Alfred Bekker

5 Strand Krimis: Killer, Kohle und Konsorten


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das in der Luft hing, war davon trotzdem nichts zu riechen.

      "Wir suchen ihn erstmal als Zeugen", sagte Moeller. Er ging an der Frau vorbei, warf einen Blick in den Nachbarraum. "Wo ist das Zimmer Ihres Sohnes?"

      "Hier", sagte die Frau. "Warten Sie..." Sie ging voran.

      Moeller folgte ihr. Zusammen durchquerten sie ein unordentliches Wohnzimmer. An den Wänden kroch hier und da Schimmel empor. Frau Sarow öffnete eine Tür und machte Licht.

      Moeller blickte in eine Abstellkammer ohne Fenster. Einziger Inhalt war eine Matratze und ein Haufen von Kleidungsstücken.

      An die hintere Wand war mit schwarzer Farbe ein freundliches FUCK YOU! gesprüht worden.

      "Wo ist Ihr Sohn jetzt?", fragte Moeller.

      Die Frau im Kittel blickte zur Seite. Sie schielte nach ihrem Mann. Aber der schien ihr weit genug entfernt zu sein, so dass sie erstaunlicherweise an zu reden fing. "Er hängt mit seinen Freunden oft beim Bahnhof herum", sagte sie.

      "Ich danke Ihnen."

      "Herr Wachtmeister..."

      "Kommissar. Aber eigentlich heiße ich Moeller."

      Sie seufzte. Tränen rannen ihr über das blasse Gesicht.

      "Er ist eigentlich ein guter Junge!"

      Moeller sah sie nachdenklich an. In Gedanken hörte er John Coltrane die Melodie von NAIMA in sein Horn hauchen.

      Innerlich war er schon gar nicht mehr da. Nur sein Körper hatte irgendwie vergessen, sich zu entmaterialisieren.

      "Klar doch", sagte er schließlich. "Ihr Junge ist bestimmt ein guter Kerl. Im Kern zumindest..."

      7

      Jedes noch so kleine Nest, das das Privileg besitzt, über einen Bahnhof zu verfügen, sorgt normalerweise mit einer Fülle von mehr oder minder aufdringlich angebrachten Hinweisschildern dafür, dass man den auch findet. Selbst, wenn es sich bei dem sogenannten Hauptbahnhof nur um eine winzige Haltestation handelt, an der gerade mal jeder dritte Nahverkehrszug anhält.

      Anders in Lüdenscheid. Kein Schild weist darauf hin, dass es überhaupt so etwas wie Bahnanschluss gibt. Und durch die Verkehrsführung über Einbahnstraßen ist es selbst mit einem Stadtplan eine ganz eigene Kunst, diesen Bahnhof auch tatsächlich zu erreichen. Man schien hier das Verschlankungskonzept der Bahn tatkräftig zu unterstützen.

      Indem man Auswärtige mehr oder minder wirksam von der Bahnbenutzung ausschloss, war es wohl nur noch eine Frage der Zeit, wann das Fahrgastaufkommen des Hauptbahnhofs Lüdenscheid dermaßen in den Keller sank, dass man auch diese Strecke stilllegen würde.

      Simitsch hatte solche Probleme als Einheimischer natürlich nicht. Schon deshalb, weil das Polizeipräsidium nämlich gleich um die Ecke lag. Er steuerte zielsicher durch die Einbahnstraßen und parkte neben einem Kiosk, der neben Zeitschriften vor allen Dingen auch Hochprozentiges im Angebot hatte.

      Das Viertel um den Bahnhof war nicht unbedingt ein Schmuckstück und deswegen sollte es auch schon lange saniert werden.

      Nach den hochtrabenden Plänen der Stadt sollte endlich eine Busdrehscheibe kommen. Durch die Ansiedlung von Firmen mit hohem Forschungs- und Dienstleisteranteil sollte ein attraktives Umfeld entstehen. Sogar ein neues Bahnhofsgebäude war geplant. Aber da die Stadt am Rand des Bankrotts balancierte, konnte man darauf wohl noch eine ganze Weile warten.

      Immerhin würde dann der etwas heruntergekommene Kiosk noch eine Weile vor dem Abriss sicher sein, in dem Moeller sich des öfteren die Zeitung kaufte und der so gar nicht in den schönen neuen Business-Bahnhof passte, wie ihn sich die Planer vorstellten. Ein High-Tech-Bahnhof mit einem Gleis - ein kühner Gedanke.

      Moeller blickte sich um, beobachtete einen Augenblick lang zwei zehnjährige, die sich am Schaufenster eines Sportgeschäfts die Nasen plattdrückten und sagte dann: "Von unseren Freunden ist nichts zu sehen!"

      "Dann fahren wir am besten gleich weiter. Die drei werden früher oder später uns oder den Kollegen in die Arme laufen..."

      "Einen Moment."

      "Was ist denn noch, Moeller?"

      "Ich will mir eben noch 'ne Zeitung kaufen!"

      Simitsch seufzte. "Muss das sein?"

      "Muss sein."

      Moeller hatte die Tür schon geöffnet. Simitsch stellte den Motor ab. Moeller konnte nicht mehr hören, was sein Partner noch vor sich hingrummelte.

      Er ging in den Kiosk.

      Es war ziemlich eng da drin. Die Regale quollen vor buntbedrucktem Papier nur so über.

      Hinter dem Tresen stand ein schmächtiger Mann, der Moeller etwas irritiert ansah.

      Drei junge Männer in dunkler Lederkluft standen davor.

      Ferdinand Sarow war einer von ihnen. Der Obdachlose hatte ihn gut beschrieben. Und bei den beiden Anderen musste es sich um die beiden Unbekannten handeln, die sich zusammen mit Sarow in der letzten Nacht auf dem Dörner-Gelände befunden hatten.

      Jeder von ihnen trug zwei Sixpacks Bier bei sich.

      Moeller fand, dass das ein glücklicher Umstand war. So hatten sie die Hände voll und konnten damit keinen Unfug anstellen.

      "Kriminalpolizei!", sagte er und hielt ihnen dabei die Marke deutlich sichtbar hin. Ein Ruck ging durch die Drei.

      Unter den engen Ledermonturen war zu sehen, wie sich ihre Muskeln spannten.

      "Ey wieso?", kam es aus dem schmallippigen Mund von Ferdinand Sarow.

      "Wenn Sie bitte Ihre Sixpacks in den Händen behalten würden."

      "Ey, was hamm wa denn gemacht?", kreischte Sarow.

      "Ihr sollt zu einer Vernehmung mit aufs Präsidium kommen. Das ist alles."

      "Ey, wir kennen unsere Rechte, woll!"

      Moeller seufzte.

      "Nun macht kein Theater!"

      "Ey Alter, da steckt doch was dahinter, wo'?", meinte jetzt der Kerl, der links von Sarow stand.

      Ein Woll-Sager und ein Anhänger der Wo'-Partei in einer Gang, staunte Moeller. Und da sage noch einer, dass es in der heutigen Zeit an Toleranz mangelt!

      Moeller begegnete Sarows Blick. Er hatte unterhalb des rechten Auges eine Schramme. Mochte der Teufel wissen, bei welcher Art von 'freundlicher Aussprache' er sich das Ding geholt hatte. Es war ihm anzusehen, was er jetzt dachte.

      "Schlag dir das aus dem Kopf!", sagte Moeller vorbeugend.

      Sarow blickte sich um. Der Kiosk war wie eine Mausefalle.

      Es gab nur den einen Ausgang. Und der wurde durch Moeller versperrt, der seine Jacke etwas zur Seite gleiten ließ, so dass die drei Schwarzgekleideten einen Blick auf seine Dienstwaffe werfen konnten. Moeller hoffte, dass das genügend Eindruck machen würde. "Ich hasse das mit den Handschellen, aber für den Notfall habe ich diese altmodischen Dinger in ausreichender Stückzahl vorrätig! Besser ihr kommt freiwillig mit!"

      "Ey, sind wir verhaftet, oder was?", rief Sarow ungehalten.

      Moeller verzog das Gesicht zu einem dünnen Lächeln.

      "Ey, das liegt daran, wie viel Schwierigkeiten ihr macht..."

      Die drei sahen sich an. Ratlose Blicke waren es, die sie miteinander tauschten.

      Moeller wartete ihre Antwort gar nicht erst ab.

      "Schön, dass ihr vernünftig seit", meinte er. "Also Abmarsch!"

      Moeller dachte schon amüsiert daran, wie Simitsch herumzetern würde, wenn diese drei sich mit ihren Sixpacks in seinen ach so penibel gepflegten Volvo quetschen würden.

      Aber