Die (d.i. Mira Alfassa) Mutter

Der Sonnenweg des Yoga


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schlecht wären – denn sie mögen für einen anderen Menschen in einer anderen Umgebung gut sein – sondern weil sie zu jenen Antrieben und Kräften gehören, die, unerleuchtet und unwissend, dir auf deinem Weg zum Göttlichen im Wege stehen. Alles Begehren, ob gut oder schlecht, fällt in diese Darstellung: denn das Begehren selbst entspringt einem unerleuchteten, vitalen Wesen und seiner Unwissenheit. Andererseits musst du alle Regungen annehmen, die dich in Kontakt mit dem Göttlichen bringen. Aber du stimmst ihnen zu, nicht weil sie in sich selbst gut wären, sondern weil sie dich zum Göttlichen leiten. Akzeptiere also alles, was dich zum Göttlichen führt. Weise alles zurück, was dich von ihm fortbringt, aber sage nicht, dies ist gut oder jenes ist schlecht oder versuche nicht, anderen deine Auffassung aufzunötigen; denn das, was du als schlecht bezeichnest, mag für deinen Nachbarn, der nicht versucht, das Göttliche Leben zu verwirklichen, genau das Richtige sein.

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      Hat uns die Moral nicht geholfen?

      Liebe Mutter, hat uns die Moral nicht geholfen, unser Bewusstsein zu erweitern?

      Das hängt von den Leuten ab. Es gibt Leute, denen sie dienlich und andere, für die sie das überhaupt nicht war.

      Moral ist etwas ganz und gar Künstliches und Willkürliches und in den meisten Fällen, selbst bei den Besten, hemmt sie echte spirituelle Bemühung durch eine Art moralischer Zufriedenheit, man sei auf dem rechten Weg und ein wahrer Gentleman, man erfülle seine Pflicht und komme allen moralischen Erfordernissen des Lebens nach. Dann ist man so selbstzufrieden, dass man sich nicht mehr von der Stelle rührt oder irgendeinen Fortschritt macht.

      Es ist für einen tugendhaften Mann sehr schwierig, den Pfad Gottes zu betreten. Das ist schon oft gesagt worden, aber es ist vollkommen richtig, denn er ist in höchstem Maße selbstzufrieden, er glaubt, er hat verwirklicht, was er verwirklicht haben sollte. Ihm fehlt entweder die Sehnsucht oder sogar jene einfache Demut, die uns nach Fortschritt verlangen lässt. Weißt du, einer, den wir hier als einen Weisen betrachten, hat es sich gewöhnlich in seiner Tugendhaftigkeit sehr bequem eingerichtet und denkt niemals daran, da herauszukommen. Das entfernt dich meilenweit von göttlicher Realisation.

      Bis man das innere Licht gefunden hat, hilft es aber wirklich, für sich selbst eine bestimmte Anzahl Regeln aufzustellen, die natürlich nicht zu starr und unveränderlich sein sollten, jedoch genau genug, uns davor zu bewahren, vollständig vom rechten Pfad abzuweichen oder nicht wiedergutzumachende Fehler zu begehen – Fehler, unter deren Folgen wir unser ganzes Leben leiden.

      Dazu ist es gut, in sich selbst einige Prinzipien zu errichten, die jedoch jeweils im Einklang mit der eigenen Natur stehen sollten. Wenn man sich eine soziale, kollektive Regel zu eigen macht, wird man sofort zu einem Sklaven dieser Vorschrift, und das hindert uns fast vollständig daran, irgendeine Anstrengung zu unserer Umwandlung zu machen.

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      Der Menschheit dienen

      Warum möchtest du der Menschheit dienen, welche Vorstellung steckt dahinter? Es ist Ehrgeiz, damit du ein großartiger Mensch unter den Menschen wirst. Das ist schwer zu begreifen?... Das kann ich verstehen!

      Das Göttliche ist überall. Deshalb, wenn man der Menschheit dient, dient man dem Göttlichen, ist das nicht so?

      Das ist fantastisch! In dieser Angelegenheit ist es das Einleuchtendste zu sagen: „Das Göttliche ist in mir. Wenn ich mir selbst diene, diene ich ebenso dem Göttlichen!“ Tatsächlich ist das Göttliche überall. Das Göttliche wird Sein Werk sehr gut ohne dich tun.

      Ich sehe ganz gut, dass du mich nicht verstehst. Aber wirklich, wenn du begreifst, dass das Göttliche da ist, in allen Dingen, worin mischst du dich ein, indem du der Menschheit dienst? Um das zu tun, musst du besser wissen als das Göttliche, was für sie getan werden muss. Weißt du besser als das Göttliche, wie man ihr dient?

      Das Göttliche ist überall. Ja. Dinge scheinen nicht göttlich zu sein... Was mich betrifft, so sehe ich nur eine Lösung: Wenn du der Menschheit helfen möchtest, gibt es nur eines zu tun, das heißt nimm dich so vollständig wie möglich und bringe dich dem Göttlichen dar. Das ist die Lösung. Denn auf diese Weise wird wenigstens die physische Realität, die du verkörperst, fähig, dem Göttlichen ein wenig ähnlicher zu werden.

      Man sagt uns, das Göttliche ist in allen Dingen. Warum ändern sie sich nicht? Weil das Göttliche keine Erwiderung erfährt, es spricht nicht alles auf das Göttliche an. Man muss die Tiefen des Bewusstseins erforschen, um das zu erkennen. Was willst du tun, um der Menschheit zu dienen? Den Armen zu essen geben? – Du kannst Millionen von ihnen ernähren. Das wird keine Lösung sein, dieses Problem wird dasselbe bleiben. Den Menschen neue und bessere Lebensbedingungen schaffen? – Das Göttliche ist in ihnen, wie kommt es, dass die Dinge sich nicht wandeln? Das Göttliche wird den Zustand der Welt besser kennen als du. Was bist du? Du stellst nur ein klein wenig Bewusstsein und ein klein wenig Materie dar, das ist es, was du „ich selbst“ nennst. Wenn du der Menschheit helfen möchtest, der Welt oder dem Universum, dann ist das einzige, was du tun kannst, dieses kleine Etwas vollständig dem Göttlichen hinzugeben. Warum ist die Welt nicht göttlich?... Es ist offensichtlich, dass die Welt nicht in Ordnung ist. Deshalb ist die einzige Lösung des Problems die, abzugeben, was dir gehört. Gib es vollständig, ganz und gar dem Göttlichen; nicht nur deinetwillen, sondern auch für die Menschheit, für das Universum. Es gibt keine bessere Lösung. Wie willst du der Menschheit nützen? Du weißt nicht einmal, was sie braucht. Vielleicht weißt du noch weniger, welcher Macht du dienst. Wie kannst du irgend etwas ändern, ohne dich selbst wirklich geändert zu haben?

      In jedem Fall bist du dazu nicht mächtig genug. Wie kannst du erwarten, einem anderen Beistand leisten zu können, wenn du nicht über ein höheres Bewusstsein verfügst als er? Es ist eine solch kindische Idee! Nur Kinder sagen: „Ich werde ein Wohnheim aufmachen, einen Kinderhort bauen, Armen Suppe austeilen, dieses Wissen verkünden, jene Religion verbreiten...“. Das geschieht nur, weil du dich selbst für besser hältst als andere, glaubst, du weißt besser, was sie sein oder tun sollten. Das ist es, was Der-Menschheit-dienen bedeutet. Du möchtest das alles fortsetzen? Es hat die Dinge nicht viel verändert. Der Menschheit helfen heißt nicht, ein Krankenhaus oder eine Schule zu eröffnen...

      Du kannst Millionen Krankenhäuser einrichten, das wird die Leute nicht davor bewahren, krank zu werden. Im Gegenteil, dazu werden sie dann jede Gelegenheit und jede Ermunterung haben. Wir sind durchdrungen von Vorstellungen dieser Art. Das beruhigt unser Gewissen: „Ich bin auf diese Welt gekommen, ich muss anderen helfen.“ Man sagt zu sich selbst: „Wie selbstlos ich bin! Ich werde der Menschheit helfen.“ Aber das ist nichts als Egoismus.

      Tatsächlich ist das erste menschliche Wesen, das dich angeht, du selbst. Du möchtest das Leiden vermindern, aber wenn du nicht die Eigenschaft zu leiden in ein von Gewissheit getragenes Glücklichsein verwandeln kannst, wird sich die Welt nicht ändern. Sie wird immer dieselbe bleiben, wir drehen uns im Kreis – eine Zivilisation folgt der anderen, eine Katastrophe der anderen. Aber die Sache wird nicht anders, denn es fehlt etwas, etwas ist nicht da, das ist das Bewusstsein. Das ist alles.

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      Religion

      Religion gehört der höheren Ebene des menschlichen Mentals an. Es ist die Bestrebung des höheren menschlichen Mentals, sich so weit, wie es in seiner Macht liegt, auf etwas jenseits seiner selbst zuzubewegen, etwas, das die Menschheit Gott oder Geist oder Wahrheit oder Glaube oder Wissen oder das Unendliche nennt, eine Art Absolutes, welches das menschliche Mental nicht erfassen kann und dennoch zu erfassen sucht. Religion mag in ihrem allerletzten Ursprung göttlich sein; in ihrer gegenwärtigen Natur ist sie nicht göttlich, sondern menschlich. Wir sollten wahrlich eher von Religionen sprechen als von Religion; denn es gibt viele von Menschen erschaffene Religionen...

      Der erste Hauptglaubenssatz dieser bestehenden herkömmlichen Religionen