sie bedrohe die Existenz der eigenen Gruppe, scheint es opportun zu sein, drastisch gegen sie vorzugehen. Immerhin geht es ums eigene Überleben. Und Notwehr ist bekanntermaßen der einzige Grund, der es unbestritten erlaubt zu töten: Wer anderen das Leben nehmen will, darf dieser Norm zufolge unschädlich gemacht werden. Für die Legitimation von Gewalt eignet sich daher kaum etwas besser als der »Spiegelungsvorwurf«: Indem man einer Gruppe unmenschliche Eigenschaften zuschreibt, lassen sich ihre Menschenrechte suspendieren. Die Entmenschlichung des Anderen rechtfertigt also die eigene Brutalisierung. Explizite Gewaltaufrufe sind dafür gar nicht nötig. Im Gegenteil, gerade die Selbstdarstellung als Opfer, das zivilisatorisch überlegen sei, verleiht dem Narrativ der Bedrohung Glaubwürdigkeit und weckt Verständnis für diejenigen, die irgendwann – und sozusagen notgedrungen – zu drastischen Mitteln der Selbstverteidigung greifen. Bisher steht die gefährliche Rede im Schatten der viel zitierten Hassrede, obwohl sie – auch ohne Gewaltrhetorik – wohl grundlegender für Gewalt ist als etwa unverblümte Hetze. Denn schließlich ist es laut Benesch gerade das Gerede von einer »tödlichen Bedrohung durch eine verhasste […] Gruppe, das Gewalt nicht nur angemessen, sondern notwendig erscheinen lässt«.36 Das macht die Rede von der Gefahr so gefährlich.
Insofern kann die gefährliche Rede als entscheidend für faschistische Dynamiken angesehen werden. Die kompromisslose Kraftanstrengung, die die Nation für ihre Wiedergeburt vollziehen soll, ist schließlich in besonderem Maße rechtfertigungsbedürftig, verlangt sie von den Massen doch sowohl grausam als auch moralisch überlegen zu sein. Bedrohungsmythen sind das geeignete Instrument für diesen Spagat – und daher zentral in der faschistischen Logik. Nahezu in Reinform lässt sich diese etwa beim AfD-Rechtsaußen Björn Höcke nachvollziehen, dessen Fantasien von einer nationalen Wiedergeburt besonders weit fortgeschritten sind. So fordert er in dem bereits erwähnten Gesprächsband angesichts des drohenden »Volkstods durch Bevölkerungsaustausch« eine Säuberung Deutschlands von »kulturfremden« Menschen. Dabei müsse »eine neue politische Führung« – natürlich ein alleinherrschender »Zuchtmeister« – »Maßnahmen ergreifen, die ihrem eigentlichen moralischen Empfinden zuwiderlaufen«. Denn: »Existenzbedrohende Krisen erfordern außergewöhnliches Handeln«, wobei die Verantwortung für diese »Politik der wohltemperierten Grausamkeit« letztlich bei denen liege, »die die Notwendigkeit dieser Maßnahmen mit ihrer unsäglichen Politik herbeigeführt haben«. Auch ein »Aderlass« sei dafür nötig, da »wir leider ein paar Volksteile verlieren werden, die zu schwach oder nicht willens sind«.37
Dass es sich bei Höcke um einen Faschisten handelt, ist nicht bloß eine Behauptung, die sich auch ohne Gerichtsbeschluss kaum als Polemik abtun lässt, sondern dem Politikwissenschaftler Hajo Funke zufolge »nachzulesen in seinen eigenen Worten«.38 In diesen Worten zeigt sich genau jene krude Dialektik, die bereits in Paxtons und Griffins Beschreibungen der faschistischen Logik aufschien: Eine überlegene Kultur, die barbarischen Kräften zu weichen droht, soll sich barbarisieren, um ihre Überlegenheit zu bewahren. Diese Gleichzeitigkeit von Opfer- und Täterschaft spiegelt sich auch heute in der eigentümlichen Mischung aus Jammern und Hetzen wider, die in der extremen Rechten zu beobachten ist. Obwohl scheinbar ein Widerspruch, lässt sich gerade das Wechselspiel beider Aspekte als Treibstoff der palingenetischen Fantasien verstehen. Paxton spricht in diesem Kontext von Leidenschaften, die Faschisten antreiben. Diese lehnen rationale Entscheidungsfindungen ab und nehmen große Opfer in Kauf, um einer höheren Sache zu dienen – einschließlich des Selbstbetrugs. Denn wie einst Adorno erkannte, können gerade Überzeugungen, die »durch die objektive Situation nicht mehr recht substantiell sind«, große Leidenschaften hervorrufen. Ihr zweifelhafter Gehalt verlange nämlich danach, diesen »zu überspielen, damit man ihn sich selbst und anderen gleichsam einredet«.39
Während also der palingenetische Ultranationalismus im rechtsextremen Denken sehr lebendig ist, scheint sich jedoch die Rolle rechtsextremer Organisationen bei seiner Entfesselung verändert zu haben. Laut Paxtons drittem Merkmal zumindest zeichnete sich der klassische Faschismus durch eine »massenbasierte Partei engagierter nationalistischer Militanter« aus, üblicherweise hierarchisch und zentralistisch organisiert.40 Ihr und ihren Nebenarmen kam die Aufgabe zu, die faschistische Logik in den Massen zu verankern, etwa indem sie manipulative Propaganda verbreitete und gemeinschaftsbildende Praktiken wie Aufmärsche und Kulturevents, aber auch Saal- und Straßenschlachten organisierte. Natürlich gibt es heute immer noch rechtsextreme Organisationen, die auf diese Weise funktionieren. Die Goldene Morgenröte (Chrysi Avgi) in Griechenland oder die slowakischen Kotlebianer (L’SNS) wären hier als Beispiele zu nennen. Dennoch lässt sich beobachten, dass eine große Zahl von Rechtsextremisten die organisierte Szene verlassen hat, um soziale Stigmatisierung zu vermeiden. Stattdessen sind sie nun in Online-Foren aktiv, wo sie, wie der Extremismusforscher Mark Potok schreibt, »ihre Meinungen anonym darbieten und leicht andere finden können, die ihnen zustimmen«, und das »ohne die Probleme, Kosten und schlechten Anweisungen, die in den meisten Gruppen mit einer Mitgliedschaft verbunden sind«.41
Allerdings bietet die digitale Sphäre der extremen Rechten nicht nur bequemere Möglichkeiten des Aktivismus, sondern auch der organisatorischen Erneuerung. War sie organisatorisch in der analogen Welt lange Zeit gescheitert, kann sie sich mit der Politur des Digitalen neuen Glanz verleihen. Insbesondere die amerikanische Alt-Right steht für so eine erfolgreiche Erneuerung. Obwohl – oder gerade weil – sich diese im digitalen Kontext entstandene Bewegung durch einen Mangel an ideologischer Kohärenz, strategischer Führung und materieller Kooperation auszeichnet, ist es ihr gelungen, faschistische Traditionen salonfähig zu machen. Vor allem wandte sie sich Internetkulturen zu, die darauf aus sind, Menschen größtmöglichen Schaden zuzufügen. So verbanden sich Online-Subkulturen mit Lust auf Provokation mit rechtsextremen Online-Aktivisten, die eine informellere und weniger hierarchische Form politischen Engagements befürworteten. Die Alt-Right unterscheidet sich daher – ebenso wie verwandte Erscheinungen der globalen Neuen Rechten – deutlich vom Faschismus der Zwischenkriegszeit. Das gilt nicht nur in Bezug auf ihre Organisationsstrukturen, sondern auch für die Art und Weise, wie sie mit ihren Vorstellungen die Gesellschaft strategisch durchdringt.
Diese Wandlung wirft die Frage auf, wie genau das Revival der faschistischen Logik durch die Digitalisierung bedingt ist. Generell müssen wir natürlich im digitalen Zeitalter aufs Neue darüber nachdenken, wie soziale Interaktionen funktionieren – einschließlich der Manipulation von Massen. Digitale Plattformen sind zu einem zentralen Marktplatz nicht nur für Handelsgüter, sondern auch für Ideen geworden. Sie stellen damit eine Arena des politischen Wettbewerbs und Konflikts dar, die kollektives Handeln – darunter die Protest- und Organisationsweisen sozialer Bewegungen – grundlegend verändert hat. So haben sie die Netzwerkfähigkeit politischer Akteure, ihre Mobilisierungsreichweite und die Geschwindigkeit des transnationalen Austauschs erhöht. Neue Formen der Artikulation von politischen Forderungen machen zudem eine Unterscheidung zwischen Online- und Offline-Politik hinfällig. Politische Akteure passen ihr Verhalten zunehmend an die Funktionsweise digitaler Plattformen an, wobei sie, wie der Bewegungsforscher Paolo Gerbaudo schreibt, »die Logik von Unternehmen wie Facebook und Amazon [nachahmen] und die datengesteuerte Logik sozialer Netzwerke in [ihre] eigentliche Entscheidungsstruktur integrieren«.42
Diese Verschiebungen haben nicht nur den organisatorischen Kern des Rechtsextremismus verändert, sondern auch dessen Umfeld: also seine Anhängerschaft und das potenziell interessierte Publikum. Während ein Teil der extremen Rechten bereits im vordigitalen Zeitalter den vom US-Neonazi Louis Beam ausgerufenen »führerlosen Widerstand« im Bereich des bewaffneten Kampfes propagierte, wurde diese Vorstellung mit den rechtsextremen Online-Kulturen ganz allgemein zur politischen Realität. Heute bringt sich die Bewegung viel stärker als virtuelle Gemeinschaft zum Ausdruck, in der die Grenzen zwischen organisierten Aktivisten und individuellen Unterstützern verschwimmen. Bei diesen vernetzten Bewegungen verlieren Organisationen ihre ordnende Rolle. Genauer gesagt lässt sich nunmehr schwer bestimmen, was und wer eigentlich organisiert ist oder nicht. Sie stellen unser Verständnis von individuellem und kollektivem Handeln grundsätzlich infrage, da alle Mitglieder in diesen Netzwerken in einer direkten Beziehung zueinander stehen. Auf der anderen Seite jedoch, so stellt die Internetsoziologin Zeynep Tufekci fest, bemühen sich organisierte Gruppen sehr wohl darum, »die Führerlosen zu führen«.43 Indem etwa rechtsextreme Akteure manipulativ und lenkend