Richard A. Huthmacher

„… Gesetz und Freiheit ohne Gewalt“: „Die höchste Form der Ordnung“


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Kropotkin 39).

      Ein wichtiger deutscher Anarchist zu dieser Zeit war Otto Rinke, der (in der Schweiz) zusammen mit Kropotkin die Anarchistisch-Kommunistische Partei Deutscher Sprache gründete und als Vertreter des Anarchokommunismus gilt:

      „In wirtschaftlicher Hinsicht wird er [der kommunistische Anarchismus] keinen exklusiven Besitz an den Lebensgrundlagen zulassen, um sich selbst deren freie Nutzung zu erhalten. Das Monopol an Land, der Privatbesitz von Produktionsanlagen, von Vertriebs- und Kommunikationsmitteln kann daher in der Anarchie nicht toleriert werden. Die zum Leben nötigen Dinge müssen jedem frei zugänglich bleiben.

      Zusammengefaßt bedeutet kommunistischer Anarchismus also:

      Die Abschaffung von Regierung und von zwangausübender Autorität in all ihren Spielarten. Gemeinsames Eigentum – das heißt, freie und gleiche Beteiligung an der allgemeinen Arbeit und am allgemeinen Wohlstand.

      ´Sie sagen, daß die Anarchie Gleichheit in wirtschaftlicher Hinsicht garantiert´ ... ´Heißt das gleiche Entlohnung für alle?´

      Ja, das heißt es. Oder, was auf dasselbe hinausläuft, gleiche Beteiligung am öffentlichen Wohlstand. Denn, wie wir schon wissen, ist Arbeit eine Sache der ganzen Gesellschaft. Niemand kann alles durch eigenes Bemühen allein schaffen.

      Wenn also die Arbeit sozial ist, muß ihr Resultat, der erwirtschaftete Reichtum, selbstverständlich auch sozial sein und der Gemeinschaft gehören. Aus diesem Grund kann niemand einen Alleinbesitz von gesellschaftlichem Reichtum beanspruchen, in dessen Genuß ja alle gleichermaßen kommen sollen“ 40.

      Nach Erlass des Bismarckschen Sozialistengesetzes (Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie 41 42) wurden Sozialdemokraten und Anarchisten zunehmend in den Untergrund ge- und verdrängt, viele von ihnen wurden verhaftet, etliche entkamen ihrer Verhaftung durch Flucht ins Ausland. (Ich erlaube mir, meine Liebe, auf die heutigen Zensurbestrebungen, namentlich das Internet betreffend, hinzuweisen; sie sind, wenn wir nicht den – weit fortgeschrittenen – Anfängen wehren, Grundlage ähnlicher Gesetze wie derer, die Bismarck zwecks Unterdrückung anders Denkender implementierte.)

      Zum Anarchokommunismus / kommunistischen Anarchismus resp. zu dessen gesellschaftlichen Auswirkungen bis heute s. auch 43.

      Entgegen landläufiger Meinung waren anarchistische Gewalttaten (eher) selten (jedenfalls in Deutschland) 44 45; im kollektiven Gedächtnis blieb der misslungene Anschlag auf Kaiser Wilhelm I. bei der Enthüllungsfeier des Niederwald-Denkmals haften 46:

      „Am westlichen Ende des Taunus im Regierungsbezirk Wiesbaden zwischen der Wisper und dem Rhein erhebt sich ein mit prächtigen Buchen und Eichen gekrönter Bergrücken, genannt der Niederwald. An seinem Abhang liegen längs des Rheins die Weinberge von Rüdesheim und Aßmannshausen. Aus Anlaß des Deutsch-Französischen Krieges (1870 bis 71) wurde hier vom Dresdener Bildhauer Schilling ein ungemein imposantes Nationaldenkmal von gewaltigem Umfange errichtet. Auf einem durch Reliefs und allegorische Figuren geschmückten, 25 Meter hohen Sockel erhebt sich die hohe Gestalt der Germania ...

      Am 28. September 1883 wurde das Denkmal in Gegenwart des Kaisers Wilhelm I., des Kronprinzen, späteren Kaisers Friedrich, des Prinzen Wilhelm, jetzigen Deutschen Kaisers, sämtlicher deutschen Bundesfürsten und vieler anderer Fürstlichkeiten, sowie fast aller königlichen Prinzen, des damaligen Reichskanzlers Fürsten Bismarck, des Generalfeldmarschalls Grafen v. Moltke und fast aller preußischen Minister, Bundesratsmitglieder, sowie aller Botschafter und Gesandten fremder Staaten am Berliner Hofe und vieler Generäle in feierlichster Weise enthüllt.

      Die Festversammlung ahnte nicht, daß zwei Leute alle Vorbereitungen unternommen hatten, um, sobald die Hülle des Denkmals fiel, sämtliche Festteilnehmer mittels Dynamit in die Luft zu sprengen. Nur der furchtbare Regen, der tags vorher und die ganze Nacht hindurch sich über das Erdreich ergoß, hatte den teuflischen Plan vereitelt.“

      Indes: Es gibt durchaus Historiker und kundige Zeitzeugen, die – mit gutem Grund – von einer False-Flag-Operation ausgehen 47:

      „Die Geschichte von August Reinsdorf und der Niederwald-Verschwörung ist … geeignet, auf die Tätigkeit der politischen Polizei ein ... Licht zu werfen. Diese Institution, welche von allen freiheitlich gesinnten Menschen als eines der unwürdigsten und schmählichsten Hilfsmittel der Reaktion betrachtet werden muss, bediente sich gewisser Subjekte, deren Beruf es ist, unter der heuchlerischen Maske des Genossen ihre Opfer dem Zuchthause und dem Henker zuzuführen [Kommt mir, Liebste, irgendwie bekannt vor und erinnert mich, beispielsweise, an das „Celler Loch“ 48] …

      Am 7. Februar 1885 legte August Reinsdorf in Halle mutig sein Haupt auf den Block, nachdem ihm ein Anschlag missglückt war, der im Falle seines Gelingens die unabsehbarsten Folgen gehabt haben würde. Noch ist an der Niederwald-Verschwörung vieles nicht aufgeklärt, doch wirft auch das, was wir wissen, ein helles Licht auf die Zustände.

      Als 1878 das Sozialistengesetz beschlossen wurde, ahnten Fürst Bismarck und seine Leute nicht, dass einerseits die Sozialdemokratie, welche sie zu vernichten trachteten, es siegreich überwinden und aus ihm mit gewaltig verstärkter Kraft hervorgehen würde, und dass andererseits unter dem Gesetze und zum Teil infolge seiner der Anarchimus, der bis dahin in Deutschland kaum eine nennenswerte Rolle gespielt hatte, eine Macht werden würde …

      Friedrich August Reinsdorf wurde am 31. Januar 1849 … geboren … [Bald] wuchs in ihm ein glühender Hass gegen die sozialen und politischen Zustände, u. a. gegen die Gewaltpolitik Preussens … Eine heisse Liebe zum Volke beseelte ihn, doch ebenso gross war sein leidenschaftlicher Hass gegen die Reichen und Mächtigen. Ein wahrer, überzeugter Fanatiker, erwartete er nur vom gewaltsamen Umsturz Besserung der Lage und war in der Wahl der Mittel dazu ... wenig ängstlich …

      Am 28. September sollte auf dem Niederwalde das von Schilling geschaffene Nationaldenkmal, die Kolossalstatue der Germania, in Gegenwart des deutschen Kaisers, … enthüllt werden. Da nun trachtete Reinsdorf danach, gegen das Denkmal oder die Fürstenversammlung oder gegen beide zugleich einen Dynamitanschlag ins Werk zu setzen, ein Plan, der bei seinem Gelingen von der unberechenbarsten Tragweite sein konnte …

      Mit anderen aus … [seinem] Kreise besprach… [er] das weitere. Holzhauer besorgte das Dynamit, Küchler die Zündschnur, doch entgegen Reinsdorfs Auftrag keine wasserdichte Bickfordsche Kautschukschnur, sondern, um 50 Pfennig zu sparen, nur eine geteerte Hanfschnur. Und an letzterem Umstande soll das ganze Attentat gescheitert sein. Freilich wird dies unwahrscheinlich, wenn wir erwägen, dass Palm zur Reise der beiden 40 Mark beisteuerte, die tatsächlich aus dem Polizeifonds stammten. Auch ist wohl sicher, dass das Quantum Dynamit, dass sie mitnahmen, schwerlich zum Gelingen eines derartigen Werkes ausgereicht hätte …

      [Ihr] ursprünglicher Plan, das Dynamit unter dem Denkmal anzubringen, konnte nicht ausgeführt werden, weil noch am Sockel des letzteren gearbeitet wurde. So beschlossen sie, den Anschlag gegen den kaiserlichen Extrazug zu richten und erkoren eine Stelle, wo der Schienenstrang nahe an den Wald reichte. Ein Wasserdurchlass schien geeignet, das Dynamit aufzunehmen. Nach Rüdesheim zurückgekehrt, nahmen sie das Päckchen an sich, gingen gegen Abend wieder an Ort und Stelle und bargen es in jenem Durchlasse. Dass dieser genügend Raum dazu bot, beweist, wie klein das Quantum war. Selbst wenn die Explosion eingetreten wäre, so hätte sie wohl nur eine starke Erschütterung des Zuges, schlimmstenfalls eine Entgleisung herbeigeführt, schwerlich aber den Zug in die Luft gesprengt. Und dass Reinsdorf die Beiden nicht über die nötige Sprengmasse unterwiesen haben sollte, ist unwahrscheinlich ...

      Der Zug nahte. Wie es heisst, gab Küchler das Zeichen, Rupsch legte die Zigarre an die Schnur, und – alles blieb vergeblich. Kein Knall ertönte, und bald verkündete lautes Hurrahgeschrei und das Spielen der Nationalhymne, dass der Kaiser wohlbehalten am Ziele angelangt war. Mit Bestürzung gewahrten sie, dass die durchnässte Schnur kein Feuer gefangen hatte, gaben aber noch nicht alle Hoffnung auf, sondern entzündeten bei der Rückfahrt des Kaisers die Schnur an einer trockenen Stelle. Diesmal erglimmte sie, jedoch nur auf wenige Zentimeter und begann