Karsten Sgominsky

Gin - Alles über Spirituosen mit Wacholder


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selbst verboten war.

      Parallel dazu genehmigte der Stadtrat von Schiedam am 8. März 1690 die Gründung einer Gilde für Destillateure und Brennmeister, sicher mit Blick auf die sich potenziell stark erweiternden Handelsmöglichkeiten mit ­einem England, das fortan von einem Niederländer regiert werden würde.

      Im Einklang mit dem Parlament erließ er 1690 den «Distilling Act», eine Verordnung, die dem Destillieren als Handwerk Vorschub leisten und durch minimale Steuersätze die Verwendung von englischem Getreide in großem Stil steigern sollte. Damit stieß er die Türen für eine in ­England ganz neue Industrie auf: Getreidealkoholherstellung. Grund dafür war nicht allein, dass er das Fehlen des französischen Brandys durch einheimischen Branntwein ausgleichen wollte; Wilhelm hatte ­weiter gedacht. Es sollten große landwirtschaftliche Überschüsse ­produziert werden, um Hungersnöten vorzubeugen, die einen König ­unpopulär machen würden. Die Destillierindustrie war ein guter Abnehmer für ­Überschüsse jeglichen Getreides, auch schlechten. Durch die Wiedereinführung von Subventionen für den Export von gemälztem ­Getreide fanden sich sogar ausländische Abnehmer, allen voran sein Heimatland. Landarbeiter, Hafenarbeiter, Müller, Bäcker, das Transportwesen etc. würden mitprofitieren. Zusätzlich käme durch Steuern und Lizenz­ge­bühren mehr Geld in die Staatskasse, zumal er gleichzeitig die Abgaben für Bier und Ale verdoppelte. All diese augenscheinlich noblen Motive hatten einen ­politischen Hintergrund: Die meisten seiner Gegner im ­Parlament besaßen große Ländereien. Wenn jetzt die Bauern durch den Aufschwung größere Profite machten, so könnten jene Grund­besitzer höhere ­Pachten verlangen, somit mehr verdienen und den ­politischen Zielen Wilhelms gewogener werden.

      Dass er dadurch indirekt das Monopol der «Worshipful Company of ­Distillers» und deren Qualitätsstandards aufhob, tangierte ihn sicher wenig. Mit ihm kam nämlich auch das Destillierwissen nach London und man orientierte sich am holländischen Genever, der nach wie vor importiert und jetzt sogar am englischen Hofe getrunken wurde. Den englischen Neu-Destillateuren fehlte natürlich das umfassende Wissen und die Erfahrung ihrer holländischen Berufskollegen, um originalgetreuen Genever herzustellen, weshalb bisher fast überall zu lesen war, dass sie einen Getreidebranntwein erzeugten, der so harsch und ungenießbar war, dass er zum Übertünchen dieses Geschmacks gesüßt worden sei. Wir sind jedoch zu einer anderen Auffassung gelangt: Genever war zum Ende des 17. Jahrhundert ein mit Wacholder und womöglich auch anderen Gewürzen aromatisierter Malzbranntwein («moutwijn»). ­Es ist aber fraglich, wenn nicht gar zu bezweifeln, ob dieser Moutwijn schon jenen Grad der Perfektion und Ausgeklügeltheit des Herstellungsprozesses aufwies, wie man es von ihm aus viel späteren Zeiten kannte bzw. heute kennt. War also der Genever nicht einfach ein aromatisierter Getreidebranntwein, der Farbe und Geschmack durch etwas Fasslagerung auf dem Transportweg erhielt? Träfe das zu, dann hätten die englischen Getreidedestillateure einen halbwegs vergleichbaren Getreidebrand herstellen können, denn auch in England wurde schon seit Langem Korn gemälzt, schon allein aus Gründen der Haltbarkeit. Die sogenannten «compound distillers», also «Aromatiseure», die Getreidealkohol von den Großdestillen kauften, um ihn zu aromatisieren und an den Konsumenten zu verkaufen, dürften keine großen Probleme ­gehabt haben, etwas zu produzieren, was dem Genever ziemlich nahe kam. Der Geschmack kann also unserer Ansicht nach nicht so schlimm gewesen sein, wie es bisher oftmals dargestellt wurde. Daher lässt sich mit ­fester Bestimmtheit die These aufstellen, dass jener Getreidebrand nicht gesüßt wurde, was zusätzlich durch das Faktum gestützt wird, dass Zucker zu jener Zeit noch ein Luxusgewürz war und kein alltäg­liches Süßungsmittel, wie wir es heute kennen.

      Aus Genever wird Gin

      Da nun der Genever durch Import des Originals und Eigenproduktion in England, besonders in London, verstärkt getrunken wurde und der Begriff somit Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch fand, erscheint es ganz natürlich, dass der für englische Verhältnisse etwas umständliche Name «Genever» bald zu «Geneva» und das Getränk später vom gemeinen Volk letztlich «Gin» genannt wurde. Erstmals wurde diese Verkürzung zu einem Einsilber 1714 in der politischen Satire «Bienen­fabel» von Bernard Mandeville schriftlich erwähnt.

      Nichtsdestoweniger existierte auch der Name «Geneva» parallel weiter. Und es sollte eines Tages der englische Gin sein, der seinen Vorfahren in den Schatten stellen würde und 200 Jahre später einen globalen Siegeszug antrat. Aber bis es soweit war, durchlief er ein düsteres Kapitel seiner Geschichte.

      Als Wilhelm III. von Oranien 1702 starb, wurde, zurückkehrend zur englischen Blutslinie, seine Schwägerin als Queen Anne inthronisiert. Sie hatte den Ruf, Spirituosen nicht abgeneigt zu sein, und behielt Wilhelms Kurs nicht nur bei, sondern erließ ein Gesetz, das der Alkoholdestillation noch mehr Freiraum gab und vom Parlament verabschiedet wurde. ­Darin wurde zum verstärkten Verbrauch gemälzten Korns ermuntert und faktisch jedermann ein Freibrief zum lizenzfreien Destillieren gegeben, solange die Branntweine nicht auch im selben Haus getrunken wurden. Was einst durch Wilhelm als ökonomischer Geniestreich begann, sollte sich in Bälde zum sozialen Desaster entwickeln.

      Durch das Fehlen jeglicher Qualitätsstandards bzw. einer Körperschaft oder Institution, die selbige überwachen würde, entstanden jede ­Menge kleiner Hinterhofdestillen. Viele Läden und Pubs betrieben eine solche, anfangs als zusätzliche, später als Haupteinnahmequelle. Dadurch floss Gin billig und en masse durch Londoner Kehlen, was eine Trunksucht überwiegend in den unteren Schichten der Bevölkerung zur Folge hatte. Erster Widerstand gegen diese Zustände regte sich Anfang der 1720er, als die Sterberate höher wurde als die Geburtenrate, ein ­Zustand, der die nächste Dekade fortwähren sollte. Selbst der Kolumnist Daniel ­Defoe – einst glühender Anhänger des Gins und der Korndestillation, die ökonomischen Aufschwung und Wohlstand brachte – sah sich um 1727 genötigt, sich nun gegen diese unkontrollierte Gin-Herstellung zu wenden und sie öffentlich anzuprangern.

      In London gab es 1729 ungefähr 1.500 «compound distillers». Im krassen Gegensatz dazu gab es nur etwa zwei Dutzend Großdestillen, von denen man Getreidealkohol beziehen konnte. Trotzdem verdienten alle an den über 20 Millionen Litern Gin, die jährlich destilliert wurden, ­weshalb jetzt auch Monarchie und Regierung mitkassieren wollten. So wurde noch im selben Jahr der erste «Gin Act» erlassen, welcher hohe Lizenzgebühren und Steuern für aromatisierte Spirituosen einführte; Rohalkohol blieb nach wie vor steuerfrei. ­Damit wurden legitime Destillateure und Händler zur Kasse gebeten, was die meisten zu illegalem Destillieren trieb. In Teilen Londons, wie dem damaligen Armenviertel St. Giles, verkaufte um 1730 etwa jedes dritte Haus Gin. Mit der Illegalität kam unweigerlich auch der Absturz in der ­Qualität, und für Gin ­kamen Spitznamen wie zum Beispiel Madame Geneva, Mother’s Ruin oder Ladies Delight in Umlauf, die die Identität des Gins verkleideten.

      Trotz der neuen finanziellen Bürden stieg in London die offiziell produzierte Menge an Gin im Jahr 1733 auf rund 40 Millionen Liter. Bei nur etwa einer halben Million Einwohnern entsprach das einem durchschnittlichen Pro-Kopf-Jahreskonsum von 70 bis 80 Litern. Und das ­beinhaltete noch nicht die Mengen an illegal verkauftem Gin! Die Behörden wurden ­zunehmend auf den sozialen Verfall der ärmeren Bevölkerung Londons durch weitverbreiteten, maßlosen Spirituosenkonsum aufmerksam und erkannten die Lücken des Gin Acts von 1729, sodass er aufgehoben und durch den zweiten Gin Act ersetzt wurde. Dieser legte fest, wer ab ­sofort nur noch Gin verkaufen durfte, und schloss zum ­Beispiel Straßen­verkäufer und normale Läden aus. Dieses nicht durchdachte Gesetz ließ weitere Lücken klaffen und so ging das Gin-Trinken ungehindert weiter.

      Januar 1734. Judith Defour, Arbeiterin in einer Spinnweberei, holte ihre 2-jährige Tochter Mary vom kirchlichen Armenhaus, in dem das Kind schon seit Wochen in Obhut genommen wurde, für einen Besuchstag ab. Man hatte Mary schick zurechtgemacht und mit einem Petticoat, Strümpfen und Jacke ausstaffiert. Judith gab Mary jedoch nicht wie verabredet am Nachmittag wieder ab, denn etwas Grauenvolles geschah: Judith zog der kleinen Mary auf einem Feld die Kleider aus, um sie zu verscherbeln und vom Erlös ein paar Gläser Gin kaufen zu können. Als das Mädchen in der Kälte laut weinte, erdrosselte Judith ihre ­Tochter, ließ sie im Graben liegen und ging in eine Kaschemme, um Gin zu trinken. Dieser schockierende Vorfall rief tiefe Bestürzung in ganz ­London hervor und wurde von den Gin-Gegnern als abscheuliches ­Beispiel für Gewalt angeführt, die durch Alkoholsucht hervorgerufen wird, um im Parlament Gehör für ihren Anti-­Gin-Kreuzzug