Anna-Lena Hees

Das Gemälde von Pfalzel


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Die zwei Figuren standen neben dem Pavillon und starrten in Richtung Mosel. Ihre Gesichter konnte man weniger erkennen. Dennoch war zu sehen, dass es sich bei einer der Gestalten um eine junge Frau im weißen Gewand handelte. Ihr Kleid war mit roten Flecken besprenkelt und ließ annähernd vermuten, um welch grausiges Verbrechen es sich hierbei handelte. Die Tatsache, dass beide Figuren in einer Beziehung zueinanderstanden und die Sense ins Auge des Betrachters stach, unterstrich das pure Entsetzen, dass diesem Kunstwerk zu Grunde lag. Dieter erschauderte, und dennoch gelang es ihm nicht, seinen Blick von dem Gemälde abzuwenden.

      

       Kapitel 1

      Neblig und kalt war es an diesem Tag kurz vor Weihnachten, an dem Markus mit seinem Onkel Klaus durch den Quinter Forstwald marschierte.

      Klaus war ein etwa 60-jähriger, kräftiger Mann mit weißem Bart und genauso weißem Haar. Er war Jäger und hatte heute seinen Neffen mit zur Jagd genommen. Ein paar Wildschweine wollten sie gemeinsam erlegen. Es waren zu viele unterwegs. Manchmal kamen sie in die umliegenden Dörfer und richteten Unheil an. Es war also an der Zeit, die Zahl dieser Tiere etwas zu reduzieren.

      Markus war noch nie mitgekommen, wenn sein Onkel jagen ging. Endlich gab es diese Chance, die er gerne wahrgenommen hatte. Ein paar Grundtechniken zu lernen, würde ihm ganz sicher nicht schaden.

      So stapften die Männer durch den Wald, dick eingepackt in Wintermantel, Mütze, Schal und Handschuhe. Das Jagdgewehr hatte Klaus unter seinen Arm geklemmt. An seiner anderen Seite hakte sich Markus ein. Der junge Mann war von schlanker Statur und hatte einen runden Kopf mit dunklem Haar. In seinem runden Gesicht saßen zwei ebenfalls dunkle Augen in tiefen Augenhöhlen. Er trug einen Stoppelbart, an dem er gerne kratzte. Seine Bäckchen waren an diesem Tag rot von der Kälte. Markus war zudem nicht sonderlich schnell, daher war es anstrengend für ihn, mit seinem Onkel Schritt halten zu können. Doch jetzt ging es, indem er sich einfach ziehen ließ.

      »Mensch, Markus!« Klaus schüttelte den Kopf. »Dass du einfach nicht schneller gehen kannst. Immer musst du gezogen werden.«

      »Ach, Onkel Klaus! Dafür kann ich doch nichts.« Markus seufzte. Viel zu schnell kam er aus der Puste und musste sich ausruhen. Doch es war nicht nur das, was ihn an diesem Tag störte. Die Mütze rutschte ihm ständig ins Gesicht, und er musste sie mit der anderen Hand immer wieder hochziehen.

      Klaus musterte seinen Neffen kritisch. Er wünschte sich insgeheim, ihn doch nicht mitgenommen zu haben. Markus konnte doch machen, was er wollte. Immerhin war er mit seinen 27 Jahren ein erwachsener Mann, sollte man den Eindruck haben. Doch der Schein trog. Er brauchte viel Aufmerksamkeit, da er seit Geburt an Autist war; ja, ein Mensch, der in diesem Alter anders war als die meisten und mit einigen Problemen zu kämpfen hatte. Er war sehr schüchtern, dabei konnte er sich manchen Menschen, denen er vertraute, auch vollständig öffnen. Trotzdem durfte man ihn keine Minute aus den Augen lassen, da er hin und wieder zu Handlungen fähig war, die er nicht kontrollieren konnte. Er gewann vertrauenswürdige Menschen in seiner Umgebung schnell lieb und bekam von dem ein oder anderen nicht genug. Da überschritt er schnell Grenzen, die er als solche nicht betrachtete. Oft drang er in das Privatleben dieser Menschen ein, ohne es wirklich zu wissen.

      Zum Glück gab es Onkel Klaus, der nicht einmal im Traum daran dachte, Markus im Stich zu lassen. Er war zu gerne für seinen Neffen da, egal, in welcher Situation der sich gerade befand.

      Um ihn ein wenig von seinen Problemen abzulenken, wollte Klaus ihm etwas erzählen. Er hatte von einem Gemälde gehört, von dem er Markus gerne berichten würde, da er wusste, dass sein Neffe sich sehr für historische Malereien interessierte. Zunächst kramte er in seinem Gedächtnis nach den richtigen Worten.

      »Du, Markus, soll ich dir etwas erzählen?«

      »Was denn?«

      »Beantworte mir dafür diese Frage: wo hast du mich schon öfter mal besucht?« Klaus betrachtete Markus eine Weile.

      »In Pfalzel! Warum fragst du?«

      »Darum geht es!«, setzte Klaus an und nickte. Dann begann er mit dem eigentlichen Teil der Geschichte. So berichtete er ihm von einem wertvollen Gemälde, von dem er in der Zeitung gelesen hatte. »Diese Stimmung auf dem Bild … sie ist so bedrückend. Aber andererseits passt dieses Werk in diese Zeit. Es soll eine Situation in der Neujahrsnacht zeigen. Man weiß bis heute nicht, welche es ist. Es wird aber gemunkelt, dass sich hinter dem Gemälde ein Verbrechen aus vergangener Zeit verbirgt.«

      »Ehrlich? Wo findet man das Bild denn? Kann man das anschauen? Wer hat es gemalt?« Markus war sehr interessiert an der Berichterstattung seines Onkels. Das Bild interessierte ihn ebenfalls. Er wollte es unbedingt selbst sehen.

      »Lies die Zeitung, mein Lieber. Es stammt von einem Maler namens Alexander Brock. Vielleicht sagt dir der Name etwas. Das Bild selbst findet man in Pfalzel. Ich weiß allerdings auch nicht, wo genau«, gab Klaus zurück. Er ahnte noch nicht, dass Markus‘ Fragerei einen ganz anderen Hintergrund hatte.

      

       Kapitel 2

      Die Geschichte über das Bild, von dem sein Onkel Klaus erzählt hatte, ging Markus nicht mehr aus dem Kopf. Das Gemälde solle zwei Figuren auf der Wallmauer des Trierer Stadtteils Pfalzel zeigen, der gleichzeitig den Beginn eines neuen Jahres erlebte. Klaus hatte Recht behalten. Nach dem Tag im Wald hatte Markus keine ruhige Minute mehr gefunden. Zu groß war das Verlangen, etwas über dieses Gemälde herauszufinden. Im Zeitungsartikel fand er schließlich ein Foto des Ortsvorstehers, der das Bild stolz präsentierte. Markus versuchte, mehr darauf erkennen zu können. Nur schemenhaft waren die Gestalten wahrzunehmen. Das Zeitungsfoto war zu klein, um mehr auf dem Werk Alexander Brocks sehen zu können. Markus war ein wenig enttäuscht darüber. Dennoch stand für ihn fest, dass er versuchen wollte, an das Bild zu kommen. Vielleicht war das auch schon vor der Eröffnung der Ausstellung möglich. Markus verspürte auf einmal den riesigen Wunsch, mehr über die versteckte Nachricht auf dem Bild herauszufinden. Er wollte nichts unversucht lassen. Er hielt es für möglich, das Verbrechen aus der damaligen Zeit selbst aufzuklären, obwohl er es sich auf der anderen Seite nicht vorstellen konnte. Die Tatsache, dass dieses Verbrechen nun genau hundert Jahre zurücklag, verstärkte sein Interesse an dem Gemälde. Der Gedanke daran verfolgte ihn schließlich bis in seine Träume. So sah er im Schlaf Bilder von nächtlichen Streifzügen durch Pfalzel, immer auf der Suche nach diesem einmaligen Kunstwerk. Die Idee, zu später Stunde durch die malerischen Straßen zu ziehen, fand er ziemlich verlockend. Markus konnte von Glück reden, dass sein Onkel in Pfalzel wohnte. So würde er sich unter dem Vorwand, die Zeit mit ihm verbringen zu wollen, in Pfalzel einquartieren. Zwar wohnte er mitten im Zentrum von Trier und hatte es nicht sehr weit bis Pfalzel, doch er fand, dass es seine Suche nach dem Bild erleichterte, wenn er ein paar Tage vor Ort blieb. Da er ohnehin gerade Urlaub hatte, war es für ihn kein Problem, einige Tage von zuhause fort zu sein. Bereits jetzt freute er sich auf den Aufenthalt in Pfalzel. Was er aber tatsächlich vorhatte, verriet er niemandem. Er nahm sich vor, rechtzeitig von seinen Streifzügen zurück zu sein, sodass Klaus nichts von seiner Abwesenheit mitbekam. Ebenso plante Markus, die Suche nach dem Gemälde kurz nach Weihnachten zu starten.

      An jenem Tag, an dem er diesen Entschluss fasste, notierte er seine Ideen auf einem Zettel und steckte ihn in die Hosentasche. Er würde Onkel Klaus an Heiligabend fragen und am zweiten Weihnachtsfeiertag ins Pfalzeler Quartier ziehen.

      Der Heilige Abend wurde im engsten Familienkreis gefeiert. Klaus war natürlich auch dabei. So gesellte sich Markus in einem günstigen Moment zu seinem Verwandten und schaute ihm tief in die Augen. »Es war schön, als wir zusammen jagen gingen. Wir könnten doch mehr Zeit miteinander verbringen. Findest du nicht?«

      Klaus tat, als müsste er zunächst darüber nachdenken. Schließlich nickte er. »Was hast du dir denn genau darunter vorgestellt?«, fragte er.

      »Nun, ich habe gedacht, die Zeit bis zum Jahreswechsel bei dir zu verbringen. In Pfalzel. Es würde mir sehr gefallen. Erlaubst du das?« Markus schaute seinen Onkel flehend an. Zu