Hubert vom Venn

Schlemmen am Eifelsteig


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alleine, da sich ungefragt einer dieser geheimnisumwitterten Vennläufer zu mir setzt.

      »Du bist ein Geschichtensammler, das weiß ich«, sagte der Mann, den ich nur vom Sehen kannte. »Ich erzähle dir eine Geschichte, hier vom Reinart.«

      Da ich oft Geschichtenerzähler treffe, fragte ich vorsichtig nach: »Und stimmt die Geschichte?«

      »Manche sagen so, mache sagen so«, antwortete er nur und begann: »Die Winter auf dem Reinart waren schon immer hart. Weihnachten stand vor der Tür und die Bewohner des kleinen Weilers hatten alle für die Festtage vorgesorgt.

      Nur – ich nenne ihn einfach so – der alte Alfons, Fons genannt, nicht. Er galt als mürrischer Einzelgänger, sein Haus lag auch etwas abseits und außer mit seinem Hund Lux, den er über alles liebte, sprach er kaum mit Jemand.

      ›De Tachszick muss et don‹, sagte er immer: ›Die Tageszeit muss reichen‹.

      Am Abend vor Heiligabend wollte Lux noch eine Runde um das Haus drehen. Daher öffnete Fons die Haustür, sofort wehte Schnee ins Gehöft. Fons schloss hinter dem Hund die Tür, rutschte auf dem nassen Steinboden aus, schlug hart auf und blieb bewusstlos liegen.

      Lux hatte dies nicht bemerkt. Erst als der Hund wieder ins Haus wollte, witterte das Tier, dass irgendetwas nicht stimmte. Der Schäferhund lief bellend durchs Dorf, aber keiner reagierte, da Lux dies oft tat – meistens hinter anderen Hunden oder Katzen.

      Fons lag noch immer bewusstlos in dem eiskalten Flur.

      Traurig trottete Lux nach Hause und hoffte, dass die Tür doch noch aufgehen würde.

      Vergebens!

      Derweil schlug das Glöckchen vom Reinart, das seit 1831 in der alten Monschauer Pfarrkirche ›St. Mariä Geburt‹ hängt, wie immer in der Rurstadt zur Viertelstunde – Viertel nach sechs, Dunkelheit lag über der damaligen Kreisstadt.

      Verwundert schauten in den nächsten Stunden Anwohner der alten Pfarrkirche zur Turmuhr, da die Glocke schwieg.

      Zu hören war sie allerdings über den Häusern auf dem Reinart. Die Menschen traten aus ihren Häusern und starrten verwundert zum Himmel, wo das Glockengeläut mal über dem Hof, mal über einem anderen Gehöft zu hören war. Schließlich läutete das Glöckchen über dem Weg, der zu Fons Haus führte. Die Bewohner vom Reinart zogen sich warme Sachen an und folgten der Glocke bis vor das Haus von Fons, wo Lux an der Tür kratzte. Da dort oben im Venn nie jemand die Haustür abschloss, fand das kleine Grüppchen den alten Mann, der auch bald wieder zu sich kam und außer einer riesigen Beule unverletzt war.

      Fons war peinlich berührt, wusste der doch, dass man ihn im Dorf ›den Muffkopp‹ nannte. Die Frauen des Dorfes zogen sich in den Flur zurück und tuschelten lange zusammen. Dann riefen sie die Männer und wieder wurde getuschelt. Schließlich blieb nur noch Jupp bei Fons, während all die anderen sich verabschiedeten: ›Wir kommen gleich wieder‹.

      Und sie kamen wieder. Zuerst Karl, der einen kleinen Tannenbaum mitbrachte und ihn bescheiden mit Strohsternen schmückte. Dann folgten die anderen Familien. Alle hatten zu Hause Körbe gefüllt und schon bald standen und lagen auf dem grob gezimmerten Küchentisch Schinken, Würste, Käse, gekochte Kartoffeln, Butter sowie Wein, Bier und Schnaps.

      An diesem Vorheiligabend saßen die Reinarter noch lange zusammen und redeten von alten Zeiten in der Einsamkeit. Es war schon spät am Abend, als die Gruppe das Haus von Fons verließ, der erstmals erzählte, warum er immer so verschlossen und einsam gelebt hatte – eine Geschichte von Tod, Krieg und schmerzlichen Verlusten.

      ›Das machen wir nun jedes Jahr am Vorheiligabend‹, rief eine der Frauen.

      Damals ahnte noch keiner, dass nur ein Jahr später durch königlichen Erlass das ganze Dorf enteignet wurde, die Menschen den Ort in alle Himmelsrichtungen verlassen mussten.

      Kurzum: Eine Feier hat es nie wieder gegeben, man erzählte sich nur noch davon, wenn sich zufällig irgendwo ehemalige Bewohner aus dem Dorf trafen.«

      »Und damit endet nun deine Geschichte?«, fragte ich den Vennläufer.

      »Nicht ganz«, antwortet dieser: »Um Mitternacht wunderten sich an diesem Tag die Monschauer, dass die Glocke vom Reinart nicht nur einmal schlug, sondern – fast jubelnd – fünf Minuten läutete. Man hat mir berichtet, dass man noch heute um Mitternacht vor Heiligabend die Glocke hier oben im einsamen Hohen Venn hören soll. Wer weiß …«

      Der Vennläufer verabschiedete sich, tippte an seinen Hut und war kurze Zeit später verschwunden.

      Bild 9: Das hohe Venn

      Wir machen uns nun auf den Weg nach Mützenich, zugegeben das lange gerade Stück gehört für mich zu den langweiligsten Strecken des Eifelsteigs. Ich gebe allerdings zu, dass ich als Jugendlicher diese Strecke fast jeden Abend mit dem Fahrrad abgefeiert habe. Ich sehe eben nur den Horizont, andere Wanderer die Schönheiten des Hohen Venn links und rechts am Wegesrand.

      Und da wir uns letztmalig in Belgien und – wie vernommen – somit in der Provinz Lüttich befinden, hier noch ein typisches Gericht dieser Region.

      Boulet à la liégeoise

      Bild 10: Boulet à la liégeoise

      Im dreisprachigen Belgien heißt dieses Gericht auch »Lütticher Bulette« oder »Gehaktballen met luikse Saus« und die Tunke: »Soße Lapin«.

      Halt, halt: Die Soße hat nichts mit Kaninchen zu tun, sondern vielmehr mit Madame Géraldine Lapin, die sie erfunden hat: »Kaninchensoße ohne Kaninchen«, sagt man in Belgien dazu. Leider ist wenig von der guten Frau überliefert. Da ihr Mann aber ein »Poète amateur« war, also so etwas wie ein Heimatdichter, wissen wir, dass der gute Ehemann von 1868 bis 1922 gelebt hat und Steuereintreiber in den Vororten von Lüttich war. Es gibt sogar einen Verein in Lüttich »D’une certaine gaieté«, der gefordert hat, dass die Boulet in das Unesco-Weltkulturerbe aufgenommen wird.

      Daraus ist aber nichts geworden.

      Die Boulet sind schnell gemacht – ähnlich der deutschen Frikadelle.

      Gehacktes halb und halb, ein Ei, eingeweichtes Toastbrot, Salz, Pfeffer, Muskat und viele Kräuter dazu. Daraus runde Klöße formen und anbraten. Anschließend die Buletten in einen Topf geben, mit etwas Wasser begießen und die Soße zubereiten: Diese erinnert ein wenig an rheinischen Sauerbraten. Mein Vorschlag – probieren Sie diese nach ihrem ureigenen Geschmack aus. Gerade beim Mönchsbier scheiden sich nämlich oft die Geister.

      Zutaten für die Soße:

      Zwiebeln, Knoblauch, Butter, meinen geliebten Sirop d‘Aubel, Rinderbrühe, Rosinen, Thymian, Lorbeerblatt, Nelken, belgisches, dunkles Trappistenbier, Rohrzucker, Essig, Salz, Pfeffer, Mehl.

      Da am Horizont bereits die Grenze erscheint, hier noch schnell eine Spezialität, bevor wir Belgien wieder verlassen.

      Reisfladen

      Bild 11: Ein Stück Reisfladen

      Reisfladen selbst herzustellen, erfordert schon jede Menge Talent und einen Backofen bis 300 Grad. Wichtig ist dabei die Produktion mit Rohmilch statt pasteurisierter Milch. Da gab es vor Jahren einen Sturm der Entrüstung, als das belgische »Bundesamt für Sicherheit der Lebensmittelkette (AFSCA-FASNK)« dem Fladen an die Rohmilch gehen wollte. Auch die Lagerung bei Zimmertemperatur war den Prüfern ein Reiskorn im Auge. Daher wollten sie den Fladen in den Kühlschrank verbannen. Beides – da waren sich die Fladen-Fans mit den belgischen Bäckern einig – hätte eine Beeinträchtigung des typischen Fladen-Geschmacks mit sich gebracht. Man ging also auf die Fladen-Barrikaden, an vielen Autos (auch an meinem) pappte der Aufkleber »Touche pas ma tarte« (Hände