putze ich einen weg“, war Rudi`s spontane Reaktion und ging gleichzeitig in Anschlag. „Ja“ flüsterte ich leise „Du oben rechts, ich unten links, fang an zu zählen!“
Wir nahmen jeder ein Stück ins Visier und achteten darauf, dass es nicht die Bachen waren. Dann begann Rudi leise, und kaum wahrnehmbar zu zählen…“ eins – und – zwei – und“…laut dröhnte der Knall durch die lautlose Neujahrsnacht. Zwei Mündungsblitze blendeten unsere Augen.
Und was wie ein Donner durch den Lichtenhagener Forst rollte waren zwei Schüsse, die sich nahezu gleichzeitig aus unseren Waffen entluden. Danach ein heftiges Klagen anschließend Totenstille. Nur in unseren Ohren hallte ein feines Sirren des Doppelschusses noch eine Weile nach.
DER DOPPELSCHUSS
Nach allen Seiten war die Rotte auseinander gesprengt. Zwei schwarze Flecken zeichneten sich im hellen Schnee ab, ein schwaches Schlägeln noch bei Rudi`s Anschuss. Den Drilling noch an der Wange sehe ich, wie sich mein Stück hochmacht und in den verschneiten Jungfichten verschwindet.
Keine fünf Sekunden waren inzwischen vergangen, ehe ich meinem Freund flüsternd ins Ohr brülle: „Er liegt, deiner liegt!“, und schlage ihm vor Freude auf seinen neuen Hut.
Als hätten die beiden Schüsse eine Explosion der Gefühle in uns freigesetzt, so zerren wir uns gegenseitig an unseren Schultern und können das Erlebte noch gar nicht fassen. Unsere Kehlen sind furztrocken und brauchen erst einmal einen Schluck Tee mit Rum und sicherheitshalber einen Bittern hinterher.
Was ist passiert? Einer liegt, der andere offensichtlich getroffen aber verschwunden. Wir packen zusammen, unsere Knie zittern vor lauter Aufregung. Als wir endlich alles sicher verstaut haben und vorsichtig abbaumen merken wir erst, wie groß die innere Anspannung war.
Unten angekommen lassen wir die Rucksäcke und alles überflüssige Zeug an der Leiter und nehmen nur die schwere Büchse von Rudi mit, ehe wir durch den dicken Schnee den Hang hinaufstapfen. Die schwere 9,3 mal 62 hat ganze Arbeit geleistet und die Frischlingsbache auf den Platz gebannt. Sie ist im Schuss verendet. Ich breche den Bruch und überreiche ihn Rudi waidgerecht mit bewegten Worten. Dann stehen wir schweigsam aber nicht ohne innere Ergriffenheit vor seinem ersten Stück Schwarzwild und wissen, dass wir gerade eine Sternstunde unserer Freundschaft erlebt haben. Aber noch war dieses Kapitel nicht zu Ende.
Jetzt galt alle Aufmerksamkeit meinem Stück. Der Anschuss war weiter unten und nicht zu übersehen. Hellroter Schweiß, nicht viel aber deutlich wie gesprenkelt im Schnee verteilt. Die Schweißfährte geht nach links weg, so wie von mir beobachtet. Sie verschwindet unter den tief hängenden Zweigen der jungen Fichten in einer auffällig wannenförmigen Rinne. Wir lassen den Anschuss unberührt und entschließen uns nach kurzem Zögern der Wundfährte zu folgen, wenigstens ein kurzes Stück und nur solange, wie es die Dickung und die Sicht zulassen.
Im hellen Schein der Taschenlampe gehe – oder besser krieche ich voraus. Der Strahl der Lampe erfasst immer nur wenige Meter der deutlichen Fährte, eigentlich war sie überflüssig bei dem hellen Untergrund.
Schnee rieselt uns in den Nacken und tief gebückt und fast auf allen Vieren kommen wir nur langsam vorwärts. Es ist ein komisches Gefühl durch eine nächtlich verschneite Dickung zu kriechen und nicht zu wissen, was einen hinter der nächsten Fichte erwartet. Und so ganz viel Erfahrung hatte ich mit derlei Nachsuchen in meiner kurzen Lehrzeit ohnehin nicht, und Rudi schon gar nicht. Mir wäre wohler zumute, wenn mein routinierter Mentor Klaus dabei wäre.
So aber umschlagen wir ein besonders dichtes Gebüsch und erstarren im Strahl der Taschenlampe. Vor uns liegt ein kräftiger Überläufer schwer im Wundbett und blinzelt uns mit seinen kleinen Augen schwer gezeichnet an; kein leichtes Bild, zumal noch eine Menge Leben in ihm zu stecken scheint. Er hat den Schuss wohl durch die Keulen, das erklärt die wannenartige Rinne seiner Fluchtfährte.
„Los, gib ihm den Fangschuss“, raunt mir Rudi energisch zu. Doch ich will eine unnötige Ballerei vermeiden und schüttele den Kopf. „Dann fang sie ab!“ fügt er hinzu. „Das kann ich nicht“, gebe ich kleinlaut zurück, ..“habe ich noch nie gemacht!“ „Dann lass mich ran“, stößt Rudi atemlos hervor.
Unsere kurze Diskussion, der grelle Strahl der Taschenlampe, das nächtliche Szenario und zwei Grünschnäbel auf winterlicher Sauenjagd vor einem angeschweißten Schwarzkittel mitten in einer unübersichtlichen Dickung hatte etwas Surreales, etwas Einmaliges.
Während ich einen Schritt zur Seite trete, um mit der Büchse zu sichern, wirft das kranke Stück sein massiges Haupt herum auf mich zu.
ANGRIFF UND VERTEIDIGUNG
In dem Augenblick ist Rudi auch schon über dem Borstenvieh, in der linken Hand das norwegische Jagdmesser und der rechte Arm umklammert den Nacken. Einmal, zweimal stößt er kräftig zu, ohne eine erkennbare Wirkung. Der wehrhafte Überläufer wirft ihn fast ab. Beide sind wie zwei gespenstische Schatten vereint, kaum kann man sie in dem Gewühl von aufstäubendem Schnee unter den tief hängenden Fichtenzweigen auseinanderhalten. Der Kampf geht hin und her, der Leichtsinn und meine Sorge um Rudi`s Gesundheit werden immer größer. Dann ein letzter Stoß ins Leben und hörbar entweicht dem Schwarzkittel unter Rudi´s Gewicht die letzte Luft aus den Lungen, ehe er endlich verendet vor uns liegt. Ein 45 kg schwerer Überläufer mit der Kraft eines hauendes Schweines. Erschöpft und schwer atmend kniet der Held über ihm. Zwei Sauen an einem Abend, und beide von ihm erlegt! Das ist für einen Schwarzwildneuling in der Tat ein starkes Stück und gleichzeitig seine Gesellenprüfung. Waidmannsheil, mein Freund!!!
Die nächsten Minuten sind wir wie benommen und können das Geschehene noch gar nicht begreifen. Zwei Schüsse wie einer und zwei Sauen liegen auf der Strecke…ein denkwürdiges Jagderlebnis, das erst am Anfang einer jahrzehnte langen Freundschaft stehen sollte und dessen nachhaltige Wirkung wir in diesem Augenblick noch gar nicht ermessen konnten.
Der Rest ist schnell berichtet: wir schleppen die beiden Stücke bis auf die Anhöhe zu „Schrader Rott`s Wiese“, stapfen durch den Schnee bis zum Kübelwagen, der beim Wendemanöver noch hängen bleibt, verstauen die Sauen mit Stricken auf der Haube des Gefährts und fahren beschwingt und fröhlich lachend zurück ins Dorf. Zielpunkt: das Forstamt, sein Chef und unser Gönner und Freund Klaus Heipke.
Dem verschlägt`s die Sprache als er uns beiden „Wilddiebe“ mit der Doppelbeute in seinem Garten sieht. Erst nachdem er das Bubenstück ordnungsgemäß dokumentiert und fotografiert hat findet er seine Worte wieder und beglückwünscht uns mit einem kräftigen Waidmannsheil und einem dreifachen Horrido zu unserem Jagdglück.
Was sich dann in der warmen und gemütlichen Försterstube anschließt ist den Traditionen des Deutschen Waidwerks geschuldet und schweißt drei Typen zusammen, deren Originalität und Freundschaft die Basis für viele Abenteuer sein sollte, die sie auf ihren gemeinsamen Fährten noch erleben sollten.
DAS BEUTE-DUO
HIMMELFAHRTSKOMMANDO
16. Mai 1985
Es sollte ein klassisches Bockaufgangswochenende werden, mit allen Abläufen, Ritualen und Besonderheiten, wie wir sie in Sulingen, im Bruch und unserer geliebten Jagdhütte dutzende Male erlebt und praktiziert haben. Allein das verwegene Quartett der Mannschaft mit Rudi, Fivos, Karl Heinz und mir versprach allerhöchste Jagdfreude.
Das Wetter spielte mit, der vertraute Kübelwagen bewies sein enormes Transportvolumen und seine militärische Robustheit. Dazu die Aussicht auf fünf spannende Jagdtage in einer einmaligen Natur, romantischer Einsamkeit und gemütlicher Hüttenidylle ließen die Herzen höher schlagen.
Das abendliche Eröffnungsmenü mit „Fivos Special“: Spaghetti mit kretischer Tomaten-Hackfleischsoße, Knoblauchzaziki