Holger Marcks

Digitaler Faschismus


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zu kompensieren versucht.25

      Paxton beschreibt damit keine spezifische Ideologie, sondern ein Muster der Selbstrechtfertigung, in dem sich die Psychologie, die Kultur und die Politik des Faschismus bewegen. Zentral dafür ist demnach, dass dieser seinen überbordenden Nationalismus aus der Wahrnehmung einer nationalen Bedrohung heraus begründet. Ebendieses Muster hatte auch schon Griffin als bedeutenden Wesenszug des Faschismus ausgemacht. Er spricht von einem »palingenetischen Ultranationalismus«, der vom Mythos einer Nation lebt, die im Untergang begriffen sei und ihre Wiedergeburt (Palingenese) durch außergewöhnliche Anstrengungen erzwingen müsse.26 An anderer Stelle bezeichnet Griffin dieses Muster auch als das »faschistische Minimum«, was bedeutet: Faschismus kann noch andere Merkmale aufweisen, aber ohne das Leitbild vom Erwachen einer bedrohten Nation gibt es keinen Faschismus.27 Diesem Muster, das wir als faschistische Logik bezeichnen möchten, soll im Folgenden unsere Aufmerksamkeit gelten. Denn wenn die wahrgenommene Bedrohung der Nation als Herzstück faschistischer Dynamiken dient, dann stellt sich heute die Frage, wie entsprechende Mythen im digitalen Kontext Verbreitung finden, sodass illiberale oder autoritäre Perspektiven um sich greifen können.

      Wir verstehen Faschismus demnach nicht einfach als etwas, das sich auf das Programm politischer Akteure reduzieren ließe, sondern vielmehr als soziales Phänomen. Es besteht in der Wahrnehmung einer nationalen Bedrohung, die von Menschen geteilt wird und in gemeinschaftsbildenden Handlungen zum Ausdruck kommt. Gleichzeitig verstehen wir Faschismus als wandelbares Phänomen, das sich ebenso wie andere politische Erscheinungen zu modernisieren vermag. Oder wie es der italienische Holocaustüberlebende Primo Levi bereits 1974 formulierte: »Jedes Zeitalter hat seinen eigenen Faschismus.«28 Paxtons aus der Geschichte abgeleitetes Verständnis von Faschismus begreifen wir als Idealtyp, in dessen Zentrum das Kernmerkmal der faschistischen Logik steht: die Beschwörung eines nationalen Untergangs zur Rechtfertigung autoritärer und illiberaler Praktiken. Davon ausgehend sind, wie es der Philosoph Ludwig Wittgenstein nannte, »familienähnliche« Varianten des Faschismus denkbar, in denen zwar das faschistische Minimum erhalten ist, die sich aber in anderen Merkmalen vom klassischen Faschismus unterscheiden.29 Der digitale Faschismus ist eine solche Variante.

      Insofern lässt sich der Rechtsextremismus auch nicht pauschal als faschistisch beschreiben. Entscheidend ist vielmehr, welche Wahrnehmungen er transportiert, die für das faschistische Minimum grundlegend sind. Gerade der klassische Faschismus, der sich in der Zwischenkriegszeit entfaltete, war ja augenfällig darum bemüht, im öffentlichen Diskurs eine nationale Krise zu konstruieren. In Deutschland etwa behauptete er einen Überlebenskampf des deutschen Volkes: erniedrigt vom Ausland, geknechtet vom Judentum und verraten durch »Dolchstoß«. Auf diese Weise sollte ein Ausnahmezustand herbeigeredet werden, der nach autoritären und illiberalen Maßnahmen verlangt. Dieses Verhalten – die Philosophin Hannah Arendt nannte es »organisiertes Lügen«30 – ist im Zusammenhang mit dem zweiten Merkmal zu sehen, das Paxton dem Faschismus zuschreibt: ein radikaler Pragmatismus, der sich nicht an »ethische oder rechtliche Beschränkungen« gebunden fühlt, wenn es um das Erreichen politischer Ziele geht.31 Die Wahrheit kann demzufolge jederzeit gebeugt werden, wenn man damit Einfluss und Macht erlangen kann. Inwiefern dieses faschistische Merkmal im heutigen Rechtsextremismus fortwirkt, wird später noch genauer zu sehen sein.

      Das faschistische Minimum war im Rechtsextremismus jedenfalls nie wirklich verschwunden. Immerhin versuchte er über Jahrzehnte Ängste vor dem Fremden und Anderen zu schüren, um für ein nationalistisches Revival zu trommeln. Doch zweifellos haben in Zeiten sozialer Medien und globaler Migrationsbewegungen solche Bemühungen zugenommen, die von der Politikwissenschaftlerin Ruth Wodak als »Politik der Angst« bezeichnet werden.32 Damit setzt der Rechtsextremismus verstärkt auf eine emotionale Ressource, deren Wirkmacht einst Mussolini zu seiner Wandlung vom Sozialisten zum Faschisten bewogen haben soll. Denn Angst, so soll er erkannt haben, sei eben ein effektiveres Mittel der Politik als Hoffnung. Was das heute konkret bedeutet, zeigt sich beispielsweise in den Erzählungen, die der globale Rechtsextremismus im Kontext von Migrationsfragen verbreitet. Seine Aktivisten bringen insbesondere den Mythos in Umlauf, die jeweilige Nation sei Opfer eines »großen Austauschs«, wie es etwa die Identitären formulieren, auf die sich auch der Attentäter von Christchurch berief. Dass sich die extreme Rechte in vielen Ländern erfolgreich als Schutz- und Ordnungsmacht empfehlen konnte – dafür stehen ihre Erfolge auf den Straßen und an den Wahlurnen –, basiert nicht unwesentlich auf diesem Mythos, den sie in verschiedenen Erzählvarianten in die Köpfe zu bringen versucht.

      Während unter rechtsextremen Aktivisten in den USA vor allem von einem »weißen Genozid« die Rede ist, spricht die extreme Rechte in Deutschland von »Bevölkerungsaustausch«, »Umvolkung« oder gar »Volkstod«. Diese Vorstellungen stammen aus der Mottenkiste der alten völkischen Bewegungen, überlebten in den Nischen des militanten Rechtextremismus und wurden mit der Flüchtlingskrise 2015 aufgefrischt und popularisiert, vor allem durch sogenannte Rechtspopulisten. Oft kleiden sie sich in Parolen über eine »Islamisierung des Abendlands« oder die »Abschaffung Deutschlands«, durch die sie ihren Weg in die breitere Öffentlichkeit finden. Die Rede vom »besorgten Bürger«, der den Verlust seiner Kultur fürchte, zeugt von dieser Normalisierung, die nicht selten mit Verschwörungstheorien einhergeht. So zum Beispiel, wenn die AfD behauptet, der Migrationspakt der Vereinten Nationen – eine unverbindliche Erklärung für einen global einheitlichen Umgang mit Migration – sei ein »verstecktes Umsiedlungsprogramm«.33 Oder wenn der »Posterboy der modernen Rechten« – wie der identitäre Aktivist Martin Sellner häufiger genannt wird – hinter jenem Pakt einen »heimtückischen« Plan vermutet, der »den Untergang der europäischen Völker« besiegele. In jedem Fall aber wird der »Lügenpresse« und dem »linksgrünversifften Establishment« vorgeworfen, die Bedrohung zu verschweigen und Einwanderung gegen den Willen des Volkes zuzulassen.

      Solche Narrative bilden die kognitive Grundlage für das, was Griffin »palingenetische Fantasien« nennt.34 Denn in ihrer logischen Konsequenz verlangen sie nach Helden, die die Geschichte hin zu einem nationalen Happy End fortschreiben. Wo auf den Staat kein Verlass mehr ist, gilt es, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, um die Gemeinschaft vor den Eindringlingen zu schützen und mit Verrätern aufzuräumen. Dafür stehen nicht nur Drohungen gegen Journalisten und Angriffe auf Kommunalpolitiker, sondern auch die Ermordung des CDU-Politikers Walter Lübcke, der aufgrund flüchtlingsfreundlicher Äußerungen auf etlichen Todes- und Feindeslisten der extremen Rechten stand. Auch die jüngste Welle des Rechtsterrorismus muss unbedingt in diesem Kontext gesehen werden. Ob Christchurch oder El Paso, ob Halle oder Hanau – all diesen Terrorakten ist gemeinsam, dass die Täter davon überzeugt waren, ihre Gemeinschaft stünde vor dem Untergang. Ähnliches lässt sich auch über die Welle von Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte oder die Gründung von Bürgerwehren sagen, an der auffällig viele Menschen ohne typische rechtsextreme Biografie beteiligt sind. Die Bedrohungssituation, die der »besorgte Bürger« als Tatsache betrachtet, mag objektiv gar nicht gegeben sein, ist eben aber – wie das berühmte Thomas-Theorem besagt – »in ihren Konsequenzen real«.35 Diese Grundannahme der Soziologie geht davon aus, dass Menschen nämlich nicht auf Grundlage objektiver Gegebenheiten handeln, sondern je nachdem, wie sie diese Gegebenheiten subjektiv wahrnehmen.

      Gerade mit Blick auf die wachsende Bereitschaft vermeintlich normaler Bürger, Gewalt gegen Fremde und Andersdenkende anzuwenden, wurde die Rolle des Internets bereits vielfach diskutiert. In der Regel ist dann von dem Hass die Rede, den rechtsextreme Akteure in den sozialen Medien verbreiten. Er zeige sich in einer Verrohung und Enthemmung der Sprache, die sich schließlich in eine physische Brutalität übersetze. Nun ist es zwar plausibel, davon auszugehen, dass das rhetorische Klima zur Gewaltbereitschaft beiträgt, allein schon, weil sich Einzelne dadurch ermuntert fühlen können, den vermeintlichen Volkszorn auszuleben. Als Erklärung für den rechten Terror, der zumeist als Vigilantismus – also Gewalt durch selbst ernannte Beschützer und Ordnungshüter – in Erscheinung tritt, greift Hassrede aber zu kurz. Sie mag zwar häufig mit Gewaltaufrufen einhergehen, liefert aber für sich genommen keine überzeugende Begründung für die Anwendung von Gewalt. Die Juristin Susan Benesch verweist stattdessen auf die Bedeutung von »gefährlicher Rede«, um den Wirkungszusammenhang von behaupteten Bedrohungen und Gewaltlegitimation zu erklären.