sagte Katja aufrichtig, „es wäre mir nicht recht.“
Ihr Bruder kniff die Augen zusammen.
„Eichinger hat irgendetwas Unaufrichtiges an sich.“
„Ein Heiratsschwindler ist er aber mit Sicherheit nicht. Da hätte er sich eine Dame ausgesucht, bei der es mehr zu holen gibt als bei unserer Mutter.“
„Hoffentlich gibt es für Mama nicht irgendwann ein böses Erwachen“, brummte Jürgen.
„Willst du ihr Eichinger ausreden?“
„Könnte ich das?“
„Wenn ich die Sache richtig beurteile, nein“, sagte Dr. Katja Arndt.
Ihr Bruder zuckte mit den Schultern. „Dann versuche ich es erst gar nicht.“
28
„Frau Dr. Arndt scheint neuerdings an chronischer Müdigkeit zu leiden“, sagte Dr. Härtling zu Schwester Annegret.
„Das ist mir auch schon auf gefallen“, stimmte die alte Pflegerin ihm zu. Sie standen auf dem Flur beisammen. Hinter Dr. Härtling befand sich die Tür, die in sein Büro führte. „Gestern morgen, zum Beispiel, konnte sie die Augen kaum offenhalten“, sagte Annegret. „Das gab sich erst nach einigen Tassen schwarzen Kaffees.“
Sören Härtling runzelte besorgt die Stirn. „Was macht sie so müde?“
Schwester Annegret hob die Schultern. „Ich habe keine Ahnung. Wenn sie frisch verheiratet wäre, würde ich denken …“ Sie unterbrach sich lächelnd. „Aber das ist nicht der Fall.“
„Sie brütet hoffentlich keine Krankheit aus“, sagte Dr. Härtling und schob die Hände in die Taschen seines weißen Arztkittels. „Ich werde mich mal mit ihr unterhalten. Schicken Sie sie zu mir, wenn Sie sie sehen.“
„In Ordnung, Chef.“ Die alte Pflegerin entfernte sich, und Dr. Härtling betrat sein Büro.
Der Schreibtisch im Vorzimmer war verwaist. Moni Wolfram war beim Zahnarzt.
Es vergingen zwanzig Minuten, bis Katja Arndt beim Klinikchef erschien. „Schwester Annegret sagte, Sie möchten mich sprechen.“
„Ja. Bitte setzen Sie sich, Frau Kollegin.“
„Entschuldigen Sie, dass ich jetzt erst komme“, sagte Katja, während sie vor dem Schreibtisch des Klinikchefs Platz nahm, „aber Frau Thalberg ließ mich nicht früher weg.“
Die reiche, viermal verwitwete Patientin war erst seit zwei Tagen in der Paracelsus-Klinik, aber jeder kannte sie bereits und mied, wenn möglich, ihre Nähe, denn sie war eine ganz und gar unleidliche Person, eine unermüdliche Nörglerin, der man nichts recht machen konnte.
„Wie kommen Sie mit Frau Thalberg klar?“, erkundigte sich Dr. Härtling.
„Es geht so einigermaßen“, gab die Internistin zur Antwort, „aber manchmal stellt sie meine Geduld auf eine sehr harte Probe.“
„Geht sie Ihnen auf die Nerven?“
„Sie geht jedem auf die Nerven.“
Der Klinikchef sah die junge Ärztin prüfend an. „Fühlen Sie sich gut, Frau Kollegin?“
Katja Arndt nickte. „Ja. Danke.“
„Gibt es irgendetwas, das Sie nicht schlafen lässt?“
Durch Katjas Körper ging ein kaum merklicher Ruck. Dr. Härtling schienen die Folgen ihrer Mehrfachbelastung bereits aufgefallen zu sein. „Warum fragen Sie?“, fragte sie mit belegter Stimme.
Der Klinikchef legte die Handflächen aneinander, als wollte er beten. „Weil ich den Eindruck habe, dass Sie in letzter Zeit nicht genug Schlaf bekommen“ , erklärte er.
Katjas Sonnengeflecht zog sich zusammen. „Sind Sie mit meiner Leistung unzufrieden?“, fragte sie unruhig.
„Bis jetzt noch nicht“, gab Sören ehrlich zurück, „aber wenn Sie weiterhin jeden Morgen so müde zum Dienst erscheinen, werden sich irgendwann die ersten Fehler einschleichen. Deshalb muss ich Ihnen im Interesse der Menschen, um die Sie sich zu kümmern haben, raten, mehr zu schlafen, Frau Kollegin.“
Katja nickte. Ich muss kürzertreten, dachte sie zerknirscht. Ich hab’s übertrieben. Ich darf nicht mehr so viele Aufträge übernehmen, muss zwischendurch auch mal einen Auftrag ablehnen, muss zur Ruhe kommen, mich erholen, neue Kräfte sammeln. „Ich werde Ihren Rat beherzigen, Chef“, versprach sie und erhob sich.
29
„Mein Eifer zeigt Wirkung“, sagte Katja Arndt am Abend zu ihrer Freundin. Sie befand sich in Biggi Ruprechts tollem Haus.
Biggi schmunzelte. „Wächst dein Bankkonto?“
Katja schüttelte ernst den Kopf. „Das meine ich nicht. Ich bin meinem Chef zum ersten Mal unangenehm aufgefallen.“
„In welcher Weise?“ Biggi stellte Katja einen Martini hin.
Katja seufzte. „Ich war in letzter Zeit jeden Abend mit einem Kunden aus, kam immer erst nach Mitternacht nach Hause und musste nach wenigen Stunden Schlaf schon wieder raus aus den Federn.“
„Ehrlich gesagt, ich habe mich gefragt, wie du das durchhältst, und ich habe dich insgeheim um deine eiserne Konstitution beneidet“, gestand Biggi.
„So eisern ist die gar nicht, wie sich inzwischen gezeigt hat“, sagte Katja deprimiert, „aber das wollte ich um nichts in der Welt wahrhaben.“
„Wenn ich das tun würde, wäre das etwas anderes“, meinte Biggi Ruprecht. „Ich habe ja nur diesen einen Job. Aber du …“
Katja schob ihr Martiniglas mit gefurchter Stirn auf dem Tisch hin und her. „Ich muss kürzer treten. Wenn mir in der Paracelsus-Klinik ein Fehler unterläuft, kann das katastrophale Folgen haben.“ Sie hob das Glas an ihre Lippen und trank. „Ich habe nur das Geld gesehen, das ich bei Gabi verdienen kann. Einige Kunden haben mir großzügig noch extra was zugesteckt, weil sie sich in meiner Gesellschaft so wohl gefühlt hatten. Ich habe nichts davon ausgegeben, habe jede Mark für Jan Achberger, diesen verfluchten Blutsauger, beiseite gelegt, aber das Tempo, das ich mir zugemutet habe, war zu scharf.“ Sie tippte sich an die Stirn. „Ich bin Ärztin. Ich hätte wissen müssen, dass dieser Stress nicht lange gutgeht.“
„Macht Norbert denn wenigstens beim Therapeuten Fortschritte?“, erkundigte sich Biggi Ruprecht.
„Angeblich ja.“ Katja zuckte mit den Schultern. „Ich kann es nicht überprüfen.“
Biggi erzählte von ihrem letzten Kunden. Bis in die frühen Morgenstunden war sie bei ihm gewesen. Sie wiegte den Kopf und verzog das Gesicht, als hätte sie Essig getrunken.
„Der hatte Spielchen drauf, die selbst mir fast zu viel waren.“ Sie grinste. „Manche dieser Grauköpfe haben es wahrhaftig faustdick hinter den Ohren, ohne dass man es ihnen ansieht.“ Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. „Na ja, es ist vergessen und vorbei. Aber ein zweites Mal gehe ich da nicht hin, und Gabi hat den flotten Cornelius auch sofort auf die schwarze Liste gesetzt. Der kriegt kein Mädchen mehr von Flamingo, und von einigen anderen Agenturen, deren Chefs Gabi kennt, auch nicht. Sie sind alle gewarnt.“
Katja schluckte trocken. „Wie war das? Was hast du eben gesagt?“
„Gabi Hauff hat alle Agenturchefs vor diesem Außenseiter gewarnt.“
„Das meine ich nicht.“ Katja Arndt wedelte mit der Hand, als hätte sie sich die Finger verbrannt. „Wie hast du ihn genannt? Wie heißt er?“
„Cornelius. Cornelius Eichinger heißt der alte Lüstling. Kennst du ihn vielleicht?“
„Er ist …