hoch spannendes Material, das jetzt im Generallandesarchiv Karlsruhe erschlossen worden ist. Womit niemand gerechnet hatte: In den letzten zwei Metern, bis dahin ungeordneten Militärgerichtsakten verbarg sich eine Sensation.
Denn vor einem badischen Militärgericht, genau genommen vor der Kammer der vormaligen 29. Infanteriedivision in Freiburg, fand die Verhandlung wegen eines der bekanntesten politischen Morde der Revolution 1918/19 statt. Der Schriftsteller, Anarchist und zeitweilige Vordenker der Münchner Räterepublik, Gustav Landauer, war am 2. Mai 1919 im Gefängnis Stadelheim von württembergischen Soldaten misshandelt und erschossen worden. Doch die beiden Ermittlungs- und die Verfahrensakten verschwanden spurlos.
Nun sind alle drei Bündel wiederentdeckt worden. Die Ermittlungen des in München zuständigen Generalkommandos von Oven umfassen ausführliche Zeugenvernehmungen, insgesamt 165 Blatt. Eine weitere Akte enthält 23 Blätter mit Schreiben an den Haupttäter, einen württembergischen Ulanen namens Eugen Digele. Das dritte Bündel mit 66 Blatt enthält das Verhandlungsprotokoll und das Urteil gegen den Angeklagten …
Digele befand sich im Münchner Gefängnis Stadelheim; hierher war auch der verhaftete Landauer gebracht woden … Nun ging alles sehr schnell. Ein anwesender Offizier befahl: ´Halt! Der Landauer wird sofort erschossen.´ Laut einem Zeugen fragte Landauer daraufhin: ´Wollen Sie mich nicht verhören?´ Der Offizier antwortete nicht ihm, sondern seinen Soldaten: ´Nein, der Mann wird sofort erschossen!´
Drei Soldaten feuerten auf den Schriftsteller; laut dem ebenfalls im Karlsruher Bestand aufgetauchten Obduktionsprotokoll der exhumierten Leiche Landauers in die linke Augenhöhle, die Stirn rechts und in die linke Brust. Alle drei Schüsse waren tödlich. Digele drückte nach eigener Aussage als zweiter ab. Anschließend nahm er Landauers Uhr an sich …
Das Militärgericht der örtlich zuständigen 29. Infanteriedivision verhandelte gegen ihn, zeigte aber sehr viel Verständnis.
Der Mord wurde nicht bestraft, denn Digele berief sich auf die Umsetzung des Befehls eines unbekannten Offiziers. So erhielt der Ulane lediglich wegen gefährlicher Körperverletzung und Hehlerei eine Gesamtstrafe von fünf Wochen Haft, die durch die Untersuchungshaft im Wesentlichen abgegolten war.
Das Gericht stellte fest: ´So empörend die Misshandlung eines wehrlosen alten Mannes als Gefangenen ist, war doch zu Gunsten des Angeklagten strafmildernd zu berücksichtigen, dass der Angeklagte den Schriftsteller Landauer für den Urheber der Räterepublik und einen gewissenlosen Hetzer hielt.´“
„Am 7. Mai 1919 notierte der Dichter Erich Mühsam, der sich ebenfalls für die Revolution engagiert hatte, im Zuchthaus Ebrach in sein Tagebuch: ´Mit den Münchner Schandtaten hat Noske sogar seine Berliner Blutorgien übertroffen. Das ist die Revolution, der ich entgegengejauchzt habe. Nach einem halben Jahr ein Bluttümpel: mir graut.´
Sein Lübecker Landsmann Thomas Mann aber machte aus seiner Erleichterung keinen Hehl. ´Das Epp’sche Corps ist unter großem Jubel in bester Haltung eingezogen´, schrieb er am 5. Mai. ´Ich finde, daß es sich unter der Militärdiktatur bedeutend freier atmet, als unter der Herrschaft der Crapule [Schurken/Lumpen]´“ 75.
Ich kann nur anmerken, Liebste: Deutschland, deine „Intellektuellen“! Deutschland, deine Nobelpreisträger! Wie viel Schande haben sie über dich gebracht!
PARERGA UND PARALIPOMENA
Ausführungen zu Fußnote 8:
„In den berühmten ´Reden an die deutsche Nation´ (1808) entwickelt Fichte das Ideal eines auf philosophische Prinzipien gegründeten Staates, dessen höchstes Ziel die allgemeine Erziehung seiner Mitglieder zur Sittlichkeit im gemeinschaftlichen Handeln darstellt … Mit seinen Berliner Reden ..., in denen er – unter den Augen der französischen Besatzer – dem Widerstand gegen Napoleon und dem erwachenden nationalen Bewußtsein in Deutschland eine philosophische Begründung lieferte, errang Fichte (nachdem ihm auf dem Felde der theoretischen Philosophie Schelling längst den Rang abgelaufen hatte) bei seinen Zeitgenossen noch einmal große Anerkennung und Achtung.“
Ausführungen zu Fußnote 9:
„Die napoleonischen Eroberungskriege und der Haß, den sie in Deutschland hinterließen, gehören zur Entstehungsgeschichte des deutschen Nationalwahns. [E.A.: Ob der deutsche Nationalismus oder besser: Patriotismus über die Jahrhunderte hinweg größer war als der anderer Völker darf – so jedenfalls meine Sicht, Liebste – mit Fug und Recht bezweifelt werden; hierauf näher einzugehen würde indes den Rahmen vorliegender Abhandlung sprengen.]
Das entlastet nicht dessen spezifische Ingredienzien einer deutsch-romantischen Hysterie: die Mystifizierung der ´Volksseele´, der Geschichte und des Staates, der etwa in der Organismus-Metaphorik des Novalis als ´Makroanthropos´ erscheint.
Diese Hysterie ist es, was die Ablösung des deutschen Nationalgedankens von seinen universalistischen Ursprüngen im 18. Jahrhundert vorbereitet und ihn für die Zwecke des späteren machtstaatlichen Mißbrauchs aufnahmefähig macht. Immerhin ist in Fichtes ´Reden an die deutsche Nation´ von 1808 noch der Zwiespalt des einstigen Anhängers der Französischen Revolution spürbar, die Freiheitsidee des an Kant geschulten Philosophen.
Noch in seinem Todesjahr 1814 notiert er, ´der Einheitsbegriff des deutschen Volkes´ werde nicht ´eine gesonderte Volkseigenthümlichkeit zur Geltung bringen, sondern den Bürger der Freiheit verwirklichen´“ (Merkel. R.: Wahnbild Nation. In: DIE ZEIT Nr. 11/1990 vom 9. März 1990 [eig. Hervorhbg.], sicherlich unter dem Eindruck der Veränderungen in der Noch-DDR und der sich anbahnenden Wiedervereinigung geschrieben).
Ausführungen zu Fußnote 10:
„Den juridischen Staat bildet eine geschlossene Menge von Menschen, die unter denselben Gesetzen und derselben höchsten zwingenden Gewalt stehen. Diese Menge von Menschen soll nun auf gegenseitigen Handel und Gewerbe unter und für einander eingeschränkt, und jeder, der nicht unter der gleichen Gesetzgebung und zwingenden Gewalt steht, vom Antheil an jenem Verkehr ausgeschlossen werden, sie würde dann einen Handelsstaat, und zwar einen geschloßenen Handelsstaat bilden, wie sie jetzt einen geschlossenen juridischen Staat bildet“ (Johann Gottlieb Fichte: Der geschlossene Handelsstaat. Ein philosophischer Entwurf als Anhang zur Rechtslehre und Probe einer künftig zu liefernden Politik. Vorläufige Erklärung des Titels. Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 3. Berlin 1845/46, 388-389).
Anm.: Juristisch steht letztlich für die Anwendung positiven Rechts, juridisch hingegen bezeichnet Herleitung und Befolgung des Rechts als ethisch-moralische Kategorie resp. Verpflichtung.
Ausführungen zu Fußnote 11:
Die Sainst-Simonisten wollten u.a. das private Eigentum (weitgehend) in gesellschaftliches umwandeln und das Erbrecht abschaffen; nur durch eigene Leistungen solle man zu Besitz kommen (meritokratische Idee: Jeder nach seinen Fähigkeiten und jede Fähigkeit nach ihren Leistungen); namentlich durch den Marxismus verlor der Saint-Simonismus mehr und mehr an politischer Wirkkraft (s. beispielsweise: Strube, J.: Sozialismus, Katholizismus und Okkultismus im Frankreich des 19. Jahrhunderts. De Gruyter, Berlin/Boston, 2016; Bruhat, J.: Der französische Sozialismus von 1815 bis 1848. In: Bedarida, F., Bruhat, J. und Droz, J.: Der utopische Sozialismus bis 1848. Ullstein, Frankfurt/Berlin/Wien, 1974, 106-130).
Ausführungen zu Fußnote 12:
Bodenheimer, N.: Heine, Hegelianismus, Saint-Simonismus und „Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“. In: Kruse, J. A. (Hrsg.): Heine-Jahrbuch 2008. J.B. Metzler, Stuttgart, 2008, 221-233; hier: S. 221:
„Der unlängst erschienene Band ´Hegelianismus und Saint-Simonismus´ beinhaltet eine Fragestellung, die auch für die Heine-Forschung Relevanz und Potential bereit hält: Der Transfer philosophischer Inhalte zwischen Hegelianismus und den Saint-Simonisten ist nämlich für das Verständnis von Heines Annäherung an den und [seine] Auseinandersetzung mit dem Saint-Simonismus von großem Interesse. Das Ziel dieses Beitrags ist nicht, Heine mit Hilfe seiner ´Geschichte der Religion und Philosophie