Uwe Trostmann

Giftiges Blut


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waren. Aber bevor sie mit der Schreibtischarbeit begann, ging sie in die Toilettenräume und brachte ihre Schuhe wieder in Ordnung. Der Schlamm hing überall.

      „Ab morgen komme ich in Jeans und Stiefeln“, entschied sie sich und frischte ihr Make-up auf.

      Sie ging die Fälle oberflächlich durch, denn es schien ihr keinen Sinn zu machen, ohne weitere Anhaltspunkte auf die Suche zu gehen. Sie erinnerte sich aber an dieses Zeichen auf der Stirn. Es war nicht gut zu sehen gewesen, aber es gehörte nicht dahin. Sie suchte nach weiteren Fällen, in denen die Opfer gekennzeichnet worden waren, ohne Erfolg. Während der folgenden Tage rief sie wiederholt in der Forensischen Abteilung an, um Neues zu erfahren. Nach fünf Tagen erhielt sie in Kincaids Büro endlich die erhofften Angaben.

      „Es handelt sich um eine junge Frau, circa fünfundzwanzig Jahre alt, mit mittellangen, glatten, wahrscheinlich blonden Haaren, bei der es auf den ersten Blick keine Anzeichen von Gewaltanwendung gibt, wenn man von dem Zeichen auf dem Stirnknochen einmal absehen will. Was wir natürlich nicht ausschließen können, ist, dass sie zum Beispiel erdrosselt oder vergiftet wurde. Doch dafür finden sich keine Anzeichen mehr.“

      „Kein Arsen.“

      „Es gibt noch viele andere Gifte, wie Sie wissen“, entgegnete Kincaid.

      „Das ist leider nicht sehr viel.“ Brennan trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. „Aber was ist mit dem Zeichen auf der Stirn?“, fragte er.

      „Da haben wir vielleicht etwas“, begann Kincaid. „Es wurde tatsächlich etwas in die Stirn geritzt, und zwar so, dass es im Knochen zu sehen ist."

      „Also ziemlich brutal“, meinte Foster.

      „So kann man sagen. Ob vor oder nach dem Tod, kann ich nicht beurteilen. Schauen Sie sich dieses Fotos einmal an. Auf der Röntgenaufnahme sind die Zeichen noch besser zu sehen. Die Linien stellen möglicherweise ein Haus und einen Stab dar. Ob das am unteren Ende vom Stab dazugehört, da bin ich mir nicht sicher.“

      „Das ist doch schon einmal was. Roberta, jetzt können Sie die Zahl der Akten reduzieren.“

      „Wir sind noch dabei, DNA zu finden und zu analysieren. Vielleicht wissen wir dann mehr. Und hier eine Aufnahme vom Gebiss. Vielleicht finden Sie den Zahnarzt, bei dem sie kurz vorher war.“

      „Wieso kurz vorher?“, wollte Foster wissen.

      „Ein Zahn ist nicht lange vor ihrem Tod plombiert worden.“

      „Ungefähr 25 Jahre, weiblich, mittellange blonde Haare, offenbar ermordet, sonst hätte sie nicht dieses Zeichen in der Stirn“, fasste Brennan zusammen, während er von der Forensischen Abteilung in seine zurücklief. „Gibt es schon was Neues von der Spusi?“

      „Noch nichts gehört.“

      „Dann gehen wir jetzt direkt da vorbei“, bestimmte Brennan und lenkte seine Schritte in Richtung der Abteilung.

      Tess Stevenson, Leiterin der Spurensicherung, kam ihnen mit einem Lächeln entgegen.

      „Sie hat bestimmt etwas für uns“, meinte Foster.

      „Ich bin die neue Kollegin, Inspector Roberta Foster“, stellte sie sich vor.

      Der Chief Inspector berichtete über die Funde von Kincaid.

      „Das passt ganz gut zu dem, was wir gefunden haben. Die wenigen Gewebereste der Kleidung deuten darauf hin, dass es eine dünne Bekleidung war, was für eine warme Jahreszeit spricht. Das Kleid, das die junge Frau trug, war aus mittelblauem Stoff. Sie trug Pumps und offensichtlich keine Strümpfe. Wir haben keine Tasche oder sonstige Hinweise gefunden, wer sie war.“

      „Das spricht dafür, dass es ein geplanter Mord war. Nur war die Tote nicht tief genug vergraben“, ergänzte Foster.

      „Warten wir einmal ab“, knurrte Chief Inspector Brennan und sie machten sich auf den Rückweg ins Büro.

      „Sie meinen, es könnte auch ein Unfall gewesen sein? Und das Zeichen auf der Stirn irgendjemand später eingeritzt haben?“

      „Könnte sein“, war seine kurze Antwort.

      Foster hatte jetzt in der Tat genug zu tun. Obwohl die Informationen über die Tote nun um einiges genauer waren, musste sie den Radius für ihre Suche ausweiten. Keine der Vermissten im Umkreis von fünfzig Kilometern entsprach den Kriterien. Umfragen, die Foster in der näheren und weiteren Umgebung des Fundorts durchführen ließ, brachten keine Neuigkeiten. Sie weitete das Gebiet auf hundert Kilometer aus. Alles sah danach aus, als ob der Fundort nicht der Ort des Verbrechens war.

      Erkenntnisse

      Zwei Wochen später führte der Weg die beiden Inspectoren erneut in die Forensische Abteilung. Kincaid war immer noch mit der Untersuchung des Skeletts beschäftigt, das um die dreißig Jahre in der Erde gelegen hatte.

      „Kommen Sie rein. Schauen Sie mal. Der größte Teil ist ganz gut erhalten.“ Er schlüpfte in einen weißen Kittel, zog sich Gummihandschuhe über und entfernte ein Tuch, das über das Untersuchungsobjekt gelegt war. Foster warf nur einen kurzen Blick darauf. Ihr Magen begann zu rebellieren.

      „Wissen wir schon etwas Genaueres zum Alter der Person?“

      „Ich möchte es auf ungefähr 27 Jahre schätzen, plus minus ein, zwei Jahre. Haben Sie schon einmal bei Zahnärzten nachgefragt? Ach richtig, ich wollte Ihnen noch eine bessere Aufnahme vom Gebiss mitgeben. Und, Roberta, hier habe ich noch einen interessanten Fund: Die junge Frau kaufte einiger ihrer Kleidungs- und Wäschestücke bei einem Laden namens „Top Fashion“, die Etiketts sind noch gut lesbar. Schauen Sie mal.“

      Dr Kincaid berichtete noch weitere Einzelheiten, die die beiden Inspectoren zum derzeitigen Zeitpunkt nicht als relevant ansahen.

      Foster ging alleine ins Büro zurück, Brennan verließ das Haus. Fein, dann kann ich in Ruhe recherchieren, dachte sie und begann im Internet zu suchen. „Top Fashion“-Läden gab es mehrere im Umkreis von fünfzig Kilometern. Diesen Radius hatte sie sich erst einmal gesetzt. Mit sechs Firmennamen auf ihrem Notizblock ging sie online ins Handelsregister. Es musste eine Firma sein, die schon vor dreißig Jahren existierte, kombinierte sie. Das Resultat ihrer Suche war gleich null. Keine der Firmen oder Läden war schon so alt.

      Also gut, Roberta. Dann eben bei denjenigen, die nicht mehr existieren, sagte sie sich. Nach weiteren zehn Minuten wurde sie fündig. „Top Fashion in Coventry“, das passte von der Entfernung. Die ehemalige Besitzerin war eine Eve Porter. Hoffentlich lebte die noch. Foster fand die Adresse, legte Brennan eine kurze Notiz auf den Schreibtisch und setzte sich in ihren Wagen.

      Sie drückte den Klingelknopf an der Haustür. Erst einmal tat sich nichts. Sie drückte noch einmal. Von innen kamen Geräusche:

      „Ja, ja, ich komme.“ Es hörte sich nach einer älteren Dame an.

      „Was wünschen Sie?“ Eine kleine ältere Dame mit bläulichschimmernden Dauerwellen öffnete die Tür einen Spalt. „Ich kaufe nichts“, sagte sie.

      „Ich bin Inspector Roberta Foster von der Kriminalpolizei in Birmingham. Hier ist mein Ausweis.“

      Die vorsichtige Eve Porter nahm den Ausweis, schloss die Tür hinter sich und verschwand im Haus. Nach zwei Minuten öffnete sie wieder.

      „Was wollen Sie wissen? Kommen Sie wegen dieser Nachbarin?“

      „Nein, Ms Porter. Wegen etwas ganz anderem. Gehörte Ihnen früher der Laden Top Fashion?“

      „Ja, aber das ist schon lange her.“

      „Darf ich reinkommen? Ich denke, wir können uns in Ihrer Wohnung besser unterhalten.“

      Eve Porter zögerte, doch sie ließ Foster hinein.

      „Wir suchen eine frühere Kundin von Ihnen. Sie war vor dreißig Jahren etwa fünfundzwanzig Jahre alt, hatte vermutlich mittellange blonde Haare und hat außer Unterwäsche auch ein blaues Kleid bei Ihnen gekauft, das in etwa so aussah …“ Foster zeigte ihr ein Bild,