Uwe Trostmann

Giftiges Blut


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Aber er schaffte es nicht mehr, länger in den schnell fließenden Teilen des Flusses zu stehen. Es kostete ihn inzwischen zu viel Kraft. Und er merkte auch die Kälte des Wassers. Trotz seiner gefütterten langen Angelhosen machten sich nach schon wenigen Stunden die schmerzenden Knochen bemerkbar. War es wieder einmal so weit, nahm er seine Angelrute und setzte sich an einem ruhigeren Teil des Flusses ans Ufer und versuchte von dort aus sein Glück. Heute war er bis zu einer sonnenbeschienenen Sandbank gelaufen. Die Bäume um ihn herum gaben ihm das Gefühl, hier alleine zu sein. Er liebte diese Stelle. Sein Hobby war für ihn, den Chief Inspector aus Birmingham, die Entspannung, die er in seinem nervenaufreibenden Beruf benötigte und fand.

      Schon länger hatte es in seinem Kommissariat keine größeren Fälle mehr gegeben. Die letzten Morde, die in seinen Bereich fielen, lagen etwa ein Jahr zurück, ihre Aufklärung war nicht schwierig gewesen. Eine Kindesentführung hatte vor zwei Jahren stattgefunden, mit erheblichem Aufwand hatte er auch diesen Fall lösen können. Die jetzige Ruhe im Kommissariat empfand Brennan als angenehm, da er in spätestens eineinhalb Jahren in den Ruhestand gehen würde. Einen hoch komplizierten Fall brauchte er jetzt nicht mehr. Aber er misstraute dieser Ruhe.

      Seine Gedanken wurden jäh von einem Fisch unterbrochen, der an seinen Angelhaken gebissen hatte. Es war ein größeres Exemplar, das gewaltig an seiner Angel zog und ihn zum Aufstehen zwang. Vorsichtig spannte Brennan die Angelschnur immer wieder, doch der Fisch versuchte, mit der Strömung davonzuschwimmen. Brennen spannte, rollte die Schnur auf, musste wieder etwas nachgeben, da der Zug zu groß war und die Schnur reißen konnte. Er sah den Fisch als Gegner, den es zu bezwingen galt. Der Fisch zog mehr und mehr und zwang den Angler, in den Fluss zu steigen. Brennans Größe von 1 m 87 cm erlaubte ihm, auch in die tieferen Stellen des Flusses zu gehen. Sein ganzer Körper war jetzt angespannt, seine Gesichtszüge wurden noch härter, seine recht große Nase ragte markant hervor – Brennan kämpfte mit dem Fisch.

      Sie hatten eine halbe Stunde miteinander gerungen, als eine Art Gleichstand eintrat: Brennan holte den Fisch zwei Meter zu sich heran und musste ihm bald wieder die gleiche Länge zurückgeben. Dann geschah es: Die Angelschnur verfing sich in einer angeschwemmten und zwischen zwei Felsen eingeklemmten Wurzel und riss. Fluchend sah Brennan dem davonschwimmenden Fisch nach. Er lief ärgerlich zu seinem Klappsitz zurück und blickte lange auf den Fluss.

      „Gut. Du hast dieses Mal gewonnen. Das nächste Mal kriege ich dich.“

      Chief Inspector Steve Brennan war bekannt für seine Hartnäckigkeit. Viele seiner Kollegen und auch seine ehemalige Frau Carol unterstellten ihm Dickköpfigkeit und Inflexibilität. Er hatte aber immer recht behalten. Die meisten seiner Fälle hatte er auf seine Art lösen können. Bei so manchem Kollegen waren allerdings nicht nur zufriedene Gesichter zurückgeblieben. Mancher hatte sich übergangen gefühlt, ein anderer gedemütigt.

      Er hatte sich aber jedes Mal mit ganzer Kraft in die Fälle gekniet, was von seinem Körper nicht immer gut aufgenommen wurde. Bluthochdruck und Herzprobleme waren das Resultat. Brennans Esskultur förderte diesen Zustand noch: Fertigpizza und Hamburger, schnell hinuntergespült mit mindestens einem Bier. Sein Freund und Arzt Dan Halfpenny hatte ihn schon mehrfach gewarnt, dass er seine Pension nicht viele Jahre würde genießen können, wenn er so weitermachte.

      An diesem Morgen war das Wetter noch schön, aber der Wetterbericht behielt leider recht und am frühen Nachmittag begann es zu regnen. Brennan hatte, als er mit dem Fisch kämpfte, gar nicht mitbekommen, dass sich dunkle Wolken vor die Sonne geschoben hatten. Die ersten Tropfen veranlassten ihn, seine Sachen zu packen und mit seinem Fang, drei Fischen, zurück in die kleine Hütte bei Ordiequish zu fahren. Im Auto fiel ihm plötzlich ein, dass am Montag ein neuer Kommissar in seiner Abteilung antreten würde, genauer gesagt eine Kommissarin. Eine Frau, das hatte ihm gerade noch gefehlt. Die wollten alles besser wissen. Und an die Regeln schien diese sich auch nicht halten zu wollen. In Edinburgh wollte sie ihre eigenen Sachen machen. „Das gibt es bei mir nicht!“ Brennan parkte seinen Wagen vor dem Ferienhaus. „Das hätte jetzt nicht auch noch sein müssen.“ Erst murmelnd, dann immer lauter hatte er mit sich selbst gesprochen.

      Brennan nahm die Fische aus und fror zwei im Tiefkühlschrank ein. Den schönsten hatte er sich auf dem Grill zubereitet.

      „Ich darf morgen nicht vergessen, die Fische mit nach Birmingham zu nehmen.“

      Im Kamin brannte das Feuer und verbreitete eine angenehme Wärme. Brennan schob den leeren Teller von sich, nahm seine Bierflasche und setzte sich in einen Sessel in der Nähe des Kamins. Es war der letzte Tag seines Kurzurlaubes. Dieses Mal hatte ihn auch kein Telefonanruf gestört, weder aus dem Kommissariat noch von seiner geschiedenen Frau Carol noch von seinen Töchtern Judy oder Miriam.

      „Die drei Frauen lernen endlich, dass es auch ohne mich gehen muss“, brummelte er vor sich hin und nahm die Zeitung zur Hand.

      Doch manchmal wurde er in seiner Ruhe gestört. Vor sechs Jahren war ein Anruf auf sein Handy gekommen, der ihn beim Angeln erreichte. Jemand hatte vier Wochen vorher in Birmingham eine Bank überfallen und war jetzt, vermutlich in Schottland, in Brennans Gegend unterwegs. In Aberdeen hatte er bei einem erneuten Banküberfall seine Fingerabdrücke hinterlassen. Er sollte sich irgendwo am Spy River versteckt halten. Brennan unterbrach widerwillig seinen Urlaub und begann in den umliegenden Ortschaften zu recherchieren. Er fand ihn. Die schottische Polizei konnte den Bankräuber festnehmen. Sein damaliger Chef hatte sich bei ihm bedankt, gab ihm aber keinen Tag länger Urlaub. Brennan musste sofort wieder zurück.

      Vier Tage hatte er sich jetzt freigenommen und war die lange Strecke von Birmingham hier heraufgefahren. Seit bald dreißig Jahren machte er das. Früher waren Carol oder die Töchter dabei gewesen. Das war nie gut gegangen. Sie hatten ihn nie in Ruhe gelassen. Er wollte angeln, sie suchten Abwechslung beim Wandern und Sightseeing. Bis er eines Tages beschlossen hatte, dass er ab sofort nur noch alleine hierherfahren würde. Sehr zum Ärger von Carol. Aber das war Geschichte.

      Morgen musste er wieder zurück – aber nur noch für die nächsten eineinhalb Jahre. Dann würde er sein Haus in Birmingham verkaufen und hierherziehen. Der Chief Inspector legte seine Beine auf die Sesselablage und vertiefte sich in seine Zeitung.

      Merkwürdige Zeichen

      Es war nicht ihre Gewohnheit, aber an diesem Morgen war Roberta Foster sehr früh aufgestanden. Und sie hatte keinen Kater. Ganz bewusst hatte sie am Abend vorher auf ihren Gin verzichtet und es bei einem Glas Wein belassen. Sie wollte auf keinen Fall bei ihrer neuen Dienststelle als unpünktlich und verschlafen auffallen. Sie hatte ihre Prüfungen gut bestanden und die Zeit als Sergeant erfolgreich hinter sich gebracht. Die neue Stelle würde ihre erste Stelle als Inspector sein.

      „Du siehst schick aus heute Morgen“, kam es aus dem Badezimmer. „Hoffentlich ist das Arbeitsklima in Birmingham besser.“ Paul stellte den Föhn zurück in den Badezimmerschrank.

      „Ich hoffe auch, dass sich der Umzug nach Birmingham gelohnt hat. In Aberdeen hat jeder den anderen angemault.“ Roberta Foster sah sich im Spiegel an. Ihr dunkelrotes Kleid saß sehr gut und passte zu ihren dunkelbraunen Haaren. Sie hatte sie vor zwei Tagen auf halblang kürzen lassen und so musste sie sie heute nicht zusammenbinden – zu ihrem ersten Arbeitstag. Sie blickte im Spiegel nach unten und stellte fest, dass die Schuhe mit den halbhohen Absätzen ebenso passten.

      „Und was für ein Glück, dass ich hier sofort eine Stelle in der Bank bekommen habe. Aber sei bitte etwas zurückhaltender“, meinte Paul noch.

      „Wie meinst du das?“

      „Du weißt schon. Dein Temperament geht dir manchmal durch. Und das vertragen nicht alle“, erklärte Paul und zog sich seinen dunkelblauen Anzug an.

      „Du magst es aber wohl, wenn ich Temperament im Bett zeige.“

      Foster trank langsam den heißen Kaffee. Der letzte Fall, an dem sie in Aberdeen mitgearbeitet hatte, wäre beinahe zu einer Katastrophe für sie geworden. Erst wenige Monate zuvor hatte sie die letzten Prüfungen als angehender Inspector auf der Polizeischule hinter sich gebracht. Sie wollte sich so bald wie möglich auf eine entsprechende Stelle bewerben. Sie wollte alles besonders gut machen. Dabei hatte alles ganz normal angefangen: Ein Überfall auf eine Tankstelle,