Anna-Lena Hees

Das Gemälde von Pfalzel


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auf den Kopf gestellt hatten. Klaus schüttelte hektisch den Kopf. »Nein, ich erwarte niemanden. Wir benötigen lediglich so viel, wie wir über Silvester und Neujahr auch verbrauchen. Sag aber, wie lange wolltest du tatsächlich bei mir bleiben?«

      »Ähm ...«, begann Markus, hielt dann aber inne, um nach den richtigen Worten zu suchen. »Ich dachte ja, dass ich bis Neujahr bei dir bleibe«, sagte er schließlich. Klaus nickte bloß und konzentrierte sich im Anschluss auf die weiteren Besorgungen, die noch zu erledigen waren. Mit Markus im Schlepptau nahm er weitere Geschäfte in Augenschein. Feuerwerksraketen hatten sie, nun wollten die beiden Männer noch einige Knabbereien für den langen Abend besorgen; immerhin nahmen sie sich vor, bis weit nach Mitternacht wachzubleiben. Den ganzen Nachmittag zogen sie durch die Stadt. Neben den Besorgungen für Silvester kehrten sie in Cafés ein und ließen es sich gut gehen. Erst gegen Abend kehrten sie nach Pfalzel zurück und machten es sich im urigen Wohnzimmer gemütlich. Es war nicht nur die Hirschtrophäe, die diesen Raum zu einem Jagdstübchen machte. An der Wand, gegenüber dem Sofa, stand zudem ein Kamin, in dem Klaus nun das Feuer entfachte. Markus hatte sich in eine Wolldecke gekuschelt und aß Butterkekse, die er zuvor im Vorratsschrank in der Küche fand. Dabei warf er hin und wieder einen nervösen Blick auf seine Armbanduhr. Bald würde die Nacht hereinbrechen, und damit war es an der Zeit, die Suche nach dem Bild fortzusetzen. Markus wusste schon genau, wo er weitermachen wollte: bei Julia, Hannah und Elena in der Eltzstraße. Die drei jungen Frauen ahnten noch nichts von dem nächtlichen Besucher, der alsbald in ihr Haus einsteigen würde. Sie hatten lediglich von Familie Hansen erfahren, was in der Pfalzeler Straße geschehen war. Julia und Hannah nahm es am meisten mit, und sie hofften, dass die Polizei den Täter so schnell wie möglich schnappen konnte.

      Wie in der vorigen Nacht stieg Markus gegen Mitternacht aus dem Bett und machte sich fertig. Schnell verließ er die Behausung und wanderte zunächst zum Amtshaus. Er überlegte, wie er am schnellsten zur Eltzstraße gelangen konnte. Wo war sie überhaupt? Dann fiel es ihm wieder ein. Klar, denn er war ja auf dem Weg zu Klaus hindurch gefahren. Er lief ein Stück des Weges in Richtung Pfalzeler Straße, doch statt in diese einzubiegen, ging er weiter geradeaus. Zwei Minuten später stand er vor dem Dönerladen in der Steinbrückstraße. Er blieb einige Sekunden stehen, um durchzuatmen. Sein Herz klopfte wild. Er spürte, dass er dem Haus von Julia, Hannah und Elena schon sehr nah war. Dennoch musste er noch einige Meter auf sich nehmen. Daher stapfte er wieder los und hatte kurz darauf die Straßenkreuzung erreicht, an der die Steinbrückstraße in die Eltzstraße mündete. Diese Straßenkreuzung nannte man hier auch den Pfalzeler Stern, da die Straßen, die dort abgingen, von oben wie die Zacken eines Sterns aussahen. Schnell wechselte Markus die Straßenseite, um möglichst nah an den Wohnhäusern entlang zu gehen. Hier schaute er auch auf jedes Klingelschild. Wo wohnten die Geschwister denn bloß? Noch hatte er das richtige Gebäude nicht gefunden. So suchte er weiter, bis er an der Einmündung zur Sirckstraße zum Stehen kam. Hier war es. Es war ein Einfamilienhaus, in dem Julia, Hannah und Elena vor einigen Monaten ihre WG gegründet hatten. Markus stand vor der Tür und überlegte, wie er am besten in das Haus gelangen konnte. Er schaute sich gründlich um. Neben dem Haus war eine Garage angebracht worden, auf deren Dach er nun zu steigen versuchte. Mit aller Kraft zog er sich hinauf, dann hatte er es geschafft. Eine Weile wanderte er umher, dann erblickte er den Garten. Er würde ganz einfach auf die Grünfläche hinunterspringen und von dort versuchen, in die Behausung zu gelangen. Er wagte sich an den Rand des Garagendaches und zögerte einen Moment. Sollte er wirklich? Ja, er musste es tun. Es ging ihm schließlich um das Gemälde, in dessen Besitz er immer noch kommen wollte. Er wartete, atmete durch, dann sprang er. Gekonnt landete er auf allen Vieren. Es schmerzte in der Hüfte, bedingt durch die harte Landung. Seine Hände brannten, doch das war es ihm wert. Er pirschte sich an das Haus heran. Zu seiner Freude war die Terrassentür nur angelehnt, vermutlich, weil die Hausbewohner vergessen hatten, sie zu schließen. Er stieß die Tür weiter auf und setzte einen Fuß auf die Diele. Dann den anderen. Schließlich stand er drin. Es war dunkel. Eilig wühlte er im Mantel nach einer Taschenlampe. Damit beleuchtete er den Raum. Er stand mitten im Wohnzimmer. Es sah ganz anders aus als bei Hansens. Diese Wohnung war ziemlich modern eingerichtet. Markus gefiel dieser Anblick. Offensichtlich handelte es sich bei den Bewohnern um sehr junge Frauen, die eine Vorliebe für moderne Möbel und damit einen guten Geschmack hatten, wie Markus feststellte. Ein schwarzes Ledersofa stand rechts neben der Terrassentür an der Wand. Vor der Couch, ziemlich mittig, war ein kleiner Glastisch platziert worden, und zu Markus’ linker Seite fiel ihm ein riesiger Flachbildschirm ins Auge. Der 27-Jährige staunte nicht schlecht darüber. Einige Minuten blieb er wie angewurzelt stehen, dann machte er sich auf den Weg, um auch die anderen Räume in Augenschein zu nehmen. Er durchwühlte all die hochmodernen Schränke und Kommoden; immer auf der Suche nach einem Hinweis auf das Bild. Nachdem die Sucherei im Erdgeschoss jedoch nicht zum gewünschten Erfolg geführt hatte, beschloss Markus, sich im Keller und in der oberen Etage umzusehen. Vorsichtig entriegelte er zunächst die Kellertür und stapfte hinunter in die düsteren Katakomben dieser Behausung. Im Tiefgeschoss war es kalt, und es roch nach Heizöl und jeder Menge Restmüll. Markus rümpfte die Nase. Ekelerregend. Es war das komplette Gegenteil zum Rest der Wohnung. Mit der Taschenlampe beleuchtete er die Umgebung und inspizierte jeden Winkel. Das Gemälde war nicht zu finden. Eine Weile überlegte er, wo es sonst sein mochte, da riss ihn ein leises Piepen aus den Gedanken. Zwei Ratten wuselten um seine Füße, augenscheinlich auf der Suche nach etwas zu fressen. Markus konnte gerade so einen Schrei unterdrücken. Er sprang auf die untere Kellerstufe und zitterte am ganzen Leib. »Was macht denn dieses Viehzeug jetzt hier?«, fluchte er leise. So konnte er der weiteren Arbeit doch niemals nachgehen. Er flüchtete die Treppe nach oben und schloss die Tür. Dann näherte er sich auf Zehenspitzen den Stufen, die ihn in die Schlafetage führten. Leise flitzte er hinauf und leuchtete auch hier die Umgebung ab. Er befand sich in einem schmalen Korridor direkt neben einer Tür, die nur angelehnt war und ins Badezimmer führte. Gegenüber sah er drei weitere Türen. Zwei Schlafzimmer, direkt nebeneinander, und ein kleiner Arbeitsraum. Markus bemühte sich, keinen Lärm zu machen, während er sanft die Klinke der Tür zum ersten Zimmer hinunterdrückte. Er gelangte in eines der Schlafzimmer. Es sah ein wenig aus wie im Hotel. Mit dem Kopfende zur Wand, stand in der Mitte des Raumes ein großes Bett, und ihm gegenüber befand sich ein gewaltiger Kleiderschrank, der sich ebenfalls der modernen Einrichtung anpasste. Markus starrte die ganze Zeit auf das Bett. Irgendetwas bewegte sich darin. Eine leise Frauenstimme war zu vernehmen. Dem Eindringling stockte der Atem, als ihn das Gefühl beschlich, dass die Person jeden Moment aufstehen würde. Zum Glück hatte diese sich nur gedreht und schlief weiter, nichts davon ahnend, dass ein nächtlicher Besucher in ihrem Zimmer stand. Markus atmete tief durch. Dann näherte er sich dem Kleiderschrank und öffnete dessen Türen. Die Kleidung war ordentlich zusammengelegt und nach Farben sortiert, wie er auf den ersten Blick feststellen konnte. Doch von dem Gemälde fehlte weiterhin jede Spur. Langsam schloss Markus die Schranktüren wieder und schaute sich weiterhin im Zimmer um. Dann hörte er noch einmal die Person im Schlaf reden. »Julia, bist du das?« Aha, es waren sogar zwei Frauen, die in dem Bett lagen. Markus schaute genauer hin. Er vermutete, dass es sich um Julia und Hannah Berg handelte. Von dem dritten Mädchen wusste er nichts. Als Julia sich bewegte und nach etwas zu tasten schien, wich Markus einen Schritt zurück. Beinah fluchtartig lief er in den Flur und suchte den nächsten Raum auf: Elenas Schlafzimmer. Er erschrak, als er das junge Mädchen im Bett liegen sah. Damit hatte er nicht gerechnet. Viel mehr glaubte er, dass nur Hannah und Julia in diesem Haus leben würden. Und jetzt das! Er brauchte einen Moment, bis er sich wieder fassen und ruhig atmen konnte. Auf Zehenspitzen schlich er dann durch den Raum. Elenas Bett stand in einer Wandnische. Unweit davon befand sich ein Schreibtisch aus dunklem Holz, davor ein großer Drehstuhl aus Leder. An der gegenüberliegenden Wand sah Markus einen genauso riesigen Schrank, wie er bei Julia und Hannah vorzufinden war. Es handelte sich um ein schwarzes Möbelstück mit Türen aus Holz. An der linken Tür war ein großer Spiegel angebracht worden, in dem sich Markus nun von allen Seiten bewunderte. Vorsichtig öffnete er anschließend die Schranktüren und schaute hinein. Hier herrschte ebenso eine erstaunliche Ordnung, wie Markus sie bereits in Julias und Hannahs Zimmer bemerkt hatte. Sanft betastete er den Stoff der Kleidung und ließ seine Nase an ihm entlang gleiten. Teilweise rochen die Shirts und Wollpullover stark nach Frauenparfum. Für einen Moment rümpfte Markus die Nase. So etwas war er nicht gewohnt. Er hatte keine Freundin, die sich tagtäglich mit Parfum einsprühte. Aufgrund seines Autismus