kannte er durchaus verschiedene Varianten, die sich zum Teil deutlich in der Intensität unterschieden, mit der gesellschaftliche Gruppen ausgeschlossen und physische Säuberungen durchgeführt wurden. Die Frage ist daher vielmehr, worin der gemeinsame Nenner besteht, der dieses Gemisch diverser nationalistischer Bewegungen als faschistische Familie erscheinen ließ. Denn von der Bestimmung dieses Kernmerkmals hängt ab, welche Varianten eines sich wandelnden Faschismus überhaupt denkbar sind.
Eine solche Bestimmung steht stets vor dem Problem, dass der Begriff nicht unbedingt dem Selbstverständnis der Bewegungen entsprach, die gemeinhin als faschistisch bezeichnet werden. Selbst der italienische Faschismus, der den Begriff – als dessen Urheber – tatsächlich auf sich selbst anwendete, konnte die eigene Ideologie nur bedingt erklären. Nicht von ungefähr ließ Benito Mussolini, der ein konkretes Programm als Bremse revolutionärer Energien empfand, einst Wissenschaftler noch lange nach der faschistischen Machtergreifung an einer Doktrin des Faschismus arbeiten. Dass der Begriff dennoch eine breite Anwendung fand, verweist darauf, dass hier ein soziales Phänomen entstanden war, das bei allen regionalen Unterschieden doch sehr auffällige Gemeinsamkeiten aufwies, die nach einem eigenen Namen verlangten. In jedem Fall handelt es sich beim Faschismus weniger um eine ausbuchstabierte Ideologie, die von programmatischen Vordenkern als solche propagiert wird, sondern eher um ein Denkmuster, das sich in Rhetorik und Praxis seiner Akteure zeigt. Ähnlich wie der Kapitalismus lässt sich Faschismus als ein aus sozialen Praktiken hervorgegangenes Phänomen begreifen, dem eine bestimmte Logik innewohnt. Diese Logik gilt es zu entschlüsseln, wenn man verstehen möchte, was den Faschismus als Bewegung in seinem Kern auszeichnet – und ob ein solches Kernmerkmal nicht unter neuen Gewändern weiterlebt.
Damit rückt insbesondere die politische Kommunikation der extremen Rechten in den Fokus, die sich auf ihre Logik hin analysieren lässt. Und hier können wir, um es vorwegzunehmen, zweifelsfrei große Gemeinsamkeiten mit der Propaganda faschistischer Akteure von einst feststellen. Heute wie damals beschwört man Szenarien des nationalen Niedergangs oder gar Untergangs, um sich als Retter der bedrohten Nation inszenieren zu können. Der Sozialtheoretiker Theodor W. Adorno sprach in diesem Zusammenhang einmal von einem »unbewußten Wunsch nach Unheil«,4 der insofern zentral für faschistische Akteure ist, als sie aus der beschworenen Katastrophe überhaupt erst ihre Existenzberechtigung ziehen. Diese besteht eben darin, eine Antwort auf den nationalen Verfall zu haben: einen Ultranationalismus, der als soziales Interesse nur noch das gelten lässt, was dem Wiedererstarken der Nation nutzt. Und das wiederum wird von denen definiert, die sich als Einzige der angeblichen Bedrohung entgegenstemmen, sich also als wahre Beschützer des Volkes erweisen. Der Feuilletonist Jens-Christian Rabe nennt das »die Monopolisierung des vermeintlich Volkseigenen, um alle Gegner als Feinde des Volkes erscheinen zu lassen«.5
Die Frage, wie ultranationale Kräfte es schaffen, eine Realität zu konstruieren, die Menschen an die Notwendigkeit eines nationalen Erwachens glauben lässt, ist also entscheidend für das Verständnis faschistischer Dynamiken. Um sie beantworten zu können, müssen wir uns vor allem die technologischen Strukturen ansehen, die dafür sorgen, dass die faschistische Propaganda den Weg in die Köpfe findet. Denn grundsätzlich eröffnen neue Medien auch stets neue Möglichkeiten der politischen Manipulation. Nicht von ungefähr fiel der Aufstieg des Faschismus im frühen 20. Jahrhundert in eine mediale Zeitenwende; und nicht umsonst mussten die Demokratien Regeln für den Umgang mit Medien finden, die die Realitätswahrnehmung der potenziell manipulierbaren Massen prägen. Der klassische Faschismus gehörte jedenfalls zu den eifrigsten Nutzern neuer Technologien wie Massenpresse, Film und Radio. Und auch heute ist es unverkennbar, dass sich die extreme Rechte digitale Medientechnologien wie die sozialen Medien, Messenger-Dienste und bildbasierten Foren gezielt zunutze macht, um ihre Mythen der nationalen Bedrohung zu verbreiten und sich gegenseitig in ihnen zu bestärken. Mehr noch: Es zeigt sich sogar, dass die medialen Möglichkeiten, mit denen diese Mythen die größte Wirkungsmacht entfalten können, auch die Organisationsform des Faschismus bestimmen.
Wie sich das im Detail in einen digitalen Faschismus übersetzt, möchten wir in diesem Buch nachvollziehen. Doch bevor wir uns den konkreten Praktiken dieser Variante des Faschismus widmen, gilt es zu klären, welche Schwachstellen sich mit der Digitalisierung im demokratischen Gefüge aufgetan haben, in die rechtsextreme Akteure derzeit erfolgreich stoßen. Daran anschließend erläutern wir genauer, warum gerade Bedrohungsmythen wichtig sind, um faschistische Dynamiken zu verstehen – ganz allgemein und speziell im digitalen Kontext. Um die Herausforderungen zu diskutieren, die einer Konfrontation mit dem digitalen Faschismus innewohnen, müssen wir daher einerseits ermitteln, was Faschismus als soziales Phänomen ausmacht, und andererseits, wie er sich mit den sozialen Bedingungen verträgt, die etwa durch die sozialen Medien geschaffen wurden. Beides zusammengenommen bietet den Rahmen für unsere Überlegungen dazu, wie gegenwärtige Erscheinungsformen des Faschismus durch eine digitalisierte Welt bedingt sind.
Das Netz, die Demokratie und die extreme Rechte
Es steht mittlerweile außer Frage, dass die Digitalisierung liberale Demokratien vor große Herausforderungen stellt. Neue Probleme ergeben sich etwa als Folge der Automatisierung des Arbeitslebens und der Anhäufung privater Daten, aber auch mit der Möglichkeit von Cyberangriffen und Maßnahmen zur Wählerbeeinflussung aus dem Ausland. Und eben nicht zuletzt mit der digitalen Propaganda durch Gegner der offenen Gesellschaft. Immerhin bietet das Internet auch für Extremisten ein kostengünstiges Werkzeug, mit dem sie ihren politischen Vorstellungen eine größere Reichweite verschaffen können. Sowohl der zwischenzeitliche Hype um den Islamischen Staat als auch das Wiedererstarken rechtsextremer Bewegungen wären ohne die politische Tragweite der sozialen Medien nicht denkbar gewesen. Vorbei ist es mit der einstigen Illusion, das Internet sei seinem Wesen nach ein Mittel der Demokratisierung und des gesellschaftlichen Fortschritts. Wie der Politikwissenschaftler Thorsten Thiel treffend schreibt, ist es bereits zu einem »Kanon unserer Zeit« geworden, »dass man sich im ersten Abschnitt eines Textes zu Internet und Digitalisierung von [solchen] naiven Utopien zu verabschieden habe«.6 Wie konnte es dazu kommen?
Zunächst einmal besitzen neue Kommunikationstechnologien immer das Potenzial, die politische Kultur einer Gesellschaft von Grund auf zu verändern. Denn mit ihnen wandelt sich die »gesamte Daseinsweise der menschlichen Kollektiva«, wie der Sozialtheoretiker Walter Benjamin einst schrieb.7 Die digitale Revolution steht für eine solche Veränderung, die die Menschen in neue Beziehungen zueinander und zur Welt setzt. Sie reiht sich ein in eine historische Abfolge von bahnbrechenden Medieninnovationen: Buchdruck, Massenpresse, Radio, Fernsehen – und nun eben das Internet. Letzteres bot dabei zunächst durchaus Anlass für progressive Hoffnungen, ließ die Möglichkeit, sich auf Augenhöhe global miteinander austauschen zu können, doch viele von einer freieren, kreativeren und inklusiveren Gesellschaft träumen. Gerade freie Rede und Meinungsvielfalt waren seit der Jahrtausendwende gern gehörte Versprechungen der Digitalisierung, von denen man sich eine Stärkung demokratischer Debattenkultur erhoffte. Beflügelt wurden diese Hoffnungen etwa durch die Tatsache, dass bis dahin marginalisierte Gruppen nun ein Sprachrohr hatten, um ihre Belange mit einer breiteren Öffentlichkeit zu teilen. Zugleich schienen die Bürger gegenüber dem Staat gestärkt, der sich kein Unrecht mehr erlauben sollte, ohne dass es im Netz dokumentiert würde.
Ein weiterer Grund für den anfänglichen technologischen Enthusiasmus in Bezug auf das Internet lag in der vermeintlichen Befreiung des Wissens, das nun für jeden Einzelnen zugänglicher ist. Heute braucht es nur wenige Mausklicks oder Swipes, um Informationen über die gesamte Geschichte der Menschheit jederzeit und überall abzurufen. Offen zugängliche Enzyklopädien wie Wikipedia haben dabei nicht nur die Art revolutioniert, wie wir Wissen aufnehmen, sondern auch, wie sich dieses Wissen weiterentwickelt. Beispielsweise kann dort potenziell jeder an der kollaborativen Erstellung von Artikeln mitwirken, über Inhalte debattieren oder eigene Einträge vorschlagen. Ein ausgeklügeltes System von Evaluationsprozessen sichert dabei die Qualität der Inhalte und soll garantieren, dass keine politischen Interessen in die Wissensproduktion eingreifen. Das Beispiel Wikipedia zeigt, wie sich zentrale Elemente von Bildung, Unterhaltung und Kultur aus den Händen professioneller Unternehmen und staatlicher Institutionen in die partizipativen Formate verlagern können, die das Internet für die Selbstorganisation von Nutzern bereithält.
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