Karsten Sgominsky

Gin - Alles über Spirituosen mit Wacholder


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horrende Steuern und zusätzlich einschränkende Konditionen beinhaltete. Der verfolgte Zweck war, die ­Herstellung und den Konsum von Spirituosen durch drastische Auf­lagen stark zu minimieren, aber diese Maßnahme kam effektiv einem Verbot des Gins gleich. Das verursachte landesweiten Aufruhr (bis hin zu vereinzelten Unruhen) und für «Madame Geneva» wurden gespielte Begräbnis­zeremonien zelebriert.

      Die Undurchführbarkeit dieses dritten Gin Acts wurde sehr bald offensichtlich. Die Kriminalität blieb unvermindert, Korruption stand auf der Tagesordnung und illegales Destillieren nahm überhand, da es an organisierten Strukturen fehlte, diesem auf die Schliche zu kommen und es nur durch Informanten aufgespürt wurde, die sie – falls nicht be- oder erstochen – verraten würden. Deshalb hob man diesen völlig missglückten Versuch von einem Gin Act 1742 wieder auf.

      Ein Jahr später wagte man mit dem vierten Gin Act einen neuen Versuch, die Übel zu bekämpfen und gleichzeitig viele dringend benötigte Steuergelder einzunehmen. Aber selbst mit dieser neuen Gesetzgebung, die Abgaben und Einschränkungen vernünftiger gestaltete, war keine entscheidende Besserung der durch die «Gin Craze» («Gin-Begeisterung» bzw. «Gin-Verrücktheit») herbeigeführten ­Probleme zu verzeichnen. London produzierte in diesem Jahr eine ­exzessive Menge Gin: weit über 80 Millionen Liter.

      Rettung nahte 1751. In Petitionen an das Parlament und auf Anraten ärztlicher Gutachterkommissionen, die umgehendes Einschreiten forderten, traten der «Tippling Act» und weitere Verordnungen in Kraft, die den Gin Act von 1743 in akzeptablen Maßen verschärften. Produktion, Verkauf und Verzehr wurden durch Steuererhöhungen und vor allem durch die Einführung von Schanklizenzen besser kontrolliert als je zuvor.

      Einen nicht geringen Anteil an diesem letzten Gin Act, der die stark ­betroffenen Teile Londons wieder auf einen zivilisierten Weg bringen ­sollte, hatten Künstler und Publizisten, die auf ihre Weise die unhalt­baren Zustände dokumentierten. Der englische Maler und Grafiker William Hogarth hielt die Auswüchse und Destruktion des Alkoholismus in seinem Stich «Gin Lane» von 1751 fest. In der Mitte des Bilds sieht man eine entmenschte Mutter, die stumpfsinnig in der Tabakdose scharrt und ­dabei achtlos ihr Kind fallen lässt. Das Schild über der ­Eingangstür zur Kellerkneipe titelt: «Drunk for a Penny / Dead Drunk for Two Pence / Clean Straw for Nothing» («Betrunken für einen Penny / Sturzbetrunken für zwei Pence / Sauberes Stroh umsonst»). Ein sehr kraftvolles Stück Propaganda, das seine politische Wirkung nicht verfehlte.

      «Gin Lane» von William Hogarth, 1751

      Gin Craze – ganz London im Delirium?

      Die Kapitelüberschrift spiegelt den Eindruck wider, den man durch die Beschreibungen der Londoner «Gin Craze»-Periode in der Regel gewinnt. Dieses Bild muss man jedoch relativieren.

      London war kein einziger Moloch von Trinkern und Kriminellen aller Couleur. Diese Trunksucht und der damit einhergehende krasse soziale Verfall mit einem allgegenwärtigen «Gevatter Tod» spielten sich ­größtenteils in den Armenvierteln Londons ab und betrafen Männer wie Frauen sowie leider auch Kinder. Durch das plötzliche Fehlen jeglicher Qualitäts­standards und Kontrollorgane konnte jeder – selbst der gröbste Dilettant – Gin destillieren. Der oftmals auf plumpe Weise produzierte Gin war ungenügend rektifiziert und enthielt zumeist alles andere als ­Kräuter, Beeren und Gewürze. Auch wir haben uns gefragt, was denn ­verwendet wurde, das den Gin der Unterschicht so gesundheits­schädlich machte, und wurden unter anderem beim Weinessighersteller Beaufoy, James & Co. fündig, der eine «Rezeptur» jener Zeit wie folgt beschreibt:

       Schwefelsäure

       Zitronenwasser

       Mandelöl

       Rosenwasser

       Terpentinöl

       Alaun

       Weinalkohol

       Salz von Weinstein

       Stangenzucker

      Der Quäker Mark Beaufoy, der um 1741 zum Partner der Firma wurde, fuhr in seinen frühen Jahren nach Holland, um die Essigbraumethoden im kontinentalen Europa zu studieren. Man sagt, er lehnte Gin-Destilla­tion ab, nachdem er Hogarths «Gin Lane» sah und der verwendeten Substanzen gewahr wurde.

      Gottlob gab es im Gegensatz zu diesen gewissenlosen Kreaturen, die todbringenden Alkohol verschacherten, auch respektable Destillateure, die eine Berufsehre und ein Gewissen hatten. Sie übten ihr Handwerk standesgemäß aus und stellten ausrektifizierten und vernünftig aromatisierten Gin bzw. Geneva her, den sich allerdings fast ausschließlich nur die Herrschaften der oberen Schichten leisten konnten. Wenn auch etwas spät, so legte Ambrose Cooper mit seinem Werk «The ­Complete Distiller» («Der ausgereifte Destillateur») von 1757, in dem er wie zuvor schon Beaufoy auch Methoden und Zutaten anprangert, doch Zeugnis für die Existenz aufrichtiger Destilliermeister ab.

      «Beer Street» von William Hogarth, 1751

      Ohne Zweifel nehmen sich die Sterbestatistiken aufgrund des maß­losen Alkoholkonsums während der «Gin Craze» katastrophal aus, dennoch muss das durch den Pöbel entstandene Image Londons im Gesamt­kontext gesehen werden. Man kann getrost davon ausgehen, dass sich der Großteil der Londoner Bevölkerung zu benehmen wusste und sich überwiegend an Bier, Wein, Likören und verhältnismäßig ­gutem Gin ­labte. Diese Seite Londons wird sehr gut durch einen weiteren Stich von William Hogarth illustriert. Zeitgleich mit «Gin Lane» brachte er nämlich das Pendant «Beer Street» heraus. Dort sieht man die ­Leute glücklich, sorglos und geschäftig. Auch wenn diese Darstellung etwas idealisiert sein mag, so brachte sie doch eines ganz deutlich zum Ausdruck: Das Leben der «Beer Street» wollen wir haben, das der «Gin Lane» jedoch nicht.

      Gin wird salonfähig

      Als Englands Ernte 1757 ausfiel, wurde vom Parlament ein vorüber­gehendes Verbot für das Destillieren von Getreide erlassen. Das war der Anfang vom Ende der «Gin Craze», denn auch die darauffolgenden Jahre brachten Missernten.

      Im Zuge der Gesetzesvorlage von 1760 über die Wiedereinführung des Destillierens aus Getreide wurden die Steuerabgaben für Branntweine auf ein solches Maß erhöht, dass Gin nicht mehr billig angeboten ­werden ­konnte. Das Ungeheuer «Trunksucht» war dadurch so gut wie gebannt und ­Firmen wie Gordon’s, Booth’s, Nicholson’s, Burnett’s und Boord’s ­standen an vorderster Front bei der Etablierung einer anständigen ­Destillierindustrie, die neue Standards setzte und Qualitäts-Gin produzierte. Im Handelsregister von 1794 werden in London etwa 40 Destillen, Mälzereien und Aromatiseure gezählt, die 90% des gesamten Gins in England produzieren.

      Gleich zu Beginn des 19. Jahrhunderts wird in Europa viel experi­mentiert und entwickelt, was eine erste Industrialisierung der Destillation auf den Weg bringen sollte. Unter anderem griff der Franzose ­Jean-Édouard Adam (1768 – 1807) das längst in Vergessenheit geratene Konzept der «Dampfdestillation» des deutschen Chemikers und Erfinders Johann Rudolph Glauber (1604 – 1670) – mehr bekannt durch sein «Glaubersalz» – neu auf und entwickelte es entscheidend weiter.

      Durchaus von Jean-Édouard Adam inspiriert, ließ sich der deutsche Kaufmann Johann Heinrich Leberecht Pistorius (1777 – 1858) im März 1817 in Preußen seine Erfindung eines Doppelbrennapparats paten­tieren. ­Dieser «Pistoriussche Brennapparat» ermöglichte die Destillation von Alkohol aus einer Kartoffelmaische in nur einem einzigen Destillier­durchgang. Dem Iren Aeneas Coffey (1780 – 1852) wurde am 5. August 1830 in London ein Patent für seinen Brennapparat («Coffey Still») erteilt. Es war keine Neuerfindung Coffeys, sondern eine verbesserte Version des ein paar Jahre zuvor vom Schotten Robert Stein ent­wickelten kontinuierlichen Brennverfahrens, das wesentlich auf Pistorius’ ­Erfindung basiert. Dieses neue Brennverfahren kam anfangs in Whiskey-Destillen zur Anwendung, wurde aber schon bald darauf auch von Gin-Herstellern übernommen, weil mit dieser Methode die Basisspiri­tuose gegenüber dem herkömmlichen «Pot Still»-Verfahren wesentlich kosteneffektiver