Cowboys.
Im übrigen meinte Tucker, daß ´alle Versuche, das Laster zu unterdrücken, als an und für sich verbrecherisch´ anzusehen seien. Es sei ´das Recht des Trunkenbolds, des Spielers, des Wüstlings und der Dirne, ihr eigenes Leben zu führen´. Ob auch des Mörders, ließ er offen …
Noch weiter ging Michail Bakunin (1814 bis 1876), der schrieb, daß alle Menschen das Recht hätten, sich zu welchem Zweck auch immer zu ´assoziieren´ – ´selbst mit dem Ziel der gegenseitigen Korruption und der Ausbeutung der Harmlosen und Dummen, vorausgesetzt, daß diese nicht minderjährig sind´. Er wollte also sogar Verbrecher-Assoziationen zulassen. Jedermann habe die Freiheit, entweder ´ehrlich zu leben´ oder durch ´schimpfliche Ausbeutung´ …
Proudhons Sittenstrenge ist unter Anarchisten ein Sonderfall. William Godwin, der Anarchist der ersten Stunde, hielt den Geschlechtsverkehr für ´eine individuelle Angelegenheit´. Benjamin R. Tucker propagierte ´das Recht irgendeines Mannes und irgendeiner Frau, oder irgendeiner Anzahl von Männern und Frauen, sich auf so lange oder so kurze Zeitdauer zu lieben, wie sie können, wollen oder mögen´.
Dutschke meinte, die Frau könne sich für einen Mann oder zwei entscheiden. Cohn-Bendit schrieb: ´Sage nein zur Familie.´ Peter Brückner, der hannoversche Psychologie-Professor, hält die moderne Familie für neurotisiert, Herbert Marcuse sieht in ihr einen Herd von ´Brutalität, Grausamkeit und Aggression´“ (DER SPIEGEL 37/1973 vom 10.09.1973, S. 152-160: Anarchismus: Aufstand der Basis).
Der Schreiberling des Artikels ist namentlich nicht benannt; man sollte ihm, unbekannterweise, posthum, ein Denkmal setzen. Für Volksverhetzung. Für Hassrede. Und wie das Neusprech der Herrschenden heutzutage sonst noch heißt.
Mehr noch: Man sieht resp. liest, dass Lesen bildet. Den SPIEGEL lesen indes eher weniger. Bildet. Oder gar nicht. Bildet. Allenfalls ver-bildet: Eine freundliche Umschreibung von „verblödet“, zumindest „zu verblöden versucht“.
Jedenfalls erstaunt es, mit welcher Dummheit und Dreistigkeit das „Sturmgeschütz der Demokratie“ [wohlgemerkt: 1947 durch Gnade der Briten und mit deren Lizenz gegründet: „So wurden wir angefangen“ – Rudolf Augstein über den SPIEGEL-Beginn, https://www.spiegel.de/geschichte/rudolf-augstein-so-wurden-wir-angefangen-70-jahre-spiegel-a-1131352.html, Abruf am 12.10.2019], mit welcher Dummheit und Dreistigkeit – wohlgemerkt 1973, zur Zeit der RAF – DER SPIEGEL den Bürger zu indoktrinieren versucht.
Wie er die hoch-komplexe anarchistische Bewegung auf einige Schlagworte und Feindbilder reduziert: Anarchisten fressen kleine Kinder, lieben es, im Rudel zu bum… und wollen unsere heißgeliebte Demokratie abschaffen. Sollen sie doch „rüber machen“. In die Ostzone. Die DDR.
Die zu diesem Zeitpunkt noch sechzehn lange Jahre bestehen sollte. Bis sie schließlich – nicht zuletzt an solcher Feindpropaganda – zerbrach. Wiewohl sie, die DDR, mit Anarchie wahrlich nichts am Hut hatte. Allenfalls im letzten Jahr ihres (formalen) Bestehens.
Indes: Zu diesem Zeitpunkt war sie längst nicht mehr die DDR. Sondern nur noch ein Beutestück des Kapitalismus´. Der für eine kurze Zeit – das lange Jahr der Anarchie – auch emanzipatorische tentative Gesellschaftsformen zuließ. In der Gewissheit, dass diese schnell wieder verschwinden würden. In der kapitalistisch neo-liberalen Realität des „Einig-Vaterland“. Denn, wie Brecht schon wusste, wählen die dümmsten Kälber ihre Schlächter selber.
Ausführungen zu Fußnote 71:
Erich Mühsam: Von Eisner bis Leviné. Die Entstehung der bayerischen Räterepublik. Persönlicher Rechenschaftsbericht über die Revolutionsereignisse in München vom 7. November 1918 bis zum 13. April 1919 (https://www.anarchismus.at/geschichte-des-anarchismus/deutschland/6988-erich-muehsam-von-eisner-bis-levine-die-entstehung-der-bayerischen-raeterepublik, Abruf am 13.10.2019):
„Zu meiner persönlichen Legitimation mögen folgende Daten dienen: Im Alter von zweiundzwanzig Jahren (1900) gewann ich die erste Fühlung mit der revolutionären Bewegung in Deutschland und faßte unter der Leitung Gustav Landauers Fuß in der kommunistisch-anarchistischen Bewegung, der ich treu blieb. Gewisse Schwankungen in der Auffassung, die mich zeitweilig in die Nähe Stirners trieben, dann, unter Landauers Einfluß, zum Proudhonisten machten, waren zu überwinden, bis sich mein Standpunkt in der Anerkennung des reinen und bedingungslosen Klassenkampfes festigte, wobei mir in den Kampfmethoden stets Michael Bakunin, im Kampfziel Peter Kropotkin (dieser mit geringen Abweichungen) maßgebend waren.
Mein Bakunismus führte mich 1909 zu dem Versuch, in München die revolutionäre Unterweisung und Organisation des Lumpenproletariats zu unternehmen. Den Freispruch in dem 1910 deswegen durchgeführten Prozeß dankte ich dem Umstand, daß der angezogene Geheimbundparagraph sich als untauglich erwies und das Strafgesetzbuch schlechterdings keine für den Fall verwendbare Bestimmung enthielt.
In einer 1911 begründeten Monatsschrift ´Kain´ bemühte ich mich, speziell die akademische Jugend und die Künstlerboheme revolutionär zu beeinflussen und dadurch den Intellektuellen ihre natürliche Zusammengehörigkeit mit dem Proletariat bewußt zu machen. Beim Ausbruch des Krieges ließ ich das Blatt eingehen mit der Begründung, daß ich meine Kundgebungen einer militärischen Zensur nicht unterwerfen könne.
Während des Krieges unterhielt ich zu vielen Revolutionären Beziehungen. Ein Versuch, den ich 1916 unternahm, alle revolutionären Sozialisten ohne Festlegung der akademischen Formeln zu einem illegalen Aktionsbund zu vereinen – im April 1916 war ich deswegen in Berlin und besprach den Plan mit dem zwar skeptischen, aber grundsätzlich bereiten Genossen Karl Liebknecht –, und für den ich neben Landauer besonders auch den verstorbenen Genossen Westmeyer-Stuttgart gewann –, scheiterte, meiner Meinung nach an intriganten Manövern eines auch schon toten, unabhängigen Führers, den ich in Verkennung des leisetreterischen Charakters dieser Partei glaubte in die geplante Verschwörung mit einbeziehen zu sollen.
1917 korrespondierte ich mit Franz Mehring über die von mir angeregte Reorganisation der II. Internationale. Meine Ansicht war, daß die Aufhebung des Londoner Beschlusses von 1896, der Anarchisten und Antiparlamentaristen die Zugehörigkeit versagte, die Abstoßung des gesamten Scheidemann-Flügels zur Folge haben und dadurch die Wiederbelebung des revolutionären Geistes herbeiführen müsse.“
Ausführungen zu Fußnote 72:
Erich Mühsam: Aufstieg und Niederlage der Räterepublik (https://www.anarchismus.at/geschichte-des-anarchismus/deutschland/8072-erich-muehsam-aufstieg-und-niederlage-der-raeterepublik, Abruf am 13.10.2019):
„Am 4. April nachmittags fand im Ministerium des Äußern unter Niekischs Vorsitz die erste offizielle Beratung über die zu ergreifenden Maßnahmen statt. Es nahmen daran etwa dreißig Personen teil, darunter fünf Mitglieder des siebenköpfigen Ministeriums, nämlich der Herr Minister des Innern Segitz (SPD), der Handelsminister Simon (USP), der Militärminister Schneppenhorst (SPD), der Minister für soziale Fürsorge Unterleitner (USP) und der Landwirtschaftsminister Steiner (Bayrischer Bauernbund) …
Auf Niekischs Bericht hin wurde vorgeschlagen, daß sich provisorisch ein Rat von Volksbeauftragten, der sich paritätisch aus Sozialdemokraten, Unabhängigen und Kommunisten zusammenzusetzen hätte, konstituieren sollte. Am nächsten Tage sollten die Massen zusammengerufen werden, es sollten sofort neue Betriebsratswahlen stattfinden, und ein neuer Rätekongreß sollte dann die Räterepublik definitiv machen und ihr die Verfassung geben. Ein Widerspruch gegen diese Vorschläge wurde von keiner Seite erhoben …
Die Umwälzung vollzog sich vollständig gewaltlos. Fast ganz Südbayern schloß sich der Räterepublik sofort an. In Nordbayern war die Stimmung geteilt. Die Münchener Militärformationen, insbesondere die republikanische Schutztruppe, stellten sich ausnahmslos der neuen Gewalt zur Verfügung. Ich bemerke das, um die Unterstellung der Stand- und Volksgerichte, es sei ein gewaltsamer Umsturz erfolgt, von vornherein zu widerlegen.
Die regierende Gewalt lag nunmehr in den Händen des provisorischen Zentralrats, der den Rat der Volksbeauftragten einsetzte. Der Zentralrat setzte sich zusammen aus Mitgliedern der SPD, der USP, des