auf die Idee, Wolle zu kaufen, und sie begann, Teppiche zu knüpfen. In Häfen und auf Ankerplätzen sah man sie im Cockpit sitzen und mit Fäden hantieren. Bald stellte sich heraus, wie begabt sie war, was sie selbst nicht gewusst hatte. Ein Teppich nach dem anderen wurde geknüpft und die fertigen Teppiche von Bord zu Bord verkauft. Auf diese Weise konnte sie wunderbar zur Finanzierung des Bordlebens beitragen.

      Die beiden überquerten den Atlantik und besuchten die klassischen Teppichländer des Orients, um Anregungen für Katis Ideenbuch zu sammeln. »Segeln«, sagte Kati, »verbunden mit einer Aufgabe, die mich erfüllt, ist außerordentlich befriedigend.« Frank meinte, das sei der Grund, weshalb Kati immer noch Spaß am Bordleben habe, obwohl sie schon im fünften Jahr unterwegs seien.

      Inzwischen hatten Frank und Kati einen Lebensrhythmus gefunden, der Segeln und Knüpfen in einem ausbalancierten Verhältnis möglich machte. Im Sommer segelten und sammelten sie Anregungen für neue Muster, und im Winter mieteten sie irgendwo ein Häuschen, in dem Kati knüpfte, bis ihr die Finger weh taten. Frank hatte sich mittlerweile auch für das Thema begeistert, er schrieb ein Buch über Orientteppiche.

      Zur Gruppe derjenigen, die in ihrer Segelei noch einen anderen Sinn sahen als nur in der Welt herumzubummeln, gehörten auch Mec und Charles, die ihr Boot im Hafen verankerten und für Tage aus ihrer gewohnten Umgebung verschwanden. Zurückgekommen,