Form an. Dieser kreist, anders als der klassische Faschismus, nicht um hierarchische Organisationen, sondern mehr um informelle Schwärme, in deren Sog die rechtsextreme Agitation in die breitere Öffentlichkeit überschwappt.
Im abschließenden Kapitel 7 diskutieren wir, welche Herausforderungen eine solche Variante des Faschismus für die offene Gesellschaft mit sich bringt. Diese steht erkennbar vor einem Dilemma, wenn sich faschistische Dynamiken nicht aus formalen Massenorganisationen, sondern aus digitalen (Hass-) Kulturen in den sozialen Medien speisen. Dann schöpft die Intoleranz nämlich ausgerechnet aus Strukturen neue Stärke, mit denen die Meinungsfreiheit erweitert wurde. Um die Intoleranz nicht zu tolerieren, wie es schon der Philosoph Karl Popper mit seinem »Paradox der Toleranz« von wehrhaften Demokratien einforderte,4 scheint in diesem Fall eine politische Regulierung der sozialen Medien fast schon zwingend geboten.
Mit diesem Buch soll keinesfalls der Teufel an die Wand gemalt werden. Es ist nicht so, als machten sich überall Nazis breit und als stünde ein neues 1933 vor der Tür. Unsere Analyse zeigt allerdings, wie die faschistische Logik auch von Strukturen gestärkt werden kann, die ihrerseits nicht als rechtsextrem gelten können. Sie zeigt außerdem, dass es – zumindest hierzulande – nur eine Minderheit ist, die dieser Logik verfallen ist, eine Minderheit freilich, die lautstark demokratische Normen relativiert. Indem wir Faschismus als soziales Phänomen begreifen – als eine illiberale Dynamik, die aus der Verbreitung von nationalen Opfermythen folgt –, wollen wir die Aufmerksamkeit auf Erzählungen (und ihre Verbreitungsweisen) lenken, mit denen offene Gesellschaften gespalten werden. Dabei wirft das Verhältnis von Digitalisierung und Rechtsruck auch grundsätzliche Fragen zur Bedeutung von digitalen Medien in der Demokratie auf. Immerhin wirken diese Medien nun maßgeblich an der Herstellung von Öffentlichkeit mit – und beeinflussen so, ob politische Diskurse verständigungsorientiert oder polarisierend verlaufen. Insofern schildert dieses Buch nicht nur, wie Rechtsextremismus im digitalen Zeitalter funktioniert. Es handelt auch von dem Problem, dass die Regeln, nach denen Massen miteinander kommunizieren, über Wohl und Wehe von Demokratien entscheiden.
2 Das Comeback der Ultranationalen
Ein Wegweiser zum digitalen Faschismus
Das Wort »Faschismus« ist wieder in aller Munde. Die vergangenen Jahre boten immerhin genug Anlässe, um über die Aktualität des Begriffs nachzudenken. Erinnert sei hier nur an die wachsende Schar von sogenannten Reichsbürgern, die sich der Rechtsordnung der Bundesrepublik zu entziehen versuchen; an die zu Hunderten untergetauchten Rechtsextremisten, gegen die ein nicht vollstreckbarer Haftbefehl vorliegt; an die aufgedeckten (und nicht aufgedeckten) rechten Netzwerke inner- und außerhalb der Bundeswehr, die sich auf einen Bürgerkrieg vorbereiten; und nicht zuletzt an die Serie rechtsextremer Terrorakte, die nach dem Ableben des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) erst so richtig Fahrt aufgenommen hat. Diese Erscheinungen, die sich noch als besonders fehlgeleiteter Rand der extremen Rechten abtun lassen, wurden wiederum begleitet von einer Welle an Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte, der Gründung einer Reihe von Bürgerwehren, Hetzjagden auf vermeintliche Ausländer wie in Chemnitz und Aufmärschen von sogenannten Wutbürgern, die ihre Gegner »in den Graben« werfen und diesen dann zuschütten wollen, wie es der Pegida-Gründer Lutz Bachmann formuliert hat.1 Spätestens hier haben wir es nicht mehr mit einer abnormen Randerscheinung zu tun. Es sind tatsächlich ganz gewöhnliche Menschen, die sich damit in die faschistische Tradition stellen, eine Gesellschaft von ihren »Volksschädlingen« befreien zu wollen.
Ja, die extreme Rechte hat Konjunktur. Das zeigt sich nicht nur in neuen Jugendkulturen wie der Identitären Bewegung, welche dem Aufruf von Vordenkern der Neuen Rechten folgt, die Menschen bereits im »vorpolitischen Raum« für sich zu gewinnen. Es zeigt sich auch und vor allem in den weltweiten Wahlerfolgen rechter Parteien und Politiker, die sich entweder direkte Reminiszenzen an faschistische Episoden erlauben oder zumindest einen Politikstil pflegen, der an die Propaganda- und Manipulationsmethoden der historischen Faschisten erinnert. Im Schlepptau haben sie eine aufgepeitschte Wählerschaft, die die gewählten Repräsentanten der Demokratie als »Volksverräter« bezichtigt und mit dem »Establishment« aufräumen will. So auch die AfD, die – als Partei, die sich selbst und ihre Wählerschaft zunehmend radikalisiert hat – den globalen Rechtsruck hierzulande repräsentiert. Aussagen ihrer Vertreter, in denen Fantasien von einer Säuberung durchscheinen und der Nationalsozialismus relativiert wird, sind ebenso zahlreich wie ihre Versuche, das Vertrauen in demokratische Institutionen und Normen zu schwächen.
Sinnbildlich für diese Polarisierungsversuche steht die Regierungskrise in Thüringen vom Februar 2020. Nachdem der FDP-Politiker Thomas Kemmerich ein politisches Tabu gebrochen hatte und sich mit Stimmen der AfD ins Amt des Ministerpräsidenten wählen ließ, war in vielen Zeitungen zu lesen, das Ganze verströme einen »Hauch von Weimar«. Der Vergleich mit Weimar, das als Synonym für den Aufstieg des Nationalsozialismus gilt, drängt sich nicht nur auf, weil die AfD sich (insbesondere im Osten) so stark verankert hat, dass es die demokratischen Parteien wie einst in der Weimarer Republik zuweilen schwer haben, stabile Regierungen zu bilden. Nah liegt der Vergleich auch deswegen, weil der Chef ihres Thüringer Landesverbandes, Björn Höcke, tatsächlich vielen als Faschist gilt, der die Grenzen des demokratischen Diskurses willentlich überschreite. Dabei mögen manche den Begriff »Faschist« eher polemisch mit Blick auf das Gebaren verwenden, das der Kopf des offiziell aufgelösten, aber faktisch immer noch einflussreichen »Flügels« – eines dezidiert völkisch-nationalistischen Netzwerks in der AfD – an den Tag legt. Fast schon wie eine Parodie auf den Faschismus wirkt nämlich sein narzisstisches Bemühen, sich der Nation als uomo virtuoso zu empfehlen, der als strengväterlicher Herrscher die Nation wieder auf Vordermann bringen werde. Für andere ist der ehemalige Geschichtslehrer auch nach wissenschaftlichen Kriterien ein Faschist, worin sie sich durch ein Gerichtsurteil bestätigt sehen dürfen, das es für zulässig erklärte, Höcke als solchen zu bezeichnen. Zu deutlich in der Tradition faschistischer Denkweisen stehen seine Herrschaftsvorstellungen, die der Möchtegernführer unter anderem in einem 2018 erschienenen Gesprächsband bemerkenswert offen darlegte.2
Obwohl also der Begriff des Faschisten im politischen Diskurs mittlerweile häufiger fällt, findet es mancher dennoch unangebracht, in Konsequenz auch von einem Faschismus zu sprechen. Als stellte man damit einen übertriebenen historischen Vergleich her, ja, als wäre der Begriff ganz generell aus der Zeit gefallen. Häufig wird der Faschismus nämlich als eine Epoche verstanden, die mit dem Zweiten Weltkrieg endete. Um heute von Faschismus sprechen zu können, müsse dieser demnach genauso in Erscheinung treten wie damals in der Zwischenkriegszeit. Auf diese Weise wird der Faschismus sozusagen eingefroren, während man anderen politischen Erscheinungen grundsätzlich zugesteht, dass sie sich ihrer Zeit anpassen können. Denn wo sie es nicht tun, gehen sie selbstverständlich unter. Der Liberalismus hat sich ebenso häufig gewandelt wie der Kapitalismus, die Sozialdemokratie ist heute nicht mehr die eines August Bebel, so wie auch kommunistische oder anarchistische Strömungen ihren Ursprüngen nicht ewig gleichen. Der Faschismus bildet da keine Ausnahme. Davon abgesehen, dass faschistische Bewegungen auch nach 1945 im globalen Maßstab fortlebten – man denke nur an die internationalen Netzwerke, die Nationalsozialisten Unterschlupf gewährten und ein faschistisches Revival anstrebten –, tauchten deren Praktiken vielerorts unter anderer Fahne wieder auf. Genau das aber gerät aus dem Blick, wenn der Faschismus als abgeschlossener Fall, als fait accompli, verstanden wird, wie der Historiker Louie Dean Valencia-García zu kritisieren weiß.3 Wenn eventuelle Kontinuitäten des Faschismus stets hinter der Betonung des Neuen zurücktreten müssen, besteht zugleich die Gefahr einer Verharmlosung heutiger Akteure (zum Beispiel des sogenannten Rechtspopulismus).
Die Sonderstellung, die auf diese Weise dem Faschismus im Kabinett der politischen Phänomene zugewiesen wird, liegt ganz gewiss auch in seiner assoziativen Verbindung mit dem Nationalsozialismus und dem Holocaust begründet. Schließlich ist der industrielle Massenmord an den europäischen Juden historisch einzigartig und sollte nur mit Vorsicht für Vergleiche herangezogen werden. Mit dieser Zurückhaltung beim Faschismusbegriff beugt man zwar einerseits einer Verharmlosung von Antisemitismus effektiv vor, verstärkt andererseits aber den Eindruck, der Faschismus sei ausschließlich an die Gräuel des Zweiten Weltkrieges und des Holocausts gebunden. Zumindest dann, wenn unter Faschismus vor allem seine deutsche Ausprägung,